Wobei ich zugeben muss: Nachdem ich Deine zweite Mail gelesen habe, hat es mich schon gejuckt, Dich noch ein wenig zappeln und Dich tatsächlich erst mal Deinen Job mit Lea machen zu lassen.
Aber dann habe ich es selbst nicht mehr ausgehalten. Ich bin nämlich auch froh, wieder von Dir zu hören, Du Stoffel. Hättest Du Dich nicht selbst mal überwinden können, wenigstens dieses eine Mal?
Aber so, wie es jetzt gekommen ist, ist es auch gut. Werten wir es mal als glückliche Fügung des Schicksals.
Will sagen: Frieden.
Zu Lea: Na ja, so ganz akzeptiere ich Deine Entschuldigung nicht. Auch wenn sie vor ein paar Jahren weggezogen ist, ich kenne sie länger als Dich. Sie ist in der gleichen Straße aufgewachsen wie ich, wir haben zusammen unsere Puppen spazieren gefahren, sind Seite an Seite in die Grundschule getrippelt. Unser Kontakt zueinander ist nie abgerissen, das hättest Du eigentlich noch wissen können. Ist aber auch mal wieder typisch für Dich, so hörst Du eben zu.
Doch auch wenn Du das alles nicht gewusst oder vergessen hast, hättest Du Dich ihr gegenüber nicht ganz so arschlöchrig verhalten müssen. Gehst Du so mittlerweile mit all Deinen Kunden um? Lea schreibt, Du hättest Dich kaum auf sie konzentrieren können, nur Blödsinn gelabert und hinter anderen Weibern hergeschaut – Bruno! Also wirklich.
Aber ich verlass mich darauf: Du wirst ihr jetzt was Schönes suchen. Ich habe nicht mehr den Überblick über unser Angebot, auch nicht die Zeit, mich mal bei uns einzuloggen, aber ich erwarte, dass Du das erste Sahnestückchen, das Du reinkriegst, jetzt erst mal Lea zeigst, bevor Du’s bei Immoscout reinstellst.
Ich muss es aber noch mal sagen: Wie kannst Du nur hinter anderen Weibern herschauen und die attraktive Frau, die Dir gegenüber sitzt, ignorieren? Nur, weil Du damals keine Chance bei ihr hattest? Die Zeiten ändern sich, mein Freund. Glaub mir, mittlerweile findet sie Dich gar nicht mehr so übel, aber genug jetzt. Ich will nicht den Eindruck erwecken, ich wollte sie mit Dir verkuppeln, das törnt Dich doch nur ab, ich kenn Dich doch.
Was mich angeht: Mir sitzen derzeit weder attraktive Männer gegenüber noch habe ich das Gefühl, dass mir welche hinterherschauen, wenn ich morgens durch die Straßen haste – der Lärm ist selbst am frühen Morgen schon ohrenbetäubend.
Mittlerweile hat auch der Sommer begonnen. Und der ist in NYC wirklich die Hölle. Hitze und Abgase stauen sich in den Häuserschluchten, es ist, als brutzele die Stadt unter einem riesigen Brennglas. Tagsüber zumindest. Die Nächte dagegen sollen herrlich sein, und das Freizeitangebot ist, wie mir die Mädels im Büro erzählen, gigantisch. Ein kaltes Bier im Bryant Park, Chillen auf Governors Island, Rummel auf Coney Island, Konzerte im Amphitheater an der Jones Beach – hört sich alles verlockend an, aber unter der Woche? Am nächsten Morgen will das Frollein aus Germany doch wieder ausgeschlafen sein, anders kennt man es doch nicht. Manchmal fühle ich mich auch wirklich willens und erlebniswütig, wenn ich abends aus der vollklimatisierten Bank stürze. Aber dann laufe direkt in diese hupende Hitzewand, fange an, um Luft zu ringen, und erreiche gerade noch lebend meine Wohnung. Möge niemals die Klimaanlage ausfallen. Wie immer will ich mich am Wochenende aufraffen, die Stadt endlich zu meiner machen.
Mag sein, dass ich mir das alles ein wenig anders vorgestellt habe. Broadway-Shows und Bars, Jazz-Keller, Shopping Malls mit endlosen Rolltreppen, Galerien und Museen, und jeden Abend spät nach Hause im gelben Taxi. Ist ja auch alles da, und ich bin mittendrin. Und dennoch ist es mir so fremd, so fern.
Aber still. Jammern gilt nicht. Sonst kommt mein Bruno und erklärt, dass ich mich nicht zu beklagen habe, denn ich selbst habe es ja genau so gewollt. Stimmt ja auch. Ich werde durchhalten, will und werde es hier schaffen, werde ein freches, frivoles „Sex and the City“-Girl werden, das samstagmorgens mit seinen Freundinnen beim Caffè Latte sitzt und über den Kerl herzieht, den es am Abend zuvor vernascht hat.
Ich glaube, ich brauche einfach so was wie eine Initialzündung. Einen Kick. Von mir aus auch in der wörtlichen Übersetzung: einen Tritt, ja, gerne auch in den Hintern. Kann ja vielleicht nur ein ganz leichter, sanfter sein. Getreten mit nackten, gepflegten Zehen. Von einem intelligenten, kultivierten Mann, der durchaus auch gut aussehen darf, den Big Apple in- und outside kennt und ihn mir öffnet.
Ich weiß, das klingt jetzt nicht sehr emanzipiert. Aber es fällt verdammt schwer, hier einfach so alleine loszuziehen. Auch wenn die Mädels im Büro immer sagen, New York sei die Stadt der Singles und es sei überhaupt kein Problem, auf eigene Faust was zu unternehmen.
Ab und zu schaffe ich es, frühmorgens joggen zu gehen. In der Morgenluft habe ich das Gefühl, freier atmen zu können. Ich laufe dann die Lower East Side entlang, Richtung Battery Park. Fast immer begegne ich dabei einem jungen Glatzkopf, der die gleiche Strecke läuft, und mich jedes Mal freundlich anlächelt, wenn er mich sieht.
Mit freundlich meine ich: nicht aufdringlich, auf die Art: „Na, Süße, wie wär’s mit uns beiden?“. Mein Glatzkopf – nein, kein muskelbepackter Skinhead, sondern ein zartgliedriger, fast ein bisschen zerbrechlicher – lächelt nur verschämt, nickt mir sogar kurz zu, wendet dann aber sofort den Blick von mir, damit er ja nicht in den Verdacht kommt, mit mir flirten zu wollen. Ein Schüchterner halt. Die waren mir schon immer lieber.
Ja, ich weiß, hör bitte auf zu grinsen. Es ist so. Du hast damals auch nicht gerade versucht, mich im Sturm zu nehmen, und das war Dein Glück.
Ab und zu treffe ich ihn, da stretcht er gerade an einer Parkbank oder bindet sich die Schuhe. Fast könnte ich glauben, er hätte auf mich gewartet.
Solche Typen sind mir jedenfalls lieber als alles, was so bei uns im Büro herumläuft. Ich meine, es gibt sie schon, die durchtrainierten, gutaussehenden Maßanzugträger mit den markigen Gordon-Gekko-Kinnen. Aber die mustern mich, als tauge ich bestenfalls für einen Stehfick auf der Toilette.
Nach meinem Ausrutscher mit Mark schienen übrigens auch ein paar zu glauben, ich sei dafür leicht zu haben. Entsprechend Deinen Befürchtungen – oder sollte ich besser schreiben: freudigen Erwartungen? – hat sich mein One-Night-Stand anscheinend flächendeckend herumgesprochen. Natürlich spricht mich niemand drauf auf, aber ich spür’s halt. Scheiß Gefühl.
Ich werd jetzt als so was wie Freiwild angesehen. Da kommt es schon mal vor, dass sich einer beim Smalltalk in der Kaffeeküche eine Spur zu heftig an mich randrängelt – und dann gespannt wartet, ob das Frollein aus Germany zu hyperventilieren beginnt. Das ist aber noch zu ertragen, wenn die Typen attraktiv sind und nach teurem Rasierwasser riechen. Schlimmer ist die Sorte der verschwitzten Fettsäcke, die den väterlichen Freund gibt. Sie schleicht sich bevorzugt von hinten an, wenn ich am Kopierer stehe, fingert mir dann mit der Rechten um die Hüfte, während sie mir mit der Linken bedeutet, wie man an dem Gerät die Papierformate verändert. Ist diese Sorte dann fertig mit ihrem Vortrag, verschwindet sie erst mal für eine Weile – ich vermute, um sich an einem stillen Ort Erleichterung zu verschaffen.
Das sind, wie Du sicher gerade feststellst, keine idealen Voraussetzungen für eine grundsätzlich promiskuitiv konditionierte Mittdreißigerin, die ihre wiedererlangte Freiheit gerne stilvoll ausleben würde. Ich bin aber gerade dabei, mich in eine kleine Kaffeeklatsch-Clique zu integrieren, in der sogar schon ein, zwei Mal der Gedanke auftauchte, man könne doch auch nach Feierabend mal etwas unternehmen, vielleicht ja sogar mal zusammen ins SOB’s. Ob da jedoch konkret was draus wird, weiß ich nicht. Die Mädels fahren zum Teil eine Dreiviertelstunde U-Bahn, bis sie zu Hause sind. Da werden sie eine Feierabendtour kaum bis in die Puppen ausdehnen wollen.
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