Aus dem akuten Schmerz ist ein chronischer Schmerz geworden. Das bedeutet: Der eigentliche Auslöser fehlt und es bleibt der Schmerz.
Unter „Schmerz-Dauerbeschuss“ verändern sich die Nervenzellen.
Diese Veränderungen sind einerseits biochemisch nachweisbar und andererseits hinterlassen sie Spuren im Aufbau der Zellen; dabei kommt der Aktivierung von „IE-Genen“ (IE = Immunitäts-Einheit / IE-Gen codierte Eiweißmoleküle / sie werden in den Nervenzellen des Gehirns gebildet und freigesetzt) eine Schlüsselrolle zu. Die sensiblen Nervenzellen sind ebenso ‚lernfähig’ wie die Großhirnrinde (cortex cerebri). Wenn die Nervenzellen immer wieder ‚Schmerzimpulsen/Schmerzreizen’ ausgesetzt werden/sind, verändern sie ihre Aktivität und Funktionsweise. Bei solch verändertem Schmerzempfinden reicht dann bereits ein Minimalreiz, um als Schmerzimpuls wahrgenommen und empfunden zu werden und diesen Impuls von einer Nervenzelle auf andere zu übertragen & weiterzuleiten. Diese Übertragung erfolgt auf die Nervenzellen-Synapsen durch „Botenstoffe“ (Neurotransmitter); gesteuert werden diese Botenstoffe durch die Menge an aktivierten IE-Genen (wenig IE-Gene Bremsung der Schmerz-Weiterleitung / viel Steigerung).
In Kurzform zur Entstehung und dem Mechanismus des Schmerz-Gedächtnisses:
1. Bei einem lokalen Schmerz (z.B. Knie) nehmen Nozizeptoren die Reize wahr und leiten sie über Nervenbahnen an das Rückenmark weiter;
2.In den Nervenzellen des RM entscheidet es sich, ob es evtl. zu einer Chronifizierung kommt;
3.Entscheidend sich dazu Rezeptoren mit einem offenen oder
geschlossenen Ionenkanal (= porenbildende Transmembran-Proteine, die elektrisch geladene Teilchen, Ionen, das Durchqueren der Bio-Membranen ermöglichen; werden auch als Kanal-Proteine bezeichnet. Der Transport erfolgt entsprechend dem Potenzialgefälle. Ionenkanäle sind, im Zusammenspiel mit anderen Transportproteinen, von universeller Bedeutung für Transportprozesse über die Membransysteme der Zelle. Dazu gehören die Regulation der osmotischen Aktivität, des Säure-Basen-Haushalts, die Aufnahme und Ausscheidung von Stoffen sowie die Erregungsleitung in Nervenund Muskel-Zellen);
4.Unter bestimmten Rezeptoren und Ionenkanälen an den Nervenzellen
werden akute Schmerzreize an das Gehirn weitergeleitet,
Der Schmerz ist ein WARNSIGNAL ;
5.Lang anhaltende oder besonders starke Schmerzreize verändern die
Nervenzelle; es bilden sich vermehrt Ionenkanäle und Rezeptoren aus, die schon bei schwachem Reiz und sogar ohne jeden Reiz Schmerzsignale an das Gehirn leiten; aus der physiologischen Nervenzelle ist eine Schmerz-Zelle geworden; das Schmerzgedächtnis hat sich etabliert;
6. Opioide (körpereigene) hemmen die Weiterleitung von Schmerzreizen und
unterstützen so die körpereigene Schmerz-Abwehr. Auf diese Weise kann die Ausbildung eines Schmerz-Gedächtnisses lange verhindert/verzögert werden.
Schmerz ist nicht gleich Schmerz!
Vielmehr in seinem Ausmaß (Intensität) und seiner Andauer wird Schmerz subjektiv empfunden & erlebt.
Das nennt man Schmerzerleben.
Nach Dr. Gerhard Opitz (Orthopäde & Schmerzmediziner, München) ist Schmerzerleben gekennzeichnet durch individuelle und mehr-dimensionale Faktoren (diese sollten unbedingt bei jeder Schmerz-Therapie gekannt & berücksichtigt werden!).
Schlüsselworte sind dabei u.a. Rational-Kognitive und Emotional-Affektive Schmerzkomponenten, somatomotorische und vegetative Reflex-Antworten, sympathische Nozireaktion, die dünn-myelinisierten A-Delta-Fasern, C-Fasern, A-Beta-Fasern, neuro-endokrine Regulationsstörungen und das individuelle Schmerz-Kontroll-System .
Nervenfasern, die Reize von äußeren Bereichen an das ZNS weiterleiten, nennt man afferente Nervenfasern . Leiten Nervenfasern umgekehrt Impulse leiten vom ZNS in periphere Bereiche, spricht man von efferenten Fasern .
Bei den „Nozizeptoren“ (Schmerz-Rezeptoren) ist zu differenzieren zwischen zwei verschiedenen Typen, welche für zwei völlig verschiedene „Schmerzarten“ zuständig sind:
a. Nozizeptoren mit A-Delta-Fasern sind schnell-leitende Fasern; sie verursachen und leiten weiter einen hellen & stechenden Schmerz (z.B. Nadelstich); wird auch als „1. Schmerz“ bezeichnet.
b. Nozizeptoren mit C-Fasern sind langsam-leitende Fasern, die
mehr einen dumpfen, tiefer-gelegenen Schmerz weiterleiten; dies wird auch genannt „2. Schmerz“.
Diese Feststellungen und Kenntnisse bedeuten:
Jeder Mensch hat sein, ihm eigenes, hoch-individuelles Schmerz-Empfinden (Schmerz-Wahrnehmung).
Das ist vom Behandler nicht objektiv zu erfassen bzw. nachzuweisen. Vom Therapeuten kann so nur eingeschränkt auf die „wirkliche“ Schmerzintensität rückgefolgert werden.
Hier ist der Patient gefragt:
Einmal durch die regelmäßige Dokumentation in einem sogen. „Schmerz-Tagebuch“ (diese Dokumentation ist eine unerlässliche Hilfe zum Krankheits- & bes. Therapieverlauf) und möglichst präziser Selbst-Beurteilung (mehrmals tgl.) des jeweiligen/aktuellen „Schmerz-Grades“ (SG = Schmerz-Intensität) unter Zuhilfenahme einer VAS (= Visuellen Analog-Skala).
Fazit:
Der SG drückt den Stellenwert aus, den der Schmerz aktuell für den Betroffenen hat!
Schmerzbeeinträchtigung:
Sie ist ebenfalls eine individuelle Festlegung durch den Kranken.
In knappen Worten:
Sie hängt ab einmal von der Andauer der chronischen Schmerzen, deren Schmerzgrad-Bandbreite (Spitzenwerte, durchschnittliche Werte) und deren Lokalisation und nicht zuletzt von der Ursache des Schmerzes (Traumafolge, OP-Folge, Phantom-Schmerz, psychogener Schmerz, Schmerz bei neurologischen Krankheiten und/oder bei Stoffwechselerkrankungen u.a.); aber auch von der Art & Belastung (z.B. unphysiologische Körperhaltung) unter der Arbeit.
Sprechen wir noch kurz über und zum Schmerz-Kontroll-System; korrekter von den beiden Systemen:
Das aktivierende absteigende supra-inhibitorische System und die segmental spinalen Hemm-Mechanismen .
Beim aktivierenden System verlaufen die Wege über Stimulation der aufsteigenden A-Delta- + A-Beta-Afferenzen. Das System gibt Kollateralen zum Mittelhirn (Mesencephalon) und zwar zum peri-aquaductalen Grau; von dort und dem Nucleus Raphe magnus (Raphekerne in der Medulla oblongata/verlängertem Mark & Tegmentum pontis/hinterer Teil der Brücke; sie bilden den wichtigen Neurotransmitter Serotonin! Sie haben Verbindung zum Limbischen System und zur Kleinhirnrinde) zum Hinterseitenstrang (Funiculus posterior medullae spinalis) und zum Hinterhorn des Rückenmarks (Cornu posterius medullae spinalis / zu den opioidergen = encephalinergen Interneuronen [d.s. „Schaltneurone“; zu unterscheiden zwischen hemmenden und erregenden = inhibitorischen]).
Zum hemmenden System: A-Delta-Fasern können ihren Kontakt zu inhibitorischen Interneuronen im Hinterhorn & Bereich ihrer Nerven-Endigungen „C-Fasern-vermittelte“ Schmerzen bremsen [Therapie-Optionen dazu: Akupunktur und Akupunktur-Injektionen, Kälte / aber auch über GABA-erge (Gamma-Amino-Buttersäure-vermittelte) Interneurone, die mit A-Fasern vernetzt sind (dadurch kommt es zur Blockade der ins Rückenmark/RM eintreffenden C-Fasern-Impulse)]. Gereizt werden können die A-Beta-Fasern durch z.B. Massagen, Lymphdrainagen, Chirotherapien (Manuelle Medizin, Osteopathie) und Bewegungs-Therapien; dadurch werden die zugehörigen inhibitorischen Interneurone angeregt.
Substanz „P“
„P“ von Pain (Schmerz).
Es handelt sich dabei um ein Neuro-Peptid und gehört zur Gruppe der Neurokinine (NK) (früher: Tachykinine); das Peptid besteht aus 11 Aminosäuren (eigentlich nur deren 8, aber einige mehrfach / Arginin-Prolin-Glutamin-Phenylalanin-Leucin-Methionin) und dazu angekoppelt NH 2.
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