1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Wir ließen die Ladenfront dreimal streichen, bis wir endlich überzeugt waren, daß die nunmehr gewählte Blauschattierung Erfolg verspreche, und ich habe wohl kaum jemals einen prächtiger angestrichenen Laden gesehen. Unglücklicherweise schätzte der Maler unseren Geschmack so hoch, daß er sich mehr Farbe verschaffte, als für uns nötig war, und um sie aufzubrauchen, überredete er den Besitzer eines Teegeschäfts und einer Bäckerei in derselben Straße, sich einen Anstrich zuzulegen, von dem wir gehofft hatten, daß er das einzigartige Kennzeichen unserer Firma sein würde. Diesem Umstand verdankten wir etliche Anfragen nach chinesischem Tee und Hafermehlkuchen, und ohne Zweifel wurde dadurch auch das Geld einiger lesewilliger Leute auf den Pfad rein körperlicher Erfrischung gelenkt. Wir zogen betreffs der Frage des Urheberrechtes in bezug auf die Farbe einen Anwalt zu Rate, mußten aber erfahren, daß die Rechtslage für einen Prozeß zu unbestimmt war.
Von diesem geringfügigen Ärgernis abgesehen, begann unser Unternehmen ganz ordentlich. Ich erinnere mich an jene Phase meines Lebens als an eine besonders glückliche. Die Blettsworthys haben sich seit jeher keineswegs über Handelsgeschäfte erhaben gedünkt, sondern sind stets bemüht gewesen, einen veredelnden Einfluß auf diesem Gebiete auszuüben, und ich sah bereits, wie sich die Blettsworthy-Buchhandlungen (Blettsworthy & Graves) über das Land ausbreiten und in der geistigen Welt eine ebenso nützliche und ehrenhafte Aufgabe des Austausches und der Anregung leisten würden, wie die Blettsworthy-Bank im Westen Englands. Ich sah mich das Unternehmen in ideeller Hinsicht leiten und fördern, ohne dabei in allzu starkem Maße in die praktisch geschäftlichen Unternehmungen eines emsigen, zielbewußten und vielleicht energischeren Partners verwickelt zu werden. Mein Leben sollte durch die strahlende Anwesenheit meiner Olive Glanz gewinnen, und die zahlreichen Mußestunden, die mir zuteil werden mußten, sobald das Geschäft erst in Gang gekommen sein und von selber laufen würde, sollten der Pflege meiner ästhetischen und geistigen Gaben gewidmet werden, an deren Vorhandensein ich nicht zweifelte, wiewohl ich ihre besondere Art erst noch ausfindig zu machen hatte.
Ich berichte hier von den geheimen Gedanken eines jungen Mannes, von den hochfliegenden und umfassenden Plänen, mit denen die Jugend dem Leben begegnet. Nach außen hin betrug ich mich mit geziemender Bescheidenheit, ließ anderen ihren Vorrang und ihre Vorteile, machte höflich Platz und bestritt die Ansprüche derer, die mit mir zu wetteifern schienen, niemals. Mein Herz aber war von Selbstsicherheit erfüllt. Ich hielt mich für einzigartig und außerordentlich und meinte, daß meine Umgebung, eben weil es meine Umgebung war, ebenfalls außerordentlich sei. Ich sah einen Lebensweg voll hoher Verantwortlichkeit vor mir liegen. Graves galt mir als vortrefflicher Partner und erstaunlich fähiger Kopf, wenn auch die besten Teile unseres Planes meinem Hirn entsprungen waren. Und meine Olive Slaughter mit den blassen Lippen und den amethystfarbenen Augen war ein glühender Topas, ein feuriger Opal; keusch und leidenschaftlich zugleich, ehrlich und doch geheimnisvoll, war sie ein Geschöpf von außergewöhnlicher Lieblichkeit, dessen man dereinst im Zusammenhang mit mir gedenken sollte; sie sollte, auf ähnliche wenn auch legitimere Art mit mir verknüpft, gleich der Gioconda neben Leonardo späteren Geschlechtern ein leuchtender Stern sein.
Ich besitze kein Porträt, das mich in jener letzten vollkommen glücklichen Phase meines Lebens darstellte. Ich glaube nicht, daß sich meine Selbstzufriedenheit und mein ungeheurer Ehrgeiz in meiner äußeren Erscheinung verrieten. Höchstwahrscheinlich sah ich nicht anders aus als irgendeiner von den erfreulich jungen Jünglingen, die es damals in England gab. Jedenfalls dachte ich nicht nur von mir und den Meinen gut, sondern von der ganzen Welt. Und die Blase meiner Selbstgefälligkeit sollte so bald und so grausam angestochen werden, daß es niemand nötig hat, an meinem damaligen Glück Anstoß zu nehmen.
Ich mußte für einige Tage nach London fahren, um verschiedene geschäftliche Angelegenheiten zu regeln. Meine Rechtsanwälte, eine altmodische Firma, die schon meinen Onkel beraten hatte, waren in der Kritik meines neuen Unternehmens über ihre beruflichen Rechte ein wenig hinausgegangen, und ich gedachte sie in bezug auf Graves zu beruhigen. Überdies hatte ich es mir in den Kopf gesetzt, Olive eine Halskette aus grünen, in Gold gefaßten Jadesteinen zu schenken, die ich nach genauen Angaben arbeiten lassen wollte. Auch war einer der Blettsworthys aus Sussex im Begriff zu heiraten, und ich wollte bei seiner Hochzeit nicht fehlen. Ich hatte mir vorgenommen, im ganzen vier Tage auszubleiben, als ich jedoch am dritten Tage der Hochzeit meines Vetters beigewohnt hatte, erfaßte mich plötzlich die Lust, einen Tag früher nach Oxford zurückzukehren und Olive durch mein unerwartetes Erscheinen am nächsten Morgen zu erfreuen. Wir waren nunmehr offiziell verlobt; ihre Mutter hatte mich mit großer Freude und einem Kusse als künftigen Schwiegersohn aufgenommen; ich konnte Olive nun unverhohlen Geschenke machen, und so nahm ich einen wunderschönen Blumenstrauß mit, der meine kleine Überraschung festlicher gestalten sollte.
Ich fuhr am späten Nachmittag von London ab, aß im Zug mein Abendbrot und begab mich, in Oxford angekommen, zu unserem neuen Laden, zu dessen Straßentür ich einen Schlüssel hatte, um dort mein Rad zu holen. Oben in Graves Wohnzimmer war kein Licht, woraus ich schloß, daß er ausgegangen sei. Ich betrat den Laden, vermutlich geräuschlos, und anstatt einfach nur mein Rad zu nehmen, verweilte ich einige Minuten und betrachtete die unübertrefflich schöne Ausstattung des Geschäftes. Nur wenige Läden hatten damals Armstühle und einen großen mit Büchern belegten Tisch aufzuweisen, wie eine Klub-Bibliothek. Schließlich bemerkte ich, daß hinten im Bureau eine der grün beschirmten Lampen brannte; ich dachte, daß Graves sie vergessen habe, und ging hinein, um sie auszulöschen.
Das Büro war leer, doch auf dem großen, Graves gehörigen Schreibtisch lag ein aus mehreren Bogen bestehender, unvollendeter Brief. Ich warf einen Blick darauf und sah die Worte: »Mein lieber Arnold.« Warum um alles in der Welt hatte er mir einen Brief geschrieben? Wo er mich doch täglich sah. Ich empfand es in keiner Weise als Unrecht, mich auf seinen drehbaren Armstuhl zu setzen und den Brief zu lesen.
Erst las ich flüchtig, bald aber mit angestrengter Aufmerksamkeit.
»Gewisse Dinge werden am besten brieflich erörtert«, hob das Schriftstück an; »und ganz besonders Fragen, die Zahlen betreffen. Du wirst stets ein wenig ungeduldig, wenn es sich um Zahlen handelt …«
Was sollte da kommen?
Ich hatte den Tag zuvor zwei recht unangenehme Stunden in Lincoln’s Inn verbracht, um die Finanzierung unserer neuen Gesellschaft gegen Angriffe zu verteidigen, die mir als altmodische Verdächtigungen erschienen waren. Der alte Ferndyke (Ferndyke, Pantoufle, Hobson, Stark, Ferndyke & Ferndyke), der ein Schulkamerad meines Onkels gewesen und mütterlicherseits ein Blettsworthy war, hatte Ansichten über Graves vorgebracht, die mir die Erwiderung: »Aber Sir, das kommt ja geradezu einer Einflüsterung gleich« abzwangen. Darauf hatte er geantwortet: »Keineswegs! Es ist noch immer üblich, solche Fragen zu stellen.«
»Im Falle meines Freundes Graves ist es überflüssig«, hatte ich gesagt, und der alte Herr hatte die Achseln gezuckt.
Merkwürdigerweise hatte ich mir dieses Gespräch während der folgenden Nacht, in der ich ungewöhnlich schlecht schlief, etliche Male wiederholt, und im Zuge war es mir nach dem Abendbrot wieder in den Sinn gekommen. Als ich nun den nächsten Satz des Briefes las, klang es mir aufs neue deutlich in den Ohren.
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