Sie reißt das zweite Paket auf und bedeckt den Rest seines Gesichtes. Kein Luftzug aus seiner Lunge bewegt das weiße Pulver.
Verreck dran!
25.September
Darf ich Sie fragen wer verschieden ist?
Niemand ist gestorben.
Lilli zieht ihre schwarzen Spitzenhandschuhe aus, während der junge Bestatter sie kurz von Kopf bis Fuß mustert. Bis jetzt hat er diese Frage noch keinem Kunden gestellt, seriös versucht er sich ein fröhliches Grinsen zu verkneifen.
Möchten sie den Sarg für sich selbst kaufen?
Nein, er ist für einen Freund der Familie. Er hat schon einen, aber mein Vater geht bald in den Ruhestand und ich denke, für die lange Reise braucht er einen kompakteren. Ich habe den weißen Sarg in ihrem Schaufenster gesehen, ich weiß er würde es nicht öffentlich zugeben, aber er steht auf weiß.
Verwirrt aber professionell beginnt der Bestatter das Verkaufsgespräch.
Ja, der ist sehr stilvoll und stabil. Haben Sie sich schon Gedanken über den Innenraum gemacht? Dort hinten steht das gleiche Modell.
Lilli und der Bestatter gehen ein paar Schritte zu der eleganten Holzkiste. Der Verkäufer öffnet routiniert den Deckel.
Der ist jetzt ganz in weiß, aber ultramarinblau passt auch sehr gut dazu. Wir haben auch vergoldete Griffe, aber das ist Geschmackssache.
Nein, kein Gold, er hat seine eigene Vorstellung von Luxus. Ich nehme ihn so wie er hier steht. Können Sie ihn als Geschenk einpacken?
Das … das ist unser Vorführmodell. Haben Sie es denn so eilig?
Ich schiebe nicht gerne Sachen vor mir her.
Lilli öffnet ihre kleine flache Handtasche und zieht eine Geldklammer hervor.
Liefern Sie den Sarg auch?
Ja, selbstverständlich.
Sie öffnet die Klammer, zieht einen Zehner heraus und drückt dem Verkäufer das restliche Geld in die Hand.
Liefern Sie auch ins Ausland?
Ja, das geht auch. Wohin sollen wir ihn liefern?
Rumänien. Haben Sie was zu schreiben?
26.September
Hallo Lilli, es ist total toll, dass du da bist. Wir haben hier so selten Freiwillige, also manchmal kommen junge Mädchen und gehen mit kleinen Hunden Gassi, weißt du, ihre Eltern verbieten ihnen ein eigenes Tier oder sie sollen erst einmal üben. Mein Vater hat mir auch damals einen Hund verboten, aber ich habe gebettelt und gebettelt und gebettelt, bis er nachgegeben hat. Jetzt habe ich drei Hunde. Ich hatte auch mal eine Mieze, aber Herr Schnüffelmann hat sich nicht mit ihr vertragen. Hattest du als Kind schon Hunde?
Ja, ich hatte drei.
Das hätte ich auch damals gerne gehabt. Gleichzeitig oder nacheinander?
Lillis rechter Mundwinkel zieht sich leicht nach oben.
Das ging so ineinander über.
Die leicht untersetzte Mitarbeiterin des ländlichen Tierheims öffnet die Gittertüre.
Hier haben wir die kleinen Hunde. Wir haben auch einen Dalmatiner, aber der kann fast nicht mehr laufen. Wirklich ein armes Geschöpf.
Die zweite Gittertüre öffnet sich.
Hier haben wir die größeren Hunde, die meisten sind völlig umgänglich, aber sie sind alt oder krank. Es ist heutzutage sehr schwer für uns, die Tiere zu vermitteln. Die Leute wollen Welpen und keinen lahmenden Greis mit chronischer Augenentzündung. Und? Hast du dir schon einen neuen Freund ausgesucht?
Lilli sieht auf die schwere, graue Metalltüre in der Ecke des Raumes.
Was ist hinter der Tür?
Die Tierpflegerin stockt kurz.
Das ist … weißt du, wir nennen das den Eingang zum Hundehimmel. Das sind die Unvermittelbaren.
Darf ich sie sehen?
Ja, ok, warum nicht, aber sei vorsichtig.
Sie drückt die Klinke herunter. Dumpfes Hundegebell schallt bedrohlich durch den Rahmen. Vor den beiden liegt ein grauer, kalter Flur. Nur durch zwei kleine Oberlichter fällt ein wenig Licht in den Raum. Die Schritte der beiden Frauen, hallen kommentarlos über die abgenutzten Fliesen, während die zweite Metalltüre unter dem tiefen Bellen der aggressiven Tiere zittert.
Nächsten Mittwoch werden sie alle eingeschläfert.
Wut kocht in Lilli hoch.
An einem Mittwoch?!
Leicht verstört antwortet die leicht watschelnde Frau.
Ja, da kommt der Tierarzt.
Das Bellen wird lauter. Die Pflegerin hält ihr die Türe auf.
Geh nicht zu nah ran!
Lilli tritt in den grauen Raum. Die Hunde verstummen sofort und weichen an die Wände ihrer Zwinger zurück. Die Angestellte des Tierheims steht mit offenem Mund im Türrahmen. Sie hat noch niemals Stille in diesem Raum vernommen, nicht einmal nachts.
Wie …, wie hast du das gemacht?
Lilli dreht sich zu ihr.
Mach die Tür zu! Von außen!
Aber … aber …
Lilli dreht sich wieder weg.
Mach die scheiß Tür zu, Bitch!
Die Hunde fangen an mit ihren Pfoten auf dem Boden zu scharren. Verängstigt verlässt die Tierpflegerin den Raum und joggt, auf der Suche nach ihrem Kollegen Achim, durch das Tierheim. Plötzlich fangen alle Hunde gleichzeitig an zu heulen. Gänsehaut schießt über ihren Körper.
Achim! Achim!
Achim, ein zwei Meter großer Mann mit einem Herzen aus Gold und einen Kopf voller Styroporchips, stürmt aus dem Lager.
Was ist passiert? Wurdest du gebissen?
Achim, komm schnell mit!
Sie joggt außer Atem zurück, Achim folgt ihr mit großen Schritten.
Was ist denn passiert?
Da … Da ist eine Frau, die …
Lilli tritt durch die schwere Metalltüre. Einen Schritt hinter ihr folgt einer der Unvermittelbaren. Das Tier ist vollkommen ruhig. Die Angestellten stoppen, sie starrt verängstigt auf den Hund, er sieht verwirrt zu der blassen Fremden.
Guten Tag, ich bin der Achim.
Guten Tag, Achim. Ich hätte gerne diesen Hund.
Das Tier ist leider sehr gefährlich, Sie hätten ihn gar nicht aus dem Zwinger lassen sollen.
Lilli streichelt dem Hund den breiten Schädel.
Er hat einen guten Beschützerinstinkt, aber er mochte seine Besitzer nicht.
Achim wird nicht schlau aus Lilli.
Was wollen Sie denn mit dem Hund machen?
Ich kenne eine junge Obdachlose, er wird sie mögen und sie wird ihn bald brauchen. Ich erspare dem Doktor eine Spritze. Sind wir damit quitt?
Achim kratzt sich den Kopf. Seine Kollegin hebt den Blick vom Hund zu Lilli.
Du musst da noch ein paar Sachen unterschreiben.
Der Hund fängt an laut zu knurren.
27.September
Lilli legt einen Hunderter auf die Theke des ganz in weiß gehaltenen Clubs. Der Barkeeper lächelt ihr freundlich zu.
Ich bin Martin, was darf ich ihnen geben?
Drei Finger hoch Jack Daniels mit zwei Eiswürfeln.
Martin greift nach der Eiszange und einem Bourbonglas. Er dreht sich zur Seite und wirft er die gefrorenen Würfel gekonnt, über seinen Rücken ins Glas. Er nimmt den Dosierverschluss von der halbvollen Flasche und lässt den Alkohol gemütlich über das Eis laufen.
Ich mag ihr Kleid, ihr ganzer Stil gefällt mir. Wissen Sie, ich kann schwarz nicht tragen, ich fühle mich dick in schwarz.
Der gut gelaunte Barkeeper setzt die Flasche ab und schiebt das reichlich gefüllte Glas zu Lilli.
Und sind Sie heut Abend auf der Jagd?
Lilli schwenkt das Eis am Rand des Glases entlang.
Ist das Jagen denn hier erlaubt?
Es ist sogar erwünscht. Gib's doch zu, ich sag »Du«, okay? Die Jungs stehen doch drauf, schwarzes Haar, blasse Haut, schwarze Klamotten. Du bist doch bestimmt tätowiert, oder? Glaub mir, ich war mit genug Männern zusammen, ich weiß wie die ticken. Ich persönlich steh ja mehr auf knackig braun. Jagst du nur Gitarristen und Motorradfahrer oder suchst du andere Qualitäten?
Lilli hebt ihren Drink an die Lippen und leert das Glas zur Hälfte. Der Barkeeper spricht weiter.
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