Emy setzte sich auf den Boden und lehnte sich an die große Couch. Mrs. Laurent tat dasselbe.
»Emy.« behutsam begann Mrs. Laurent, mit ihrer Tochter zu sprechen. »Mitleid ist eine sehr wichtige Form der Aufmerksamkeit. Wenn du dich aus diesem Grund um Ethan kümmerst, könnte er es allerdings falsch verstehen. Und das wäre zurzeit für den Jungen das Schlimmste, was ihm passieren könnte. Er fühlt sich bei dir geborgen und freut sich, jemanden gefunden zu haben. Wenn du ihm dann aber sagen musst, dass du außer Mitleid nichts Anderes für ihn empfindest, wird es für ihn eine böse Überraschung sein. Du solltest das Ganze eher freundschaftlich angehen. Also mit weniger Gefühl.«
»Mum.« Sie schaute ihre Mutter an. »Ich glaube, ich fühle mich zu ihm hingezogen. Wenn ich seine Stimme höre oder an ihn denke, ist das nicht Mitleid. Ich weiß, ich kenne ihn noch gar nicht richtig. Aber als er bei mir im Zimmer saß und so beiläufig Dinge gesagt hat, hat das bei mir alles Spuren hinterlassen.« Mit einem langen »Mhh« verschaffte sich Mrs. Laurent Zeit, um sich die richtige Antwort zu überlegen.
»Emy, der Junge befindet sich in einer absoluten Ausnahmesituation. Er ist mit Sicherheit ein ganz anderer Mensch, wenn er unter normalen Bedingungen lebt. Möglicherweise hätte er mit dir nie ein Wort gesprochen oder wäre unfreundlich zu dir gewesen.«
»Ja, Mum, das mag alles sein. Aber so habe ich ihn nicht kennengelernt. Und wie viele Menschen lernen sich kennen und schlafen am ersten Abend miteinander?«
»Hoppla, heißt das, du übernachtest heute bei ihm?«
»Mum, du weißt, was ich meine.«
»Ja, Kind, ich weiß. Aber geh das langsam an. Es ist für euch beide gefährlich. Für ihn noch mehr als für dich. Wenn du feststellst, dass du ihn nur bemitleidest, wird ihn das schwer kränken. Und das kann er jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Und was, wenn er nur glücklich ist, jemanden gefunden zu haben, der ihm zuhört?«
»Mum, dann ist das in Ordnung.« - »Ach ja? Den Eindruck habe ich Momentan gerade nicht. Und was ist mit Lucas?«
»Lucas? Was soll mit dem sein?« Sie zuckte mit den Schultern. »Er ist mein Freund.« Mrs. Laurent neigte ihren Kopf leicht zur Seite und zog wieder ihre Augenbrauen nach oben.
»Dein Freund? Dein Freund, wie?«
»Naja, einfach mein Freund.« Mrs. Laurent machte ganz schmale Lippen.
»Und Ethan wird dann sozusagen dein Liebhaber?«
»Mum, ich glaube, du bist verrückt. Du verhältst dich manchmal wie ein Teenager.«
»Das wäre schön.« Mrs. Laurent lächelte. »Da könnte ich mir neben deinem Dad noch einen Liebhaber halten. Vielleicht einen Eishockeyspieler.« Lucía stand mit einem Tablett im Zimmer.
»Mrs. Laurent«, sagte sie energisch. »Sie sollten so etwas nicht zu ihrer Tochter sagen.«
»Da hast du recht, Lucía, aber sie hat damit angefangen.« Emy musste über ihre Mutter lachen.
Beide standen auf und setzten sich an den Tisch. Lucía stellte das Tablett ab und ging, etwas Spanisches grummelnd, aus dem Zimmer.
»Mhh, heiße Schokolade.« Mrs. Laurent rieb sich die Hände. »Seitdem dein Eisprinz in unser Leben gefahren ist, gibt es abends immer so schön ungesunde Sachen. Also, ich habe ihn auch gern.« Emy lachte wieder. »Aber Emy, noch mal die Frage. Wie willst du dich Lucas gegenüber verhalten? Du kannst doch schlecht zu ihm sagen: ‚Lucas, ich probiere da gerade etwas aus, und du müsstest mal so lange warten, bis ich herausgefunden habe, was ich will.‘ Obwohl, zu Lucas kannst du das sagen. Er kommt ja aus Texas.«
»Mum, er ist in New York geboren.« Ein tiefes Seufzen war von Emy zu hören. »Ich weiß es nicht. Ich gehe besser schlafen. Ich muss nachdenken.« Mrs. Laurent gab ihrer Tochter einen langen Kuss auf ihre Stirn.
»Auf jeden Fall können beide froh sein, von dir gemocht zu werden. Schade für beide, dass es zur gleichen Zeit geschieht.«
Emy drehte sich noch einmal zu ihrer Mutter um. Die hob beide Hände, als wenn sie sich ergeben wollte. Emy verließ das Zimmer und ihre Mutter schaute ihr lächelnd hinterher.
Sie schaffte das Tablett in die Küche. Lucía war immer noch nicht ins Bett gegangen.
»Ist unsere kleine Emy unglücklich?«, wollte sie von Mrs. Laurent wissen.
»Nein, im Gegenteil. Die Glückliche hat gleich zwei Männer. Na gut, Jungs.«
»Oh, Maria!«, rief Lucía, bekreuzigte sich, faltete wieder ihre Hände und schüttelte sie vor ihrer Brust. »Sie müssen mit dem Kind reden. Was soll das werden?«
»Lucía, Momentahn hilft da kein Reden. Wir könnten höchstens morgen im Telefonbuch nachschauen, ob es einen Exorzisten in New York gibt, der ihr den, oder besser, die Beelzebuben austreiben kann.«
»Um Gottes Willen!« Lucías Stimme wurde ganz ruhig. »Señora, versündigen sie sich nicht.« Lucía verstand nach all den Jahren bei den Laurents immer noch nicht, wann die Señora mit dem Sarkasmusschwert durch die Gegend focht.
Dr. Laurent war in die Wohnung gekommen. Er küsste seine Frau und konnte gerade noch die verstörte Lucía begrüßen, die in ihr Bett gehen wollte.
»Na, Frau Anwalt, wie war dein Tag?« Mrs. Laurent berichtete vom Essen bei den Großeltern und von Mathis‘ kleinem Streit mit seiner Schwester. Und sonst gab es noch die kleine Einleitung zu Emys persönlicher Darbietung von »Kabale und Liebe«.
»Kabale und Liebe?«, wollte Dr. Laurent wissen. »Ja, Schatz, du weißt doch: >Ein Liebhaber fesselt dich, und weh über dich und ihn, wenn mein Verdacht sich bestätigt<.«
»Mary?« Dr. Laurent sah seine Frau zur Höchstleistung auflaufen.
»Ach, Schatz, deine Tochter hat festgestellt, dass eine monogame Lebensweise nicht das Richtige für eine sechzehnjährige New Yorkerin ist.«
»Mary?« Der Ton von Dr. Laurent wurde ernster.
»Nein, Schatz, sie macht sich um die Jungen Sorgen. Er tut ihr leid. Sie glaubt aber, dass sie etwas Anderes für ihn empfindet. «
» Ja, und was ist mit Lucas? Laurent schaute seine Frau an.
»Der muss warten. Er ist Texaner.«
»Mary, Krieg erzählst du?«
»Schon gut, Schatz. Lass uns schlafen gehen. Schatz, würdest du sagen, wenn ich einen jungen Eishockeyspieler hätte kennenlernen würde? «Beide lachten und gehen schlafen.
Ethan war früh auf. Er hasste den ersten Schultag im neuen Jahr. In diesem Jahr noch mehr als sonst. Dr. Bishop werkelte schon in der Küche herum. Sein Onkel und seine Tante schliefen noch.
»Guten Morgen.« Dr. Bishop flüchtig zu seinem Sohn, als er in die Küche kam. Er grummelte etwas zurück.
»Soll ich dich zur Schule fahren?« Ethan bringt sich mit seinem Müsli an den Tisch.
»Nein, ich fahre alleine.«
»Mit dem Rad?« Dr. Bishop betonte seine Frage.
»Nein, ich fahre zur 57. Und dann mit der N.« Er war vor den Ferien mit dem Rad gefahren und hatte dann seinen Vater angerufen, damit er von unterwegs abholen sollte. Auf der Queensboro-Brücke würden wir einen starken und eisigen Wind sehen.
»Im Winter über den East River mit dem Fahrrad fahren«, hatte Dr. Bishop das Unternehmenwadensohn kommentiert.
»Marcia geht erst etwas später. Onkel Joshua und Tante Jenny bringen Sie zur Schule und wollen den Nachmittag mit ihrem verbringen. Wann bist du heute zu Hause? «Ethan hob beide Arme halb hoch. Dr. Laurent schaute ihn an. »Ist das ein Flaggenzeichen oder?«
»Ich weiß es nicht so genau. Vielleicht bleibe ich bis zum Nachmittag in Astoria. «
» Ich frage nur wegen des Essens. Sollen wir heute Abend alle zusammen essen gehen? «
» Papa! «Ethan suchte die Rosinen im Müsli. »Ihr könnt doch essen gehen. Ich habe heute keine Lust und morgen habe ich keine Lust und übermorgen habe ich auch keine Lust. Auch ich werde mich nicht jeden Tag wünschen. «Dr. Bishop redete mit seinem Sohn, ohne ihn dabei anzuschauen.
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