Marty Fridz
Weihnachtliche Episoden aus dem (vielleicht) wahren Leben
Vier Adventsgeschichten
Marty Fridz
Copyright: © 2017 Marty Fridz
Lektorat: Erik Kinting | www.buchlektorat.net
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Die Tage vor Weihnachten
1
Warum müssen unsere türkischstämmigen Mitbewohner immer lautstark hupend im Schneckentempo durch die Hauptstraßen der Stadt fahren, wenn sie sich entschlossen haben, den Bund fürs Leben einzugehen? Wollen sie jedem vermeintlichen Konkurrenten ein für alle Mal klarmachen, dass jeglicher Versuch, mit der Braut oder dem Bräutigam anzubändeln, spätestens ab jetzt völlig nutzlos ist? Werden die bösen Geister, Neider und Gegner dieser Beziehung durch den Höllenlärm, den die Fanfaren verursachen, tatsächlich verscheucht? Es betätigt ja nicht nur das Brautpaar die Hupe in der, oft genau für diesen Anlass angemieteten, Ein- bis Zwei-Sterne-Luxusdroschke. Nein, auch sämtliche Familienmitglieder nebst Anhang und Freunden, die brav in der Kolonne hinter dem Pärchen hergondeln, beteiligen sich lautstark am Verscheuchen der bösen Geister.
Ich persönlich finde das ja eigentlich ganz niedlich, schließlich ist es für die Betroffenen ein besonderes Ereignis, egal ob es das erste Mal ist oder nicht. Wenn sie bloß nicht immer meine wichtigsten Verkehrsverbindungen durch derartige Veranstaltungen lahmlegen würden!
Ich erinnere mich noch sehr genau an eine Situation, in der ich es wieder einmal sehr eilig hatte. Es lag selbstverständlich nicht an mir, dass ich so spät dran war. Es gab Gründe, die hier nichts zur Sache tun. Jedenfalls fuhr ich in meinem sternbehafteten Auto hinter einem extrem aufgemotzten 3er-BMW her. An dessen Fahrerseite baumelte außen ein stark behaarter Arm mit goldener Uhr am Handgelenk herunter. Die Aufmachung suggerierte mir, dass es sich hierbei mit Sicherheit um einen dieser reifenquietschenden Ampelstarter handeln musste, welche natürlich die nur für Busse und Taxifahrer freigegebenen Fahrspuren nutzten. Aufgrund meiner Terminprobleme käme mir das diesmal sehr entgegen, wäre doch dann die Spur vor mir frei. Der Besitzer des stark behaarten Armes machte allerdings keinerlei Anstalten, sich seinem Image gemäß zu verhalten und auf die Busspur zu wechseln. Ich wurde nun doch etwas nervös. Auf nichts kann man sich heutzutage mehr verlassen.
Vielleicht tat ich ihm aber auch unrecht. Er hatte möglicherweise nur Schwierigkeiten, an dem vor ihm fahrenden Pkw vorbeizukommen. Ein Indiz dafür mochte sein, dass er ständig hupte. Während wir uns einer grünen Ampel näherten, die ich unbedingt noch erwischen wollte, drückte auch ich auf die Hupe. Mein Vordermann unternahm jedoch keinerlei Anstrengungen, das Tempo zu erhöhen. Vielmehr lächelte er freundlich in seinen Rückspiegel und besaß außerdem die Unverfrorenheit mir mit der rechten Hand, die ja wohl eigentlich gefälligst an das Lenkrad gehört, zuzuwinken.
Ich gebe hier gerne zu, dass ich anfing, mich ein ganz klein wenig zu ärgern. Na gut: Ich wurde stocksauer! So etwas musste ich mir nicht bieten lassen! Wenn derartige Herrschaften so viel Zeit haben … Ich jedenfalls muss arbeiten. Ich habe Verantwortungsbewusstsein. Ich kann es mir nicht erlauben, entspannt und lässig über den Ku‘damm zu tuckern und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Wer weiß, wie dieser Typ vor mir sein Geld verdient? Sicherlich nicht mit ehrlicher Arbeit! Wie hätte er sonst so viel Zeit sich tagsüber in der von ihm gewählten Art und Weise über eine der bekanntesten Berliner Einkaufsmeilen zu bewegen?
Ich konnte nicht anders, als meinen Frust über diese Situation durch ständiges Hupen zum Ausdruck zu bringen. Ich wollte die vor mir herkriechende Schnecke einfach nur verjagen, sie wegpusten. Was mich während dieser ganzen Aktion zusätzlich in Rage versetzte war, dass selbst die Passanten auf der Straße sich nicht sonderlich an meinen lautstarken Verzweiflungstaten störten, sondern mir freundlich lächelnd zuwinkten.
Das war zuviel. Schwitzend und mit erhöhtem Puls scherte ich nach rechts aus. Wollen wir doch mal sehen, was auf so einer Straße wie dem Kurfürstendamm geht und was nicht. Gott sei Dank gab es ja noch die Busspur. Die war grad frei, was mir sehr gelegen kam.
Die Ampel sprang auf Rot und ich musste meinen angesetzten Überholversuch durch heftiges Bremsen abbrechen, was ein ohrenbetäubendes Quietschen der Reifen verursachte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie einige Passanten zusammenzuckten. Aha, geht doch! Haben wir jetzt endlich mal begriffen, was Lärm ist?
Ich atmete schwer, als ich an der Ampel direkt neben dem 3er-BMW stand. Unmerklich schielte ich zu ihm rüber. Aus dessen rechten Seitenfenster hing ebenfalls ein stark behaarter Arm mit einem dicken silbernen Armband am Handgelenk. Die Finger spielten mit einer Gebetskette.
Rot … Gelb … jetzt galt es! Die Signalanlage sprang auf Grün. Ein kurzer Verkuppler, heftiger Satz nach vorne, kurzes Eintauchen in die Vorderachse … mein Oberkörper wippte ruckartig in Richtung Lenkrad. Erneutes Kuppeln, Vollgas. Der Wagen schoß nach vorne, mein Oberkörper schoß nach hinten. Die Reifen quietschten bestialisch. Die Passanten an der Fußgängerampel sprangen erschrocken zurück und zeigten mir einen Vogel. »Vollidiot!«, hörte ich jemanden schreien. Ich vermutete, dass damit nur der BMW-Fahrer gemeint sein konnte, der mich überhaupt erst zu dieser Aktion genötigt hatte.
Ich jagte die Busspur entlang, auf der Suche nach einer geeigneten Lücke, in die ich mich wieder in die zugelassene Verkehrsspur einordnen könnte. Natürlich waren alle Autofahrer, die ich nun überholte, richtig sauer auf mich. Anders konnte ich mir deren ständiges Hupen nicht erklären.
Ich näherte mich einem weißen Mercedes der S-Klasse. Als ich mich auf dessen Augenhöhe befand, sah ich kurz hinüber. Auf dem Rücksitz saß ein unglaublich hübsches Mädchen. Der Kleidung nach zu urteilen, war sie wohl zu einer Hochzeit unterwegs. Obwohl sie es sicherlich auch eilig hatten, das entnahm ich dem dauernden Gehupe des Chauffeurs, lächelte sie zu mir herüber. Mir wurde ganz warm ums Herz.
Siedend heiß wurde mir, als ich das plötzlich vor mir auf der Busspur stehende Taxi sah. Mit kreischenden Bremsen kam ich gerade noch hinter der Droschke zum Stehen. Der Passant, welcher in diesem Moment in das Taxi steigen wollte, sah mich mit entsetzten Augen an und bedeutete mir mit wischenden Handbewegungen vor der Stirn, dass ich offenbar nicht alle Tassen im Schrank hätte.
Ich versuchte, mich wieder in die für Normalsterbliche zugelassene Fahrspur einzuordnen, die hupende Schlange auf dieser nahm aber irgendwie kein Ende. Nach geraumer Zeit sah ich dann endlich, wie jemand die Lichthupe betätigte, um mir die Möglichkeit zu eröffnen, mich in die Spur einzureihen.
Überglücklich, dass ich endlich weiterfahren konnte, bedankte ich mich wohlerzogen winkend bei meinem Gönner. Im Rückspiegel sah ich dann, wie zwei behaarte Arme aus einem hupenden 3er-BMW fröhlich zurückwinkten.
Ich hupte freundlich zurück.
Das überschwängliche Hupen auf der Rheinstraße reißt mich aus meinen nostalgischen Erinnerungen. Diese türkischen Hochzeitskolonnen werden auch immer länger. Irgendetwas klingt heute jedoch anders, als sonst, bei derartigen Veranstaltungen: Es ist ein brummender Grundton, der den Fanfarenklang untermalt.
Ich konzentriere mich auf das Geräusch. Plötzlich durchzuckt mich die Erkenntnis: Der Ton ist mir, als Fahrer eines Motorrades aus dem berühmten Werk in Minnesota, selbstverständlich vertraut – es ist der typische Sound einer Harley Davidson . In diesem Fall allerdings nicht nur eines, sondern vieler Motorräder des hier in Rede stehenden Herstellers. Ich stelle den selbstgezauberten Latte macchiato mit ordentlich Milchschaum auf dem Küchentisch ab und stürme auf die, meiner Meinung nach, einsturzgefährdete Loggia meiner derzeitigen Behausung im dritten Obergeschoss eines Altbaus. Unten fahren hunderte weihnachtlich geschmückte Motorräder im Konvoi an mir vorbei. Es sind nicht alles amerikanische Modelle, es gibt auch deutsche, italienische und japanische. Die Fahrer haben sich größtenteils als Weihnachtsmänner verkleidet. Ihre Motorräder sind mit blinkenden Lichterketten und Christbaumkugeln aufgebrezelt. Einige haben kleine leuchtende Tannenbäumchen auf den Sozius geschnallt. Das gab sicher Ärger mit der Stammbesetzung, die sich jetzt wohl grollend ins heimische Wohnzimmer zurückziehen musste, weil Herr Göttergatte unbedingt seinen Weihnachtsbaum spazierenfahren wollte. Die Passanten bleiben stehen. Viele winken der fröhlich hupenden Kolonne zu.
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