Impressum:
Copyright Text: Ramona Mitsching, Diesterwegstraße 17A, 06128 Halle (Saale)
Umschlaggestaltung: designenlassen.de, Nürnberg
Alle Rechte vorbehalten.
Halle (Saale), Februar 2016
Diese Geschichte und der Ort der Handlung sind frei erfunden.
Namensgleichheiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind zufällig.
Ramona Mitsching
366 Tage
134
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14.Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
Es war schon das dritte Dorf, durch das sie fuhr und keinen Menschen zu Gesicht bekam. Einigermaßen irritiert blickte Isabell starr geradeaus. Gern würde sie anhalten und nach dem Weg fragen.
Das alte Auto, das sie steuerte, besaß kein Navigationssystem und die Straßenkarte bewahrte sie im Handschuhfach auf. Allerdings hatte sie wenig Lust, die heraus zu kramen und nachzuschauen.
Sie stand auf Kriegsfuß mit Landkarten. Und das schon seit der Zeit, als man ihr in der Schule im Geografie Unterricht versucht hatte beizubringen, wie man sich auf einer solchen Karte orientierte. Für sie waren die vielen Linien, Kreise und sonstigen Gebilde einfach nur verwirrend.
Isabell setzte den Blinker und suchte nach einer passenden Stelle am Straßenrand, wo sie den Wagen abstellen konnte, ohne im Weg zu stehen. Während sie einen Platz zum Halten ausfindig gemacht hatte, musste sie schmunzeln.
Wen sollte sie hier stören? Weit und breit waren weder ein Auto noch ein lebendiges Wesen auszumachen.
Sogleich kam ihr eine zweite Frage in den Sinn: Was nur hatte sie in diesen einsamen Landstrich verschlagen?
Der Wagen war zum Stehen gekommen. Isabell zog die Handbremse an und stellte den Motor ab. Dann schaute sie in den Seitenspiegel und sah: nichts. Schwungvoll öffnete sie die Tür und setzte ihren linken Fuß auf den Boden. Währenddessen achtete sie nicht auf ihren Rock, der in diesem Moment unanständig weit nach oben gerutscht war. Mit einer weiteren Bewegung hatte sie sich aus ihrer sitzenden Position befreit und stand nun neben ihrem Fahrzeug.
Ihr Blick ging zum Himmel. Die Sonne stand im Zenit. Es musste um die Mittagszeit sein.
Isabell hatte lange nicht mehr auf ihre Uhr geschaut. Sie kniff die Augen zusammen, aber es half nichts.
Wo hatte sie ihre Sonnenbrille hingelegt? Die war weder auf dem Armaturenbrett noch auf dem Beifahrersitz zu sehen. Isabell dachte nach und glaubte, sich zu erinnern: Sie hatte die Brille zusammen mit der Straßenkarte verstaut, was bedeutete, dass sie im Handschuhfach nachsehen musste.
Mit wenigen Schritten lief sie um das Fahrzeug herum und stoppte sogleich. Während sie nach einem geeigneten Platz zum Anhalten gesucht hatte, hatte sie nicht bemerkt, wie es am rechten Fahrbahnrand aussah. Hier würde sie mit ihrem Schuhwerk nichts ausrichten können. Ziemlich hoch wuchsen dort Disteln mit deutlich sichtbaren und gefährlich aussehenden Dornen.
Isabell musste es von der Fahrerseite aus versuchen.
Sie lief zurück und kniete sich mit ihrem rechten Bein auf den Fahrersitz. In diesem Moment bemerkte sie, wie ihr Rockstoff sich in Richtung ihrer Taille bewegte. Eine Sekunde lang zögerte sie, dann entschied sie sich, nichts zu unternehmen. Schließlich war sie hier allein. Mit dem ausgestreckten rechten Arm erreichten ihre Finger den Griff des Handschuhfaches. Sie öffnete es und musste noch ein Stück weiter heran rutschen, um hineinsehen zu können. Isabell sah das Etui obenauf liegen, nahm es heraus und beförderte anschließend ihren Körper aus dem Auto. Den Sitz ihres Rockes hatte sie vergessen. Wichtig allein war, endlich ihre Augen vor dem grellen Sonnenlicht schützen zu können.
Es kam einer Wohltat gleich, als sie die Dunkelheit vor ihren Pupillen spürte.
Isabell drehte ihren Körper um 180 Grad und sah: Die Dorfstraße war und blieb verwaist.
Sogleich schaute sie an sich herab und bemerkte, dass ihr Rock noch immer oberhalb des Erlaubten hing. Mit einem Griff zog sie den Stoff glatt und in eine Länge, die nicht als anstößig gelten konnte. Während Isabell zufrieden auf ihren Saum blickte, nahm sie ein Geräusch wahr.
Im Schatten des Baumes, wenige Meter vor ihr, hatte sich etwas bewegt und tatsächlich sah sie dort eine Bank stehen, auf der ein menschliches Wesen saß. Erst beim zweiten Hinsehen gelang es Isabell zu erkennen, dass es sich um einen Mann handelte. Sie zögerte einen Augenblick lang und fragte sich, was sie tun sollte. Wie lange schon hatte er dort gesessen und sie beobachtet?
Urplötzlich musste sie daran denken, dass er sich wahrscheinlich königlich darüber amüsiert hatte, wie sie halbnackt auf der Suche nach ihrer Sonnenbrille gewesen war. Vorsichtshalber fragte sie sich auch, was sie unter ihrem Rock trug. Erleichtert stellte sie umgehend fest, dass sie heute Morgen nicht nach einem String gegriffen, sondern sich für eine Variante mit mehr Stoff entschieden hatte.
Isabell blickte zum Baum. Der Mann bewegte sich nicht.
Er war doch nicht etwa tot?
Plötzlich fröstelte sie. Dann musste sie über sich selbst lachen. Er hatte sich bewegt. Allein dadurch war sie überhaupt auf ihn aufmerksam geworden. Sie fasste Mut und lief los. Bereits nach wenigen Schritten hatte Isabell den Baum erreicht.
Dank der Brille gelang es ihr, gegen das Sonnenlicht zu schauen und zu erkennen, dass sie es beileibe nicht mit einem Toten zu tun hatte: Der Mann war jung, vielleicht fünf Jahre älter als sie, somit Anfang dreißig und quicklebendig.
Sie stellte sich ihm gegenüber und sah ihm ins Gesicht. Er grinste ziemlich unverfroren, während sie an ihren Rock dachte und daran, wie nachlässig sie mit sich umgegangen war. Es war ein großer Fehler von ihr gewesen, zu glauben, dass sie allein gewesen war. Isabell entschloss sich, die Flucht nach vorn anzutreten und sagte mit deutlich fester Stimme: „Hallo, ich bin vom Weg abgekommen.“ Sogleich schalt sie sich. Schließlich war gar nicht klar, ob sie sich tatsächlich verfahren hatte. Und die Formulierung, vom Weg abgekommen zu sein, beinhaltete eindeutig eine Zweideutigkeit.
Isabell bemerkte, wie das Schweigen und Grinsen ihres Gegenübers sie irritierte. „Ich muss nach Recklitz“, fügte sie hinzu und sah, dass er nickte, wohl aber nicht die Absicht hatte, ihr zu antworten.
Isabell war kurz davor, auf dem Absatz kehrtzumachen und zu ihrem Auto zurückgehen zu wollen. Jemand, der nicht mit ihr reden wollte, war so hilfreich wie ein nichtvorhandenes Navi. Bevor sie jedoch ihre Überlegung in die Tat umsetzen konnte, hörte sie ihn sagen: „Du bist hier ganz richtig.“
Sie hatte den Klang seiner Worte vernommen. Norddeutsch, wie sie sogleich feststellte. „Ihr redet hier nicht so viel und so gern, oder?“, sagte sie mehr als sie fragte und erschrak. Was würde sie tun, wenn er jetzt gar nicht mehr sprechen würde? Schließlich wusste sie noch immer nicht, wie sie ihr Fahrziel erreichen konnte. Allein die Aussage, dass sie auf dem richtigen Weg war, löste ihr Problem nicht.
Sie sah ihn an und schwieg. Er hingegen schien mit ihrem Satz beschäftigt zu sein. Sein Gesichtsausdruck war ernst geworden. Plötzlich kehrte das Grinsen zurück und er sagte: „Du hast recht. Wir sind ein bisschen wortkarg. Das macht die Einsamkeit.“
Isabell war in diesem Moment sicher, dass er sie veräppelte und dass ihr das zu Recht geschah. Sie wollte eine Auskunft von ihm, nicht anders herum.
„Kannst du mir bitte sagen, wie es von hier aus weitergeht?“, fragte sie äußert brav artikuliert.
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