Im Idealfall ist der innere Vater ein Abbild des eigenen leiblichen großartigen und geliebten Vaters. In dem Fall hat der eigene Vater unter anderem Urliebe, Urvertrauen, Selbstwert und Lebensberechtigung erfolgreich vorgelebt, geschenkt und vermittelt. Ist dem nicht so, dann ist der personifizierte innere Vater ein Anteil, der vieles von dem heilen kann, was in der Beziehung zwischen leiblichem Vater, Sohn oder Tochter im Mangel war. Er stellt das fehlende väterliche Urvertrauen, die väterliche Liebe und die väterliche Lebensberechtigung samt der väterlichen bedingungslosen Akzeptanz wieder her.
Der Anteil des inneren Vaters ist stark, führend, entscheidend und klar. Er hilft, wesentliche Entscheidungen zu fällen und durchzusetzen, Lebenssituationen im Kern zu erkennen und zu bewältigen. Er ist eine komplexe Figur, die aber ebenfalls komplexe Situationen zügig und aufs Wesentliche reduziert lösen kann. Die Kategorien richtig oder falsch spielen dabei nicht die Hauptrolle. Der innere Vater ist zugleich ein starker Beschützer und Bewahrer, seine Bedeutung und Wirksamkeit werden weit unterschätzt. Seine Gefühlsebenen sind in mehrere Schichten gegliedert. Die äußerste Schicht ist der Beschützer und Bewahrer. Die innerste Schicht ist der liebende, weiche, tief gefühlsbetonte und zugängliche Vater. Er wird neben Ihnen stehen und Sie verteidigen. In einer für Sie bedrohlichen Situation empfiehlt es sich, ihn in den innersten Kern der entscheidenden Anteile einzubeziehen Er besitzt die exzellente Fähigkeit, gefährliche Situationen einschätzen und bewältigen zu können. Sie werden sich durch ihn stark und sicher fühlen, was in schwierigen oder von Gewaltbereitschaft geprägten Situationen den entscheidenden Unterschied ausmachen kann. Nutzen Sie seine Stärke. Er wird sich zwischen Sie und den Angreifer stellen und in jedem Fall bis auf den letzten Blutstropfen für Sie kämpfen. Wenn Sie seine Kraft und Hingabe in sich erleben können, wird Sie dies stark und selbstsicher machen
Am besten kommunizieren Sie mit ihm über Sprache oder Gefühle. Die Kommunikation geschieht wie mit anderen Anteilen auch. Sie denken dabei an oder fühlen zu Ihrem inneren Anteil hin oder sprechen laut aus: „Ich verbinde mich mit meinem inneren Vater.“ Wenn Sie geübt oder in gefühlsmäßiger Hinsicht dazu fähig sind oder einmal an einer Familienaufstellung teilgenommen haben, kann das gleich funktionieren. Visualisieren Sie Aussehen und Erscheinungsbild Ihres idealen Vaters: Wie bewegt er sich, wie klingt seine Stimme? Stellen Sie sich seine Augen vor, seinen Blick und wie er sich für Sie anfühlt. Dann atmen Sie tief ein und aus und stellen sich vor, dass er hinter Ihnen stehe. Stellen Sie sich mit dem Rücken zu einer Wand. Lehnen Sie sich leicht an. Spüren Sie das starke Gefühl von Wärme und Stärke, dass von Ihrem inneren Vater ausgeht. Visualisieren Sie dies. Lehnen Sie sich jetzt noch intensiver an. Lassen Sie Energie fließen. Atmen Sie tief ein und langsam und lange aus. Es tut Ihnen gut, und der innere Vater wird Sie mit seiner ganzen Kraft halten und bedingungslos und absolut lieben. Empfinden Sie das oder visualisieren Sie das Bild eines liebenden Vaters, der Sie hält. Erfahren Sie nun die väterliche Stärke und den väterlichen Halt. Lassen Sie väterliche Urliebe, väterliches Urvertrauen und die vollkommene väterliche Bejahung Ihrer Lebensberechtigung von ihm zu Ihnen fließen. Sie werden von Ihrem Vater zutiefst angenommen und geliebt. Sie dürfen Ihm vertrauen. Sie dürfen sein, der Sie sind und als der Sie sich fühlen. Es ist gut, dass es Sie auf der Welt gibt!
Wiederholen Sie die Übung mehrmals. Lassen Sie den inneren Vater als Ersatzvater Einzug in Ihr Leben halten.
Es kann neues Selbstbewusstsein entstehen, sobald Sie einen gewissen Grad der Sättigung väterlicher Liebe verspürt haben. Geben Sie sich Zeit. Es kann Wochen oder Monate dauern, bevor Sie den alten Mangel kompensiert haben und gesättigt sind.
Es liegt bei Ihnen, ob Sie eine Aussöhnung über den inneren Vater anstreben oder die Aussöhnung mit dem leiblichen Vater suchen und vollziehen. Wichtig ist dabei nur, dass Sie väterliche Urliebe, Urvertrauen und Lebensberechtigung sättigend erfahren. Dies kann auch geschehen, wenn Sie es über den Anteil des inneren Vaters oder einen visualisierten Idealvater vollziehen.
Die Aussöhnung mit Ihrem leiblichen Vater kann selbst in Fällen gelingen, wo Gewalt oder Missbrauch stattgefunden haben. Es würde erforderlich machen, ihn mit all dem zu konfrontieren und alles mit ihm zu besprechen, was sich damals ereignet hat. Dabei geht es nicht darum, dass er sich schuldig fühlt oder Ihnen ein Schuldeingeständnis macht. Vor allem anderen geht es um Ihren Prozess und darum, dass Sie ihn für sich vollziehen und so Ihr inneres Gleichgewicht wiedergewinnen. Ihr Vater ist selbst verantwortlich für seine innere Balance, so wie Ihre Mutter für ihr Leben selbst verantwortlich ist. Jeder von uns entscheidet selbst darüber, ob er oder sie im eigenen Leben mühsam oder leicht zu heilen bereit ist, was an Schaden oder Verletzungen angerichtet wurde. Konfrontieren Sie Ihren Vater so wie andere Täter mit den angerichteten Tatsachen, so wird sich etwas für Sie lösen. Und damit kommen Sie ein großes Stück weiter. Dass es sich in den meisten Fällen um Probleme der gesamten Familie handelt und daher eine gemeinsame Lösung notwendig ist, kann eine wesentliche neue Erkenntnis für alle Familienangehörigen sein. Entscheidend ist, dass Täter und Opfer gemeinsam Ausgleich und Heilung anstreben. Sollte dies nicht möglich sein, dann gehen Sie ohne Ihren Vater mithilfe eines Stellvertreters in die nötige Konfrontation. So wird es Ihnen unter allen Umständen gelingen, die eigene Heilung beziehungsweise Veränderung zu ermöglichen. Heilung und Veränderung gehen dabei Hand in Hand.
Der innere Vater kann Sie dabei unterstützen, das zu erhalten, was Sie benötigen. Er ist das idealisierte Bild eines starken und liebevollen Vaters, der Sie immer mit Liebe, Stärke und Kraft des inneren Ausgleichs versorgen wird. So wie fast jede Religion einen Übervater oder eine Übermutter in einem vollkommenen Bild erschaffen hat, schaffen Sie einen idealisierten Vater für sich selbst. So können Sie sich selbst und vor allem ihn fragen, was Ihnen guttun würde oder wie er, der ideale Vater, in einer gegebenen Situation reagiert hätte oder reagieren würde.
Der ausgeglichene innere Vater bildet eine starke Grundlage für Selbstvertrauen und inneres Gleichgewicht. Er kann Sie lehren, wie man Konflikte löst. Er kann das Fundament für Geduld und Ausgeglichenheit im Umgang mit gewalttätigen Menschen oder Situationen sein. So wie die innere Mutter ein Fundament für Mitgefühl und Achtsamkeit sein kann.
Sie können Ihren inneren Vater noch viel tiefer und wahrhaftiger definieren. Fragen Sie sich und spüren Sie ab, welche Wesensart und Wesenszüge Ihrem inneren Vater entsprechen. Schreiben Sie diese auf. Das Ergebnis könnte zum Beispiel folgendermaßen aussehen:
„Mein innerer Vater ist voller Liebe und Kraft und mit sich in tiefem und stimmigem Einklang. Mein innerer Vater ist Liebe und Weisheit, verzeihend, empfänglich und bereit zu schenken. Er spürt mich, sieht mich, unterstützt und schützt mich. Er ist die Summe aller meiner inneren Anteile, die sich miteinander in harmonischem Einklang befinden. Ich spüre seine bedingungslose und unendliche Liebe zu mir. Ich spüre sein bedingungsloses Vertrauen zu mir. Ich spüre, wie sehr er mich in meinem Wesen bejaht und annimmt und wie er mich bedingungslos willkommen heißt als diejenige, die ich bin. Ich darf sein, ich muss sein. Es ist wichtig und gut, dass es mich gibt.“
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