Die Hausherrin breitet die muffige Decke auf dem Fußboden aus und zieht den Toten darauf. Eiskalt werden Feudel und Eimer genommen, um das Blut vom Boden aufzuwischen.
Ein kurzer Blick auf die Uhr: kurz nach vier. Es wird also noch lange dauern, bis Hermann nach Hause kommt. Triumphierend setzt sie sich auf den Stuhl und raucht genüsslich Zigaretten, kostet diesen Moment so richtig aus.
Dann, nach einer Weile, als das Blut um die Stichwunden schon etwas getrocknet ist, wickelt sie die Leiche ganz in die Decke ein, schaltet das Licht im Keller an und packt ihr unglückliches Opfer, um es die Kellertreppe hinunterzuziehen. Doch sie unterschätzt dessen Gewicht, welches es sich in den letzten Wochen - ausgehungert wie er war - angeeignet hat. ln dem Augenblick, wo sie das Bündel von der ersten auf die zweite Stufe schleifen will, rutscht ihr der Stoff aus den Fingern. Hildegard Brunisch verliert das Gleichgewicht und — kann gerade noch eine Holzstange des Geländers greifen, an der sie sich festhält, sonst wäre sie von der schweren Last mitgerissen worden.
Während der Tote die steile Treppe hinunterpoltert, rollt er aus der Decke, um mit einem markerschütternden Rumps unten aufzuschlagen.
Zornig steigt die Furie hinab: »Musst du verfluchter Kerl mir denn immer Schwierigkeiten machen!« Wütend wird ihm ein Tritt versetzt. »Na, jetzt bist du wenigstens unten!«
Sie umhüllt Anton erneut mit der Decke und schleift ihn in den Kellerraum, wo altes Gerümpel herumsteht. Dort legt sie den leblosen Körper hin und versteckt ihn notdürftig. Nun sucht sie Stufe für Stufe die graue Zementtreppe ab, ob nicht doch irgendwo ein Blutfleck hingespritzt ist. Aber es ist keiner zu finden.
Sorgfältig kalkulierend geht Frau Brunisch ins Schlafzimmer und packt die meisten Sachen ihres Mannes in zwei Koffer, um diese ebenfalls im Keller zu verstecken. Beinahe wäre das Rasierzeug aus dem Badezimmer vergessen worden.
Dann holt sie den Hund herein. Aber als das Tier in den Flur kommt, jault es laut los und springt immer wieder an die Kellertür.
»Hans, ruhig! Sitz!«
Doch der Vierbeiner gehorcht einfach nicht. Seine feine Nase scheint genau zu riechen, was unten im Keller liegt!
Die Mörderin nimmt jetzt einen Stock und beginnt, auf ihn einzuschlagen. Einen Moment lässt der Hund von der Tür ab. Doch gleich darauf folgt lautes Bellen, und er tritt erneut auf die Tür ein!
Schließlich sieht die Frau - in ihrer Wut - keine andere Lösung, um das Vorgefallene geheimzuhalten, als abermals zum Fleischmesser zu greifen und das Tier ebenfalls niederzustechen!
Anschließend trägt sie den Kadaver vor die Terrasse.
Später, als der Sohn nach Hause kommt, beweist sie abermals ihr ausgeprägtes Talent, Lügengeschichten aufzutischen: »Hermann, es ist etwas passiert.«
»Was denn, Mutter?«
»Dein Vater hat uns verlassen.«
Die Verblüffung ist verständlicherweise groß: »Was? Wo ist er denn hingegangen?«
»Das hat er nicht gesagt. Aber ich muss dir leider noch eine schlechte Nachricht mitteilen: Hans ist tot.«
»Was? Wieso?«, fragt er verstört.
»Dein Vater hat ihn getötet, bevor er gegangen ist.«
»Oh, dieser verdammte Schuft! Mutter, wie konnte er das bloß tun?«
»Ja, dein Vater ist eben ein hartherziger Mann.«
»Aber wie ist denn das alles überhaupt gekommen?«
»Na, er hat wieder rumgesoffen, und wir haben uns gestritten. Den Hans hat das natürlich aufgeregt, so dass er laut gebellt hat. Plötzlich hat der besoffene Kerl das Fleischmesser aus der Schublade genommen und auf den armen, hilflosen Hund eingestochen, so lange bis er tot war. Dann hat er gesagt, dass er nicht mehr mit uns zusammen leben will und dass er gehen will, bevor du nach Hause kommst. Er hat seine Sachen gepackt und ist abgehauen.«
»So was Komisches«, urteilt der Sohn mit schüttelndem Kopf.
»Ich bin so fertig von all der Aufregung. Deshalb habe ich Hans erst einmal vor die Terrasse gelegt. Nachher will ich ihn begraben.«
»Ich verstehe das gar nicht. Wie konnte uns Vater das nur antun?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass er ein hartherziger Mann war. Ich kann so was ja auch nicht verstehen. Vielleicht hat er im Krieg so viel erlebt, dass er einen Dachschaden bekommen hat. Du weißt ja, dass er säuft, und dann hat er eben keine Kontrolle mehr über das, was er tut.«
»Aha, also der Scheiß-Alkohol.«
Zufrieden über sich selbst, dass sie dem Jungen die Story glaubwürdig erzählt hat, bestätigt sie ihm noch mal: »Ja, der Alkohol. Das Getränk des Teufels!«
Doch nach einem Augenblick des Schweigens bohrt er weiter nach: »Aber trotzdem: Wie kann man nur so was machen? Und warum?«
»Nu’ hör aber auf!«, entgegnet sie ungeduldig. »Ich hab’ jetzt genug mitgemacht! Was ich brauche, ist Ruhe und nicht deine ewige Fragerei! Frag mich nicht immer dasselbe! Ich habe dir eben alles genau erzählt. Mehr kann ich dir auch nicht sagen! Was willst du denn noch?!«
»Was ist denn mit dir los?«, entweicht es leichtsinnigerweise dem offenherzigen Halbwaisen.
»Ach, auch noch frech werden! Überhaupt geht das nicht mehr so weiter mit dir! Jetzt, wo dein Vater nicht mehr da ist, erlaube ich nicht mehr, dass du dich so viel mit deinen Freunden draußen herumtreibst!«
»Aber ...«, will er sich verteidigen.
»Nichts da "Aber"! Jetzt werden andere Seiten aufgezogen, mein Bürschchen!«, wettert es ihm entgegen. »Ich habe dir bis heute viel zu viel durchgehen lassen! Damit ist nun Schluss! Du siehst ja selbst, was aus deinem Vater geworden ist! Willst du etwa auch so werden wie er?!«
»Nein, Mutter.«
»Siehst du! Also muss ich aufpassen, dass aus dir nicht auch so ein Säufer und Herumtreiber wird! Denn ich will dich zu einem anständigen Menschen erziehen!«
»Aber ...«
»Hast du verstanden?!«
»Ja, Mutter.«
»So ist es brav, Hermann. Also, wir werden jetzt noch etwas zu Abendbrot essen. Dann werde ich den Hund begraben, und du gehst artig ins Bett, verstanden?«
»Ja, Mutter. Darf ich ihn denn noch kurz ansehen, um mich wenigstens noch von ihm zu verabschieden, wo sich doch Vater nicht einmal bei mir verabschieden wollte? Ich will auch für ihn beten.«
»Na gut. Wenn du es verkraften kannst, ihn so zu sehen, dann bitte. Aber nicht, dass du dann wieder Alpträume hast und nicht schlafen kannst!«
»Nein, nein. Ich werde schon keine Alpträume davon haben. Ich bin doch kein Baby mehr«, versichert er.
»Dann ist es ja gut. Aber mach nicht so lange!«
Nachdem sich der Junge das tote Tier angesehen hat, wird zu Abend gegessen. Es ist ein schweigsames Mahl. Hermann nimmt kaum etwas zu sich, da es ihn doch ziemlich mitgenommen hat, das erkaltete Lebewesen blutbeschmiert vor sich liegen zu sehen. Und da die frischgebackene Witwe sich von seinen staunenden und beobachtenden Blicken gestört fühlt, befiehlt sie alsbald: »Du isst ja doch nichts mehr. Also, geh ins Bett!«
»Ja, Mutter. Das werde ich Vater nie verzeihen!«
»Also, vergiss nicht, vor dem Einschlafen noch einmal für den armen Hans zu beten!«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Und denk daran: Deine Mutter hat heute so viel Ärger gehabt. Ich muss mich ausruhen und brauche dringend Ruhe! Deshalb will ich heute nichts mehr von dir hören! Hast du mich verstanden?«
»Ja natürlich, Mutter. Gute Nacht!«
»Gute Nacht, Hermann!«
Hildegard Brunisch ist froh, als ihr Sohn endlich im Bett liegt, denn sie hat viel zu tun. Zuerst nimmt sie denselben alten Spaten, mit welchem bereits Anton damals ihren Geliebten verscharrt hat und begräbt den Hund vor der Terrasse.
Sobald der Kadaver unter der Erde liegt, fängt es zu regnen an. Die Frevlerin geht rein, um eine Weile Geduld zu üben. Denn es ist auch noch nicht dunkel genug für die weitere Arbeit. Und sie will sicher sein, dass Hermann wirklich tief schläft. Abwartend setzt sich die hartgesottene Person auf die Couch im Wohnzimmer, um abermals das Aroma einiger Glimmstengel in sich hineinzuziehen. Regentropfen knistern an der Fensterscheibe und laufen an dieser hinunter. Während die Meuchlerin genüsslich den Rauch aus dem Mund in die Luft bläst, fällt ihr Blick auf eines der alten Fotos, welche auf dem Büfett stehen. Davon schaut ihr Anton eindringlich entgegen. Das Bild wird dort weggenommen und in eine Schublade gelegt.
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