Sobald innen Alles fest war im Hause, zeigte sich Wildtödter an einer Fallthüre, von wo er in das Canoe Judiths hinabstieg. Hierauf verschloß er die Türe mit einer massiven Krampe und einem derben Vorhängeschloß. Dann ward Hetty in das Canoe aufgenommen, das vor die Palisaden hinausgeschoben wurde. Die nächste Vorsichtsmaßregel war, das Thor zu schließen, und die Schlüssel wurden in die Arche gebracht. Jetzt waren die drei von dem Hause ausgeschlossen, in das man nur mit Gewalt eindringen konnte, oder auf die Weise, die der junge Mann gewählt, als er es verließ.
Das Glas hatte man gleich zuerst mit herausgenommen, und Wildtödter besichtigte zunächst aufs sorgfältigste die ganze Küste des See’s, soweit seine Stellung es gestattete. Kein lebendiges Wesen war sichtbar, einige wenige Vögel ausgenommen, und auch diese flatterten in den Schatten der Bäume herum, als scheuten sie sich, der Hitze eines schwülen Nachmittags sich auszusetzen. Alle die nächsten Landvorsprunge insbesondere wurden einer scharfen Beobachtung unterworfen, um sich zu versichern, dass kein Floß angefertigt werde; das Ergebniß war überall dasselbe Bild ruhiger Einsamkeit. Wenige Worte werden die größte Verlegenheit in der Lage unserer Gesellschaft erklären. Selbst der Beobachtung jedes lauernden Auges ausgesetzt, sahen sie sich die Bewegungen ihrer Feinde durch den Schleier und Vorhang eines dichten Waldes entzogen. Während die Einbildungskraft sehr geneigt sein musste, den letztern mit mehr Kriegern zu bevölkern, als er in der Tat enthielt, musste ihre Schwäche Allen, die etwa einen Blick in dieser Richtung auf den See warfen, zu sichtbar sein. »Es rührt sich doch Nichts!« rief Wildtödter, als er endlich das Fernglas senkte, und sich anschickte in die Arche zu treten; »wenn die Vagabunden auf Unheil sinnen in ihren Gemüthern, so sind sie zu listig, es merken zu lassen; zwar mag ein Floß in den Wäldern zugerüstet werden, aber es ist noch nicht zum See herunter gebracht. Sie können nicht errathen, dass wir im Begriff stehen, das Castell zu verlassen, und wenn auch, so wissen sie doch nimmermehr, wohin wir wollen.«
»Das ist so wahr, Wildtödter,« erwiderte Judith, »dass jetzt, nachdem Alles bereit ist, wir uns sofort keck und ohne Furcht verfolgt zu werden, ans Werk machen dürfen – sonst versäumen wir unsre Zeit!«
»Nein, nein – die Sache will vorsichtig behandelt sein – denn obgleich die Wilden im Dunkel sind, was Chingachgook und den Felsen betrifft, so haben sie doch ihre Augen und Beine, und sehen, in welcher Richtung wir steuern, und werden uns gewiss folgen. Ich will sie jedoch irre zu führen suchen, indem ich das Vordertheil der Fähre nach allen Richtungen hin wende, bald dahin bald dorthin, bis sie müde Füße bekommen, und es satt haben, uns nachzutraben.«
So weit es in seiner Macht stand, hielt Wildtödter getreulich Wort. In weniger als fünf Minuten nach jener Rede war die ganze Gesellschaft in der Arche und in Bewegung. Es wehte ein gelindes Lüftchen von Norden; und keck das Segel aufziehend, brachte der junge Mann die Spitze des ungefügen Fahrzeuges in eine solche Richtung, dass, mit einer reichlichen aber nothwendigen Einrechnung des Abfalls, es ein paar Meilen weiter unten am See, auf dessen östlicher Seite, an die Küste gelangen musste. Das Segeln der Arche war nie sehr schnell, obgleich es bei ihrem geringen Tiefgang nicht schwer war, sie in Bewegung zu setzen, oder mit ihr drei oder vier Meilen in der Stunde zu machen. Die Entfernung zwischen dem Castell und dem Fels betrug wenig Mehr als zwei Stunden. Bekannt mit der Pünktlichkeit der Indianer, hatte Wildtödter seine Berechnungen genau gemacht, und sich etwas mehr Zeit, als notwendig war, um den Ort der Verabredung zu erreichen, gegeben, in der Absicht, seine Ankunft zu verzögern oder zu beschleunigen, wie es erforderlich wäre. Als er das Segel aufzog, stand die Sonne über den westlichen Bergen in einer Höhe, die noch etwas mehr als zwei Stunden Tag versprach, und wenige Minuten überzeugten ihn, dass die Bewegung der Fähre seinen Berechnungen und Erwartungen entspreche.
Es war ein prachtvoller Juniusabend, und nie glich der einsame Wasserspiegel weniger einem Schauplatz von Kampf und Blutvergießen. Der leise Wind drang kaum herab bis zu dem Bette des See’s, und schwebte nur darüber hin, als scheute er sich, seine tiefe Ruhe zu stören, oder seine spiegelglatte Fläche zu kräuseln. Selbst die Wälder erschienen wie schlummernd in der Sonne, und einige Lagen flockigter Wolken hatten Stunden lang am nördlichen Horizont sich gelagert, wie haftend in der Atmospäre, hier nur zur Verschönerung der Scene angebracht. Einige Wasserhühner streiften gelegentlich über das Wasser, und ein einziger Rabe war sichtbar, hoch über den Bäumen sich flügelnd, ein wachsames Auge auf den Wald unter ihm heftend, um jedes lebende Wesen zu entdecken, das ihm die geheimnißvollen Wälder als Beute darböten.
Der Leser hat wohl schon bemerkt, dass bei all der auffallenden Freimüthigkeit und Ungebundenheit des Benehmens, das Judith bei ihrem Grenzleben sich angeeignet, doch ihre Sprache edler war, als deren ihre männlichen Gesellschafter sich bedienten, ihren Vater mit eingeschlossen. Dieser Unterschied erstreckte sich ebenso auf die Aussprache, wie auf die Wahl der Worte und die Sätze. Nichts vielleicht verräth so bald die Erziehung und den Umgang, als die Art zu sprechen; und wenige Vorzüge erhöhen so den Reiz weiblicher Schönheit, wie eine anmuthige und fließende Sprache, während Nichts so bald jene Entzauberung bewirkt, welche die notwendige Folge einer Nichtzusammenstimmung von Erscheinung und Benehmen ist, als eine gemeine Betonung der Stimme oder der Gebrauch unedler Worte. Judith und ihre Schwester waren auffallende Ausnahmen unter allen Mädchen ihrer Klasse, die ganze Grenze entlang; die Officiere der nächsten Garnison hatten der Erstern oft geschmeichelt mit der Versicherung, dass wenige Damen in den Städten sich besser als sie auf diesen wichtigen Punkt verständen. Dies war zwar weit nicht buchstäblich wahr, aber doch so weit, dass das Compliment ihr füglicherweise konnte gemacht werden. Die Mädchen verdankten diesen Vorzug ihrer Mutter, denn sie hatten in der Kindheit schon von ihr diese vortheilhafte Eigenschaft angenommen, die kein späteres Studium und Arbeit ohne eine Schattenseite zu geben vermag, wenn man nicht in der früheren Lebensperiode darauf geachtet hat. Wer diese Mutter war, oder vielmehr gewesen war, wusste Niemand als Hutter. Sie war jetzt zwei Sommer tot, und wie Hurry erzählte, war sie im See versenkt worden; ob aus einem gewissen Vorurtheil, oder aus Widerwillen gegen die Mühe, ihr ein Grab zu graben, war oft Gegenstand der Erörterung unter den rohen Wesen jener Gegend gewesen. Judith hatte die Stelle nie besucht, Hetty aber war bei der Bestattung zugegen gewesen, und sie ruderte oft um Sonnenuntergang oder beim Mondschein ein Canoe an die Stelle, und starrte hinab in das durchsichtige Wasser, in der Hoffnung, doch einmal mit Einem flüchtigen Blick die Gestalt erschauen zu können, die sie von Kindheit an bis zu der traurigen Stunde des Scheidens so zärtlich geliebt hatte.
»Müssen wir den Felsen genau in dem Augenblick erreichen, wo die Sonne untergeht?« fragte Judith den jungen Mann, wie sie neben einander standen, Wildtödter das Steuerruder haltend, und sie mit der Nadel an einem feinen Kleidungsstück arbeitend, das weit über ihrer Stellung im Leben und eine völlige Neuheit in den Wäldern war. »Werden einige Minuten früher oder später die Sache vereiteln? es wird sehr gefährlich sein, lang der Küste so nahe zu bleiben, wie der Fels ist.«
»Ja wohl, Judith; das ist eben die Schwierigkeit. Der Fels ist nur einen Flintenschuß vom Ufer entfernt, und es geht nicht an, zu lang und zu nahe da herum zu fahren. Wenn man mit einem Indianer zu tun hat, muss man rechnen und vorsichtig sein, denn eine rothe Natur liebt sehr List und Tücke. Jetzt seht Ihr, Judith, dass ich gar nicht auf den Fels zu steure, sondern hier östlich davon, und jetzt werden die Wilden in dieser Richtung traben, und sich müde Füße machen, und Alles für Nichts.«
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