Und ich? Ich habe plötzlich Angst allein in der großen Stadt, verstoße aus Verzweiflung sogar gegen meine Prinzipien und lande in meiner schönen, neuen, freien Welt prompt mit einem Typen auf der Couch der mich an meinem Arbeitsplatz unmöglich macht. Ist das nicht großartig, ist das nicht gerecht? Haha!
Aber nein, der Witz reicht meinem lieben Bruno ja nicht einmal. Er unterstellt mir sogar, ich hätte „die Nummer“ sogar nur erfunden. Weil sie zu „stylish“ gewesen sei, um wahr zu sein. Wie scharfsinnig. Glaubst Du, Deine Begegnungen mit der Königin der Nacht lesen sich glaubwürdiger?
Du kannst unbesorgt sein: Dieser Mark mit dem schönen Mund existiert tatsächlich. Gemeldet hat er sich nach der Nacht nicht mehr, ich weiß, findest Du auch saukomisch, ganz wunderbar, geschieht mir recht, vielen Dank auch. Und mit Deinem Verdacht, dass unsere kleine Romanze jetzt in der Bank die Runde macht, könntest Du auch richtig liegen. Da bin ich nämlich schon ganz allein draufgekommen, ob Du’s glaubst oder nicht.
Ja, ich war schön blöd. Aber ich erlaube mir, Dir das ganz ohne jeden Unterton zu sagen. Ich will dafür weder Spott noch Häme ernten, noch nicht einmal Mitleid, sondern ich will lediglich einen Menschen weiter an meinem Leben teilhaben lassen, der mir in den vergangenen fünf Jahren so nahe war wie noch nie jemand zuvor.
Beziehungsweise: Ich wollte ihn weiter an meinem Leben teilhaben lassen.
Wenn Du aber in diesem Stil mit mir weitermachen willst, hör einfach auf, mir zu schreiben. Ich komme hier schon zurecht, auch allein, ich werde diese Stadt für mich erobern oder sie wird mich erobern. Und ich werde mich im April nächsten Jahres bei Dir melden und fragen, ob es wie verabredet bei unserem Wiedersehenstermin bleibt. Den möchte ich mir nämlich nicht nehmen lassen, auch nach diesem großkotzigen Geschreibsel eben nicht.
Bis dahin kann ich Dir nur sagen: Pass auf, wo Du da hineingerätst. Nein, ich bin nicht neidisch oder eifersüchtig, ich gönn Dir jedes Liebesabenteuer, das Du Dir mit Deiner Brunophantasie ausmalen kannst, aber diese Geschichte ist einfach zu abgefahren. Die geht nicht gut aus, glaub mir.
Und denk dran: Das schreibt Dir nicht die, die das Schweigen liebt, sondern Vera. Die, die mal Deine Vera war. Und Vera heißt Wahrheit.
Von:sundowner
Betreff:Einmal mehr: Danke!
Datum:2. Juni 2011 08:04:23 MESZ
An: meretseger
Vermutlich langweile ich Sie mit meinen Danksagungen an jedem Morgen „danach“ nur, aber sehen Sie es mir, wie so vieles, einfach nach. Wie sagt doch der Volksmund: Wem das Herz voll ist, dem quillt der Mund über.
Auch wenn Sie es nicht mehr hören können: Einmal mehr sage ich danke für die wundervollen Stunden gestern. Wenn ich Sie wäre, würde ich mich gar nicht einmal so sehr an dem ständigen „Danke“ stören, sondern an den jämmerlichen Attributen, die ich immer und immer wieder absondere: „großartig“, „überwältigend“, „einzigartig“, „unvergesslich“ – ist immer wieder dieselbe Leier, ich weiß. Aber mir fallen einfach keine Worte ein, die Ihnen gerecht werden.
Keine Angst: Ich werde heute auch nicht versuchen, Sie zu einer Antwort auf eine Frage zu nötigen, die Sie ohnehin wieder als dämlich erachten würden.
Stattdessen möchte ich Sie ermuntern, mich zu fragen. Gibt es nichts, was Sie von mir wissen möchten? Über mich? Eindrücke, die Sie mit mir teilen möchten? Empfindungen? Vielleicht stellen Sie mir ja klügere Fragen, als ich Ihnen stelle.
Keine Angst: Das soll kein „Fishing for Compliments“ sein. Es ist vielmehr so: Wenn wir zusammen sind, spüre ich eine Nähe zwischen uns, die mehr als nur körperlich ist. Warum sollen wir diese Nähe nicht auch auf einer höheren, geistigen Ebene suchen, finden und gemeinsam erleben? Finden Sie nicht, dass wir uns das schuldig sind, gerade weil wir auf der körperlichen Ebene so ungeheuer Überwältigendes – schon wieder dieses langweilige, nichtssagende Wort – erleben?
Oh, das waren jetzt doch wieder Fragen von meiner Seite. Aber ich glaube, Sie waren nicht so dämlich wie meine vorangegangen. Ich bin gespannt auf Ihre Reaktion.
Von:meretseger
Betreff:Re.: Einmal mehr: Danke!
Datum:2. Juni 2011 09:17:54 MESZ
An: sundowner
Auch ich habe den Abend mit Ihnen sehr genossen. Wie jeden Abend mit Ihnen. Daher auch von mir ein Dankeschön.
Vielen Dank auch für Ihr Angebot, Ihnen Fragen zu stellen. Wenn ich einmal ein Bedürfnis nach verbaler Kommunikation haben sollte, werde ich nicht zögern, mich an Sie zu wenden.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Von:sundowner
Betreff:Einmal mehr: Danke!
Datum:2. Juni 2011 09:25:03 MESZ
An: meretseger
Nun ja – nicht gerade erschöpfend, Ihre Replik. Aber immerhin: Ihre Formulierung „verbale Kommunikation“ lässt mich aufhorchen. Es wäre töricht zu glauben, dass sie einfach ungeschickt oder ungelenk ist, nicht, wenn sie von Ihnen stammt. Damit habe ich nun für eine Weile zu grübeln.
Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Tag.
Von:lea75.groninger@gmx.de
Betreff:Bruno
Datum:30. Juni 2011 3:12:53 EDT
An: bigapple
Hi, Vera,
na, alles im Lot bei Dir da drüben? Kannst Du mittlerweile ruhig schlafen zwischen den Lichtern der Großstadt?
Mann, wie ich Dich beneide ...
They say the neon lights are bright in broadway, they say there’s always magic in the air ...
So sehr ich Dir viele lange Nächte am Broadway wünsche – ich wär froh, wenn ich endlich mal wieder zur Ruhe käme. Vorgestern: Morgens Anwaltsgespräch in Stuttgart wegen Scheidung, dann mit Vollgas zurückgebrettert, weil: 14 Uhr Vorstellungsgespräch wegen Job. Wird aber nichts. Für das, was die zahlen wollen, kann ich auch putzen gehen.
Abends wieder brave Tochter geben. Diesmal haben sie mich im Verein der Wanderfreunde rumgezeigt. Ich wollte lieber auf der Couch liegen bleiben und in die Glotze schauen. Diskutiert, festgestellt, dass beide schwer beleidigt sind, wenn ich nicht mitgehe, eingelenkt, Jacke angezogen und mitgewackelt.
Altersdurchschnitt im Vereinsheim: gefühlte 130 Jahre über mir.
Die reservierten, aber intensiven Scans der Frauen ertragen und die altersgeilen Blicke der Männer. Mann, ist das hart, mit fünfunddreißig noch mal bei seinen Eltern leben zu müssen. Ich kann es kaum erwarten, wieder für mich zu sein. Und ich arbeite daran. Wie an so vielem in diesen Tagen. Und an allem arbeite ich gleichzeitig.
Danke nochmals für die Kontaktdaten von Bruno. Habe mich gestern mit ihm getroffen. Mein Gott, war der reserviert. Wir sind nach der Besichtigung noch kurz in den Biergarten gegangen. Hatte ihn eingeladen. Dachte, wir quatschen noch ein bisschen, über früher, über ihn, über Euch beide, darüber, wie es ihm geht, seit Du weg bist.
Schien ihn aber alles nicht zu interessieren. Er antwortete immer nur in knappen Worten, ein, zwei Mal versuchte er, von den Themen abzulenken, auf die ich ihn bringen wollte, indem er mir lustige Episoden aus seinem Berufsleben erzählte. Dabei ging es immer um den Beziehungsknatsch, den er bei seinen Wohnungssuchenden so erlebt. Den scheint er echt lustig zu finden. Ansonsten wirkte er so teilnahmslos, dass ich zeitweise dachte, er wäre hinter seiner megaouten Fliegersonnenbrille eingepennt. Ab und zu blickte er der Bedienung oder anderen Frauen hinterher.
Mann, ich dachte eigentlich, ich hätte eine gewisse Wirkung auf Männer. Aber bei Deinem – darf ich ihn überhaupt noch „Deinen“ nennen? – Bruno könnte ich glatt vom Glauben abfallen.
Читать дальше