»Komm, Ethan, ich bringe dich zur Tür.« Sie schob ihn vor sich her. Mrs. Laurent lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen und grinste beide an, als sie an ihr vorbeimussten.
»Emy, bleib bitte nicht allzu lange im Treppenhaus. Es sei denn, ihr möchtet deinen Dad auch noch mit euren Kussfertigkeiten begeistern.« Emy schob Ethan in das Treppenhaus.
»Ethan, es tut mir leid. Lass uns morgen oder übermorgen reden. Ich weiß auch nicht, was da gerade passiert ist.« Er nickte zustimmend und verschwand im Fahrstuhl.
Emy ging in die Wohnung zurück. Mrs. Laurent schaute sie nur lächelnd an.
»Fang schon an, Mum.« Mrs. Laurent veränderte ihr Lächeln in ein Grinsen.
»Ich würde ja sagen, lass uns in die Küche gehen und nach Ethan-war-da-Tradition Eis essen. Aber ich befürchte, wenn das so weitergeht, haben wir beide in wenigen Wochen zehn Kilo Übergewicht. Bei dir wäre das egal. Du hast ja mehrere Männer. Aber ich habe nur deinen Dad. Und wenn ich wegen dir fett bin und von deinem Vater verlassen werde, bin ich unausstehlich und verlange von dir, dass du mir einen deiner Freunde abgibst.«
»Mum, das ist nicht lustig.«
»Ach, findest du nicht? Dann sollten wir mal Lucas fragen, ob er es vielleicht lustig findet.«
»Mum, ich habe Ethan heute mitgeteilt, dass Lucas mein Freund ist.« Mrs. Laurent legte ihren Kopf zur Seite.
»Und darüber habt ihr beide euch dann so gefreut, dass ihr das mit einer kleinen Kussparty feiern wolltet?«
»Nein, ich wollte ihm das alles erklären. Dass ich einen Freund habe, dass ich ihn mag, aber nur freundschaftlich. Oder so.«
»Ach, Emy, ich glaube, das hast du ihm genau mit den richtigen Argumenten beigebracht. Wenn er das nicht versteht, dann weiß ich aber auch nicht. Meine Tochter ist so weise. Und wenn das deine Begründungen sind, um zu sagen, he, ich bin in einer festen Beziehung und mit dir möchte ich nur befreundet sein, dann will ich besser nicht wissen, wie du jemandem sagst, dass du mit ihm gehen willst.«
»Mum, du übertreibst.«
Ethan kam schlecht gelaunt nach Hause. Er stand im Flur und war geschockt. Er hörte seine Schwester, wie sie mit einer Frau in der Küche deutsch sprach. Er konnte die Stimme nicht erkennen. Es war zu leise, um zu verstehen, mit wem Marcia da sprach. Ethan rannte zur Küche, riss die Tür auf ging hinein. Ethans Onkel, Tante, Vater, Marcia und eine fremde Frau.
»Ah, guten Abend, Ethan.« Dr. Bishop stand auf. »Darf ich vorstellen? Mein Sohn Ethan. Und das ist Frau Korn.« Ethan schaute zu der Frau. Sie war etwa fünfzig Jahre alt, sehr gepflegt und sah für ihr Alter gut aus. »Frau Korn wird ab nächster Woche unsere neue Nanny sein. Morgen fliegen Tante Jenny und dein Onkel wieder nach Hause und da brauchen wir jemanden, der sich hier im Haushalt um alles kümmert.« Ethan ging zu Frau Korn und begrüßte sie mit einem Handschlag. Dr. Bishop forderte seinen Sohn auf, sich mit an den Tisch zu setzten. »Frau Korn hat jahrelang im Presbyterian als Hauswirtschafterin gearbeitet.« Ethan wusste nicht, was er von der Entscheidung seines Vaters halten sollte. »Ja, naja, wegen mir. Was muss ich tun?«
»Ethan, du musst einfach nur so nett sein, wie du eigentlich bist.« Er verstand die Anspielung seines Vaters nicht. Frau Korn wandte sich lächelnd an den Jungen.
»Ich weiß von dem schweren Verlust, den du und deine Familie erlitten habt. Ich kann und will auch gar nicht versuchen, deine Mutter zu ersetzen. Ich werde nur da sein, um euch beim täglichen Leben zu unterstützen.« Das klang für ihn erst einmal vernünftig. Sie redete weiter. Jetzt auf Deutsch. »Ich komme ursprünglich aus Bamberg in Bayern. Ich freue mich, wenn ich mit euch deutsch sprechen kann.« Bamberg, Er erinnerte sich an die Stadt. Er war dort zu einer Klassenfahrt mit Laura. Es hatte den ganzen Tag geregnet und eine Woche später fehlte die halbe Klasse, weil sie alle erkältet waren. Ethan sprach auch deutsch.
»Werden Sie auch für uns kochen?« Alle lachten
»Ja, und wenn ihr möchtet, können wir einmal in der Woche zusammen richtiges bayrisches Essen machen.« Marcia freute sich sichtlich.
»Gut, also ich meine, also wegen mir können Sie gerne bei uns einziehen.« Er stand auf, verabschiedete sich von allen und ging in sein Zimmer.
Am nächsten Tag warteten seine Tante und sein Onkel in der Küche.
»Ethan, wir fliegen heute Mittag wieder nach Hause. Wenn du irgendwelche Probleme hast, Kummer, Sorgen, dann ruf uns an.« Onkel Joshua sprach mit ihm und schaute die ganze Zeit in sein Gesicht. »Dein Dad und wir haben darüber nachgedacht, dass ihr den Sommer bei uns verbringt. Das müsst ihr beiden natürlich entscheiden.« Onkel Joshua sah seiner Schwester ähnlich. Ethan war das noch nie so aufgefallen. »So, und ab. Du musst in die Schule. Ach, und noch etwas, Ethan.« Er schaute beide an. »Habt etwas Geduld mit eurem Vater. Er gibt sich wirklich viel Mühe. Vergiss bitte nicht, er hat auch einen schweren Verlust zu verarbeiten.« Ethan ließ sich von beiden drücken und versprach, sich regelmäßig bei ihnen zu melden.
Die nächsten Tage plätscherten so dahin. In der Schule regierte der Alltag das Dasein. Nur Emy fand nicht statt. Die beiden sahen sich, redeten kurz über belanglose Dinge und Ethan merkte, dass sie ihm aus dem Weg ging. Er sah sie in der Schule meistens mit ihren Freundinnen oder mit Lucas. Dann hat sich das wohl erledigt, analysierte er, seine, ja was eigentlich? Sie hatte Mitleid mit ihm und hätte ihn beinahe geküsst. Eine Beziehung im herkömmlichen Sinne war das wohl nicht. Was will ich eigentlich? Ethan versuchte, sich über den Status seiner Zuneigung zu dem Mädchen klar zu werden. Wir kennen uns kaum, sie hat einen Freund und ich habe überhaupt keinen Anspruch, etwas von ihr zu wollen. Aber immer, wenn er sie sah, spürte er, dass er sich zu Emy hingezogen fühlte. Da er merkte, dass Emy dieses kurze Intermezzo, oder was es auch war, beendet hatte, wollte er sich damit abfinden und einfach weitermachen. Weitermachen? Mit was? Jacob hatte sich in den letzten Tagen mit ihm nach der Schule getroffen und ihm die Geheimtipps der Stadt gezeigt. In Midtown, unterhalb von Hells Kitchen, wo man als Bewohner der Upper West Side ja niemals ausging, zumindest nicht offiziell, eröffneten gerade eine Menge neuer Läden. Jacob sagte:
»Alter, da gibt es die besten Sandwiches und Hot Dogs der ganzen Welt. Jacob hatte Ethan einmal erklärt, wer Hot Dog mit Ketchup isst, sollte genau so bestraft werden wie einer, der die USA verrät. Am zweiten Tag ihrer Exkursion saßen sie im «Bug« und wurden von einem koreanischen Transvestiten bedient. Jacob war begeistert und sagte immer wieder: »Das ist meine Stadt, das ist mein New York.« Ethan erzählte ihm später, er habe gehört, den besten Hot Dog in Manhattan gebe es auf der Upper East Side. Jacob hatte ihn nur angeschaut, um ihn dann zu fragen: »Hast du einen an der Verteilung? Da können sich die Touris verarschen lassen, aber nicht wir.« Touris war ein Schimpfwort für alle Nicht-New-Yorker. Nach Jacobs Meinung behinderten die den normalen Ablauf in der Stadt, da sie immer nach oben schauend viel zu langsam gingen und somit die Straßen unnötig verstopften. Jacob war auch der Meinung, die Touristen seien schlecht gekleidet. »Die mögen sich ja wohlfühlen, in ihrem Wander-Look, aber wir müssen die uns das ganze Jahr anschauen.«
Frau Korn kam ihm im Treppenhaus entgegen, als er gerade aus dem Fahrstuhl stieg.
»Hallo, Herr Bishop.« Er lachte. Er war begeistert, wieder Deutsch sprechen zu können.
»Guten Abend, Frau Korn, gehen sie nach Hause?« Frau Korn blieb stehen.
»Ja, dein Essen und das Abendbrot für deinen Vater stehen im Kühlschrank. Marcia hat schon gegessen. Morgen früh bin ich da und kann dir dein Frühstück machen.« Ethan wünschte der deutschen Nanny einen schönen Abend und ging in die Wohnung. Er lief durch den Flur, als das Telefon klingelte. Er sah das schnurlose Teil auf der Ladestation und hob ab, ohne auf das Display zu schauen.
Читать дальше