So sitze ich weiter da und beobachte, wer alles kommt.
Basti kommt nicht wieder.
Nach dem Aufbauen ist er ja schnell verschwunden und nun scheint er nicht wieder zu kommen.
Mist aber auch.
Nina ist auch weg und nicht mehr zu sehen.
Dann schaue ich mir mal die Themenräume an.
Die Studenten der verschiedenen Fächer haben themenspezifische Räume in den Seminarräumen aufgebaut.
Aus Seminarraum 116 schallt laute, undefinierbare Musik heraus.
Diskobeleuchtung scheint mir entgegen. Es ist russische Musik. Russendisko. Klingt gut! Klingt super!
Da tanzen auch einige.
Ich tanze auch mit. Beim Tanzen kenne ich keine Schüchternheit. Tanzen liebe ich!
Und der Sound ist super!
Ich schwinge meine Hüften im Takt und werfe meine Haare, die ich heute offen trage, zurück, dass sie nur so fliegen.
Da sehe ich aus dem Augenwinkel Albert in der Ecke stehen. Ich schaue hin. Er starrt mich an. Sofort höre ich auf zu tanzen.
Was will der denn hier.
Na ja, kann ja jeder kommen, der will.
Er studiert, glaube ich, auch Slawistik.
Soll er halt kommen meinetwegen. Aber mich nicht so blöd angaffen.
Und ich drehe mich um und werfe energisch und stolz die Haare zurück. Dann gehe ich.
Dem will ich nicht noch einmal zu einem Orgasmus verhelfen. Zumindest nicht, wenn ich es steuern kann. Was er sich daheim zusammenfantasiert, da kann ich ja nichts machen, wenn er sich wilde Sexszenen mit mir ausdenkt.
Schon viel Zeit ist vergangen.
Ich habe mir noch die anderen Themenräume angeschaut. Echt schön gemacht haben die Studis die.
Jetzt bin ich langsam müde.
Ich schaue auf die Uhr. 23:18 Uhr.
Ich will solange bleiben, bis Basti wieder kommt zum Abbau. Ich will ihn noch einmal sehen. Ich muss ihn noch einmal sehen. Sonst kann ich nicht einschlafen.
So vergeht Stunde um Stunde.
Ich sitze mal hier, mal dort, rede mit Leuten aus meinen Seminaren, trinke Apfelsaftschorle, und werde immer müder.
Längst ist meine Bettgehzeit vorbei.
Muss ich denn echt so lange warten, bis Basti wieder kommt?
Ich bin so müde.
Aber ja, ich muss!
Ich muss warten, bis er wiederkommt. Die Liebe fordert eben Opfer.
So warte ich weiter.
Und warte lange.
Viele Leute gehen. Es werden immer weniger.
Plötzlich höre ich, wie jemand eine Bank zusammenklappt.
Es geht los!
Aus meinem Halbschlaf wache ich sofort auf.
Zwei Jungen klappen Biertische zusammen.
Jetzt ist es so weit!
Immer mehr Studenten klappen die Biertischgarnituren zusammen.
Ich schaue umher, wo Basti ist.
Wo ist er denn?
Ich sehe ihn nicht.
Da – da sind Straßenköterblondschopf und Bürstenschnittblondie!
Sie machen sich an einem Tisch zu schaffen.
Wo ist Basti? Wo ist er nur?
Er ist nicht da. Ich kann ihn nirgends sehen.
Es dauert nicht lange, und schon sind alle Biertischgarnituren zusammengeklappt und aufgeschichtet.
Die Jungs verabschieden sich und gehen.
Die Musik ist lange aus.
Ich sitze immer noch da.
Basti ist nicht gekommen.
Eine Träne rollt mir aus dem Auge.
Ich sehe im Vorbeigehen Basti in der Cafeteria sitzen.
Ich drehe um und gehe hinein. Die Cafeteria ist voll. Ich finde noch einen Platz neben der Tür. Dann beobachte ich Basti. Seine Haare sind so schön, so dunkelbraun, so lockig, obwohl kurz. Die Sonne wirft hellere Streifen darauf. Diese Haare, so schön. Er redet mit Bürstenschnittblondie.
Eine Weile sitze ich da und schaue Basti an. Er ist so schön.
Da steht auf einmal Albert vor mir. Albert Stumm. Stinke-Albert.
Er sagt: „Darf ich mich setzen?“ „Ja“, murmle ich. Er nimmt einen Stuhl und setzt sich direkt neben mich, Abstand 20 Zentimeter. Hee. Was für ein Gestank schon wieder, bäh.
Er flüstert mir zu: „Du magst Basti, nicht?“
Hä? Was?
Woher weiß der denn das?
Erst bin ich still, dann flüstere ich „ja“.
„Willst du immer bei ihm sein, ihn beobachten und alles sehen, was er tut? Willst du ihn begleiten, wohin er auch geht?“
Hä?
„Hä?“
„Ja, pass auf: Wenn wir einen Vertrag abschließen, wird es so sein, dass du immer bei ihm sein kannst, dass du ihn begleiten kannst, dass du auch mit ihm mitgehst nach Hause und überallhin. Du wirst ihn nackt sehen, wenn du willst, ein Adonis als Sportstudent. Ich kann das für dich arrangieren.“
Wie, ich kann das arrangieren. Wie soll das gehen. Bist du der Weihnachtsmann, der Wünsche erfüllt? Oder Gott selbst, der in die Herzen sieht?
„Hä? Wie denn das?“
„Pass auf: Nach unserem Vertragsschluss wirst du manchmal für andere nicht sichtbar sein. Keiner wird dich dann mehr sehen können und keiner wird hören können, was du sagst. Du wirst stumm werden für die anderen und wirst mit niemandem mehr reden können.“
Stumm sein und mit niemandem reden können, wie die kleine Seejungfrau, fällt mir ein.
Keiner wird mich hören können und keiner sehen? Hm, ist jetzt nicht wirklich anders. Keiner schaut mich an und wenn ich etwas sage, hört keiner zu. Dieser Zustand, von dem Albert spricht, wird also nicht viel anders sein als jetzt.
„Keiner wird dich mehr bemerken und so kannst du alles tun, was du willst.“
Ach so, das ist also das Arrangement. Ich muss selber etwas tun, nicht Albert lädt Basti ein und so.
„Aber ich kann das doch gar nicht“, sage ich leise und schaue betreten auf den Boden.
„Glaub mir, Lena, durch die Fantasie, die dir nach unserem Vertragsschluss zufließt, wirst du es können. Du wirst anders werden. Du wirst alles mit Basti unternehmen können, was du möchtest.“
Es schaudert mich.
„Alles?“ Ich wage eine kühne Frage: „Werde ich auch Basti küssen können?“
„Auch das.
Nur wird er es nicht bemerken.“
Hä? Wie soll das denn gehen.
Aber na gut, hört sich toll an.
„Okay. Ich mach mit.“
„Du musst allerdings etwas dafür bezahlen.“
„Was?“
„Wie ich schon sagte, wirst du manchmal nicht mehr beobachtet werden und gesehen. Aber eben nur manchmal. Also pass auf, was du tust, es könnte sein, man sieht dich doch.
Du wirst dünnhäutig werden. Du wirst unberührbar werden. Du wirst deine Festigkeit verlieren.
Das ist der Preis.
Dafür wirst du offen werden. Die Fantasie wird dich verzaubern. So wirst du fantastische und wunderschöne Welten erleben. Gerade du. Du bist die Richtige für so etwas.“
Ich atme.
Komischer Preis. Dünnhäutig. Unberührbar. Fantastische Welten. Was soll das alles sein. Aber das kann kein hoher Preis sein.
Dann sehe ich Basti drüben sitzen. Sein schönes Haar. Wie er den Kopf wiegt und die Sonne unterschiedliche Muster darauf zaubert. Er ist so süß! Ich will ihn! Ich will ihn halten, küssen! Und das darf ich dann? Das will ich!
„Ja“, sage ich, „alles, was du willst, ich mache mit, ich sage ja!“
„Nun gut.“, sagt Albert still und steht abrupt auf.
„Noch einen Handschlag!“ Und er hält mir seine Hand vors Gesicht. Ich schlage ein. Dann ist die Sache besiegelt.
Ich will noch was fragen, aber Albert ist schon draußen, raus aus der Cafeteria, schon 50m weit weg.
Ich will gleich ausprobieren, ob es stimmt, was Albert da gesagt hat.
Basti wird mich nicht bemerken? Oder nur manchmal? Hm, seltsam. Muss ich gleich ausprobieren.
Ich setze mich auf den Treppenaufgang gegenüber der Cafeteria und warte, bis Basti rauskommt.
Da kommt er. Er schaut in meine Richtung, aber vorbei. Er geht zum Ausgang der Uni. Ich hinterher.
Dann geht er den Fußgängerweg entlang zur Ampel und überquert die Straße. Ich schnell und unauffällig hinterher.
So gehen wir, und gehen eine Weile. Basti geht in die Unterstadt. Immer noch gehen wir. Ich werde langsam schon müde. Aber immer halte ich mich schön versteckt. Vielleicht sieht er mich ja doch. Wer weiß das schon.
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