Man suchte vielleicht noch emsiger, als es die erhabenen Erben getan hatten, aber es war vergebens. Es waren noch zwei Paläste und eine Villa hinter dem Palatino vorhanden; zu jener Zeit hatten jedoch die unbeweglichen Güter einen geringen Wert, und die beiden Paläste und die Villa verblieben der Familie als der Raubgier des Papstes und seines Sohnes unwürdig. Monate und Jahre verliefen, Alexander VI. starb vergiftet, man weiß durch welchen Mißgriff; zugleich mit ihm vergiftet, wechselte Cäsar nur die Haut, wie eine Schlange, und nahm eine neue Hülle an, worauf das Gift Flecken, denen ähnlich, die man an einem Tigerfelle sieht, zurückließ. Als er sich endlich gezwungen sah, Rom zu meiden, wurde er, ein fast vergessener Mann, in einem nächtlichen Scharmützel getötet. Nach dem Tode des Papstes und der Verbannung seines Sohnes erwartete man allgemein, die Familie würde wieder in fürstlichem Glanze erscheinen, den sie zur Zeit des Kardinals besessen hatte; aber dem war nicht so. Die Spada blieben in einem zweifelhaften Wohlstande, ein beständiges Geheimnis ruhte auf dieser dunkeln Angelegenheit, und es ging das Gerücht, Cäsar, ein besserer Politiker, als sein Vater, habe dem Papst das Vermögen des Kardinals gestohlen.
Scheint Ihnen dies, unterbrach sich Faria lächelnd, sehr unsinnig?
Oh! mein Freund, sagte Dantes, es kommt mir im Gegenteil vor, als läse ich eine interessante Chronik. Fahren Sie fort, ich bitte Sie!
Die Familie gewöhnte sich an diesen Zustand der Dinge. Jahre vergingen. Von den Nachkommen wurden die einen Soldaten, die andern Diplomaten; diese Geistliche, jene Bankiers; die einen bereicherten sich, die andern richteten sich vollends zu Grunde. Ich komme zu dem letzten der Familie, zu dem Grafen Spada, dessen Sekretär ich war. Oft hörte ich ihn über das Mißverhältnis seines Ranges und seines Vermögens sich beklagen und riet ihm deshalb, das wenige, was ihm blieb, in Leibrenten anzulegen; er folgte diesem Rate und verdoppelte dadurch seine Einkünfte. Das berühmte Brevier war in der Familie geblieben, und der Graf Spada besaß es damals, da es immer als Reliquie vom Vater auf den Sohn übergegangen war. Es war ein mit den schönsten gotischen Figuren ausgemaltes Buch und so schwer an Gold, daß es an großen Festtagen stets ein Diener vor dem Kardinal hertrug.
Bei dem Anblick von Papieren aller Art, von Verträgen und Pergamenten, die man im Familienarchiv aufbewahrte, und die insgesamt von dem vergifteten Kardinal herrührten, machte ich es mir, wie zwanzig Sekretäre vor mir, zur Aufgabe, diese gewaltigen Stöße nach dem Testament zu durchforschen. Trotz meiner emsigen und gewissenhaften Nachsuchungen fand ich durchaus nichts; alles war vergeblich; ich blieb erfolglos und der Graf arm. Mein Patron starb. Er hatte von seiner Leibrente seine Familienpapiere, seine aus fünftausend Bänden bestehende Bibliothek und sein berühmtes Brevier ausgenommen; er vermachte mir dies alles nebst tausend römischen Talern, die er in barem Gelde besaß, unter der Bedingung, alljährlich Messen lesen zu lassen und einen Stammbaum, sowie eine Geschichte seines Hauses zu entwerfen, was ich auch gewissenhaft ausführte. Im Jahre 1807, einen Monat vor meiner Verhaftung, am 25. Dezember, las ich zum tausendsten Male die Familienpapiere, die ich in Ordnung brachte. Da der Palast nunmehr einem Fremden gehörte, war ich im Begriff, von Rom zu scheiden, um mich in Florenz niederzulassen, wohin ich meine Bibliothek und mein berühmtes Brevier mitnehmen wollte, als ich, ermüdet durch das anhaltende Lesen und mißgestimmt durch ein unverdauliches Mittagsessen, meinen Kopf in beide Hände fallen ließ und entschlummerte. Es war drei Uhr nachmittags. Ich erwachte, als die Uhr sechs schlug. Sobald ich den Kopf emporhob, sah ich, daß ich mich in der tiefsten Finsternis befand. Ich klingelte, damit man mir Licht bringe, niemand kam. Nun beschloß ich, mich selbst zu bedienen, nahm mit einer Hand die Kerze, die bereit stand, und suchte mit der andern ein Papier, das ich an dem im Herde noch glimmenden Feuer anzuzünden gedachte. Aber aus Furcht, in der Dunkelheit ein kostbares Papier statt eines unnützen zu nehmen, zögerte ich, als mir einfiel, daß ich in dem berühmten Brevier, das auf dem Tische neben mir lag, ein altes vergilbtes Papier gesehen hatte, welches ohne Zweifel als Buchzeichen gebraucht und Jahrhunderte hindurch aus Ehrfurcht von den Erben an seinem Platze gelassen worden war. Ich suchte tastend nach diesem Papier, fand es, wickelte es zusammen, streckte es nach der Flamme aus und zündete es an; doch unter meinen Fingern sah ich, je mehr das Feuer zunahm, wie durch einen Zauber gelbliche Schriftzeichen auf dem weißen Papier hervorkommen und auf dem Blatte erscheinen. Da erfaßte mich der Schrecken; ich drückte mit beiden Händen das Papier zusammen, erstickte das Feuer und zündete sodann die Kerze unmittelbar am Herd an; mit einer nicht zu schildernden Bewegung öffnete ich das zerknitterte Schreiben und erkannte, daß die Buchstaben, die erst in der Hitze zum Vorschein kamen, mit einer geheimnisvollen Tinte geschrieben worden waren; etwas über ein Drittel des Papiers hatte die Flamme schon verzehrt. Es ist das Papier, das Sie heute morgen gelesen haben, Dantes; lesen Sie es noch einmal, und ich werde Ihnen dann die abgebrochenen Sätze vervollständigen.
Und triumphierend bot Faria das Papier Dantes, der diesmal gierig die mit einer rötlichen, rostähnlichen Tinte geschriebenen Worte las:
»Heute, den 25. April 1498 zum
Alexander VI. und befürchtend, nicht zu
ließ, wolle sie von mir erben und be
und Bentivoglio, welche an Gift
meinem Universalerben, daß ich vergr
mit mir besucht hat, nämlich in
Insel Monte Christo, alles, was ich
Diamanten, Juwelen, bes
dieses Schatzes, der sich auf zwei Mil
allein bekannt ist, und daß er ihn find
zwanzigsten Stein von der Bucht öst
Zwei Oeffnungen sind in diesen Grott
Der Schatz liegt in der entfernt
und diesen Schatz vermache ich ihm und trete
einzigen Erben.
25. Apr. 1498.
Cä . . .
Nun lesen Sie das andere Papier, sagte der Abbé und reichte Dantes ein zweites Blatt mit Bruchstücken von Zeilen.
Und nun halten Sie die Bruchstücke aneinander und urteilen Sie selbst, fügte er hinzu, als er sah, daß Dantes zu der letzten Zeile gelangt war.
Dantes gehorchte; aneinander gehalten, gaben die beiden Bruchstücke folgendes:
»Heute, den 25. April 1498, zum . . . Mittagessen eingeladen
von Seiner Heiligkeit Alexander Vl. und befürchtend, nicht zu . . .
frieden damit, daß sie mich meinen Hut bezahlen ließ, wolle sie von
mir erben und be . . . reite mir das Schicksal der Kardinäle Caprara
und Bentivoglio, welche an Gift . . . starben, erkläre ich meinem
Neffen Guido Spada, meinem Universalerben, daß ich vergr . . . aben
habe, an einem Orte, den er kennt, weil er ihn mit mir besucht hat,
nämlich in . . . den Grotten der kleinen Insel Monte Christo, alles,
was ich . . . an Goldstangen, gemünztem Golde, Edelsteinen, Diamanten,
Juwelen bes . . . aß, daß das Vorhandensein dieses Schatzes, der sich
auf zwei Mil . . . lionen röm. Taler beläuft, mir allein bekannt
ist, und daß er ihn find . . . en wird, wenn er den zwanzigsten Stein
von der Bucht öst . . . lich angefangen weggehoben hat. Zwei Öffnungen
sind in diesen Grotten . . . angebracht worden. Der Schatz
liegt in der entfernt . . . esten Ecke der zweiten; und diesen Schatz
vermache ich ihm und trete . . . ich ihm in das volle Eigentum ab,
als meinem einzigen Erben.
25. Apr. 1498.
Cäsar Spada.«
Nun, begreifen Sie endlich? fragte Faria.
Ja, tausendmal ja. Wer hat es wieder so hergestellt?
Ich, der mit Hilfe des übriggebliebenen Bruchstückes den Rest erriet, indem ich die Länge der Zeilen mit denen des Papiers maß und in den verborgenen Sinn mittels des dem Auge Sichtbaren eindrang.
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