„Doch, das weiß ich jetzt. Ich hatte fünf wunderschöne Tage hier, aber nun vermisse ich unser Leben dort. Eigenartig, wie man sich in so kurzer Zeit verändern kann …“
Dann wechselte sie das Thema: „Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet: was machst du hier?“, verlangte sie neugierig zu wissen.
Schelmisch antwortete er: „Dich retten! Du sahst vorhin so verloren aus …Aber Spaß beiseite, ich bin tatsächlich deinetwegen hier. Ich hatte ohnehin in München eine Zwischenlandung auf dem Rückweg von Amerika. Und nachdem ich das Gefühl hatte, dass du dich nur nicht getraut hast, mich zu fragen, ob ich dich auf die Hochzeit deiner Freundin begleite, wollte ich dich überraschen.“ Er strahlte sie an.
Gerührt sah Carina ihn an. Sie brauchte nichts zu sagen, ihr Blick reichte, um ihm zu bestätigen, dass er einmal wieder voll ins Schwarze getroffen hatte.
Dann sah er ihr tief in die Augen und fuhr fort: „Und noch einen zweiten Grund gibt es. Ich habe einen Plan!“ Als Carina ihn fragend ansah, beugte er sich zu ihr hinunter und flüstere ihr ins Ohr: „Ich werde dich heute Abend mit in mein Hotelzimmer nehmen. Das Bett dort hat eine sehr praktische metallene Zierleiste am oberen Ende. Dort werde ich dich festbinden. Und dann werde ich dich so verrückt vor Lust machen, dass du mich anflehen wirst, es dir zu besorgen …“ Er richtete sich wieder ein Stück auf und suchte wieder ihren Blick. Seine Augen waren eine Nuance dunkler geworden. Ein Zeichen seiner Erregung. Sie konnte an der Lust in seinem Blick sehen, dass er es ernst meinte und fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sofort wurde es in ihrem Schritt heiß und am liebsten hätte sie mit ihm die Feier auf der Stelle verlassen. Erst dann wurde sie sich bewusst, dass er wieder einmal absolut den Macho hatte heraushängen lassen. Keine Frage, ob sie das auch wollte – das setzte er einfach voraus. Und ein wenig wütend schnaubte sie: „Niemals! Ich bettle nicht um Sex.“ Amüsiert hatte Rayan das Wechselspiel ihrer Gefühle beobachtet. Jetzt lachte er auf: „Ach nein? Da erinnere ich mich aber an etwas anderes. Damals …“ In Carinas Kopf machte sich eine Szene breit, die sich vor einigen Monaten in Zarifa ereignet hatte und das Rot in ihrem Gesicht wurde noch intensiver. Mit einem kräftigen Ellbogenkick in seinen Magen brachte sie ihn zum Schweigen. Er quittierte es mit einem Lachen und zog sie an sich. Langsam neigte er seine Lippen zu ihr herunter und küsste sie dann so zärtlich, dass sie froh war, dass er sie festhielt. Denn nun war sie diejenige mit den weichen Knien.
Erst eine kleine Ewigkeit später lösten sie sich voneinander.
Carinas Freundinnen verfolgten jede ihrer Bewegungen, als wenn sie vor dem Fernseher säßen und eine Seifenoper anschauten. War das dort wirklich die Frau, die sie seit ihrer Schulzeit kannten? Wo nur hatte sie dieses Prachtexemplar von Mann gefunden? Sie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Ende Juni 2015 – Zarifa: Bergwelt – Ein schlagkräftiges Argument
Am nächsten Morgen packten sowohl Rayan als auch Aleser bereits frühmorgens ihre Sachen zusammen. Der junge Tarmane hatte sich entschieden, dass er auf jeden Fall erst einmal mit seinem Herrn zurück ins Tal reiten würde. Einerseits, da sein Proviant für heute alle war und zum Zweiten, weil ihm die Lust auf Training erst einmal vergangen war. Er ahnte, dass der Scheich recht hatte, wenn er sagte, dass ihm diese Ausflüge nur deshalb so wichtig waren, weil er im tiefsten Inneren nicht dazu bereit war, sein altes Leben aufzugeben. Er war kein Bäcker und würde nie einer sein. Was machte er sich vor? Und was sollte er nun tun? Er hatte erhofft, dass ihm der Nachtschlaf eine Antwort verschaffen würde, doch als er am Morgen erwachte, war er genauso schlau wie am Abend zuvor.
Rayan spürte, was in dem Jungen vorging und ließ ihn in Ruhe. Er konnte Aleser den Entschluss nicht abnehmen. Auch ihm selbst war in seinem Leben sein Stolz immer wieder im Weg gestanden, manche Entscheidungen würde er heute sicherlich anders treffen. Als er zu diesem Schluss gekommen war, fiel ihm etwas ein, das bei der Entscheidungsfindung helfen konnte.
Er legte sein Obergewand ab, und trat auf den Jungen zu: „Ich will dir etwas zeigen, was noch nicht viele Menschen gesehen haben. Manche habe ich deshalb sogar getötet …“ Dann drehte er sich um, zog sein T-Shirt nach oben und ließ Aleser seinen Rücken sehen. Wie erwartet schnappte der 18-Jährige hörbar nach Luft, als er die grausigen Narben sah. Er brauchte nicht zu fragen, was diese Art von Spuren hinterlassen hatte.
Schnell zog der Scheich sich wieder vollständig an. Er trat dicht vor den Jungen, der sichtbar blass geworden war. Rayan sah ihm in die Augen. „Ein hoher Preis, den ich damals auch aufgrund meines Stolzes bezahlt habe. Glaubst du nicht, wenn ich es überstehen konnte, dass du es auch kannst? Mich wollte man damals auf diese Weise langsam und grausam töten. Da war ich drei Jahre jünger als du jetzt. Und keine Angst: die Peitschen, die bei uns für die Bestrafung verwendet werden, sind weicher. Es wird schmerzhaft - aber es werden wohl kaum Narben bleiben.“ Grimmig lächelnd fügte er hinzu: „Ich will schließlich nicht, dass andere auch so herumlaufen müssen wie ich.“
Dann packte er wortlos seine Sachen auf sein Pferd und stieg auf. Aleser stand noch einen Moment wie vom Donner gerührt da, dann beeilte er sich, seinem Herrn zu folgen. Er fand, dass das Gezeigte ein durchaus schlagkräftiges Argument war.
Anfang August 2015 – USA: Flughafen Charlotte - Ein guter Plan
Tatsächlich beobachteten beide Männer Rayan noch, nachdem er das Büro verlassen hatte, wie er sich auf den Weg in Richtung Ausgang machte.
„Das ist ja nochmal gut gegangen“, schnaufte der zuständige Officer der Homeland-Security erleichtert. „Ich glaube, er nimmt uns die Behandlung nicht übel. Endlich einmal einer, der Verständnis für unseren Job hat.“
„Kein Wunder“, dachte sich der Texaner, „weil er Dreck am Stecken hat. Von wegen ‚Verständnis‘. Ich würde mich auch ‚verständnisvoll‘ zeigen. Alles andere führt zu weiteren Untersuchungen und damit zu mehr Fragen.“ Doch er behielt seine Meinung für sich. Seine Nase sagte ihm immer noch deutlich, dass er den richtigen Mann hatte und daher die Geschichte des „amerikanischen Managers“ erstunken und erlogen sein musste. Aber er war klug genug, einzusehen, dass dies nicht der richtige Ort und Zeitpunkt war, darauf zu beharren.
„Ja was für ein Glück. Bin echt erleichtert“, sagte er stattdessen laut. „Ich war mir so sicher, den Typen damals in Saudi Arabien getroffen zu haben. Naja, ich werde halt auch alt“, setzte er einen Witz hinterher und wie erwartet lachte sein Kollege gutmütig mit.
Dann verabschiedeten sich die beiden und Burt begab sich zurück auf seine Position. Seine Schicht hatte schließlich eben erst angefangen. Wenn er nachher Pause hatte, würde er Arthur anrufen und ihm von ihrem alten Bekannten berichten. Der würde ihm zum einen sicher Glauben schenken – im Gegensatz zu seinem Kollegen - zum anderen kannte der eine Menge Leute, die würden sich sicher mal umhören. Ja, das war ein guter Plan.
Anfang September 2015 – München – Je später der Abend …
Wieder einmal war Carina von der Vielseitigkeit Rayans fasziniert. Immer, wenn sie glaubte, sie würde jetzt alle Seiten von ihm kennen, packte er eine neue aus. Diesmal war es die „Normalo-Seite“, wie sie sie heimlich taufte.
Nachdem sie sich noch einige Minuten lang im Pavillon unterhalten hatten, waren sie zum Tisch zurückgekehrt. Carinas Befürchtungen, dass das Zusammentreffen mit ihren Freundinnen ein Desaster werden würde, zerstreuten sich innerhalb weniger Minuten. Rayan war charmant und wich allen brisanten Fragen so geschickt aus, dass keine der drei es realisierte. Mit Gegenfragen brachte er sie dazu, stattdessen von sich zu erzählen. Er sprach in fehlerbehaftetem Englisch und streute hier und da wenige deutsche Worte aus, als hätte er diese mühsam von Carina neu gelernt, was die Mädchen als besonders charmant auslegten. Alles in allem schien er sich in dieser Rolle gut zu amüsieren. Seine mangelnde Auskunftswilligkeit bemerkten die drei Damen nicht.
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