Sein Aussehen scheint ihn allerdings nicht zu stören in Bezug auf Frauen. Hässlich grinst er die Mädels an im Seminar, dabei werden lange, parodontale Zähne sichtbar. Hässlich der Typ, echt. Er hat auch eine große Nase. Normal gefallen mir große Nasen bei Männern. Bei ihm aber nicht. Sie ist einfach hässlich.
Professor Schindler kommt und schließt den Seminarraum auf und wir gehen rein. Hässlichalbert geht vor mir. Was für eine Fahne der zieht! Als ob er sich hundert Jahre nicht gewaschen hat. Und was sehe ich da?? Er greift Britta an den Hintern und zwickt sie hinein! Sie haut ihm sofort auf die Hand. Widerlicher Kerl. Von dem will garantiert nie eine etwas wissen.
Zum Glück setzt er sich weit weg von mir ans andere Ende des Stuhl-Us. Allerdings kann er mich von dort aus bestens beobachten. Und das macht er auch. Immer wieder. Nicht nur, wenn ich was sage. Auch sonst. Er fixiert mich quasi richtig. Depp, der blöde.
Das Seminar geht los. Heute geht es um den Rückbezug der Barockliteratur auf die Liebesgöttin Venus und ihren Sohn Venus. Louise hält ein Referat. Wie meistens passt niemand wirklich auf und alle lesen höchstens das Paper mit, das Louise ausgeteilt hat.
Ich schaue in die Runde. Da sehe ich es. Albert hat seinen Stuhl so weit zurückgestellt, dass ich seinen Schoß sehen kann. Er starrt mir in die Augen. Seine rechte Hand liegt im Schritt. Und reibt daran. Ich erschrecke und starre ihn an. Holt der sich einen runter oder was? Er reibt möglichst unauffällig und deshalb sehr kräftig. Hei, was für ein Perverser. Und schaut mir die ganze Zeit in die Augen. Grüne Augen hat er, igitt. Was für ein Depp. Was schaut der die ganze Zeit mich an. Warum gerade mich. Schnell schaue ich weg. Zu Louisa. Die gerade die Verstrickungen der Venus in ihre Liebschaften erklärt.
Ich kann aber nicht umhin und muss irgendwann doch wieder zu Albert schauen. Irgendwie interessiert es mich ja doch, was der da so treibt. Und was sehe ich? Nein, es ist nicht zum Aushalten, nun sitzt er wohlig zurückgelehnt auf seinem Stuhl und hat die Augen geschlossen, seine Hand liegt zwar im Schritt, aber ich sehe genau, wie die Jeans im Schritt feucht ist. Also nein! Das gibt’s ja nicht! Perversling.
Schnell wende ich die Augen ab und schaue wieder zu Louise. Den will ich nie wieder sehen.
*
Heute ist das Sprachseminar-Fest.
Da will ich Basti sehen. Er hat ja gesagt, er hilft beim Aufbauen.
Schon lange, bevor das Fest startet, gehe ich hin. Denn ich will sehen, wie Basti kommt.
Als ich an der Uni angekommen bin, setze ich mich im Foyer auf die Treppe, die aufwärts führt. Hier kann ich alles beobachten.
Es sind viele Biertischbänke und Biertische aufeinander gestapelt. Es ist noch niemand da.
Andere vertreiben sich die Zeit beim Warten, indem sie auf einem Smartphone rumtippen. So etwas habe ich nicht. Brauche ich auch gar nicht. Wozu auch. Informationsverschmutzung belastet mich nur. Ich schaue lieber die Wolken an. Da sehe ich genug.
Von hier aus kann ich die Wolken allerdings nicht sehen, so muss ich mich anderweitig beschäftigen.
Aus meinem Täschchen ziehe ich ein Reclambüchlein – Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts.
Immer wieder schaue ich über die Seiten hinweg zum Eingang.
Jetzt kommen schon einige Studenten.
Es sind viele Jungs und sofort gehen sie zu den Biertischgarnituren, heben sie runter, klappen sie auseinander und stellen sie hin.
Da taucht plötzlich Basti auf.
Oh nein, ist er hübsch.
So hübsch!
Die Haare so warmbraun, und er so groß, Mann, er ist groß, und dabei stark. Perfekt. Und schlank und doch stark und nie und nimmer dünn und schlaksig, sondern so stark und edel.
Mit großen Schritten geht er voran. Bürstenschnittblondie und Straßenköterblondschopf folgen ihm dicht auf den Fersen. Sein Gefolge. Und er der Herrscher. Mann, ich will ihn!
Sie machen sich an den Bänken zu schaffen und ruck zuck stehen sie. Mann, das sind Männer! Stark wie Bären, geschickt wie Raubkatzen, mutig wie Löwen. So wie ich gar nicht bin. Aber sie – sie sind es.
Ziemlich schnell stehen alle Biertischgarnituren im Foyer.
Jetzt kommen zwei Mädels und legen Papiertischdecken drauf.
Basti geht auf ein Mädchen zu und redet mit ihr.
Nie nickt mit dem Kopf.
Dann reicht sie ihm die Hand und schüttelt sie.
Was reden die da.
Basti lächelt sie an. Mann, was für ein Lächeln! Wie süß! Wie hübsch! Gälte es doch nur mir!
Da dreht er sich um. Im Umdrehen streift sein Blick mich.
Hach, nein, nein, wie schön er ist, schnell schaue ich auf den Boden.
Als ich wieder nach oben blicke, sehe ich, wie er auf den Eingang zugeht. Er macht die Tür auf und geht hinaus. Immer kleiner wird er und schließlich ist er verschwunden.
Wo will er denn hin. Das Fest beginnt doch erst.
Aber er ist weg.
Seine Untertanen sind noch da.
Aber die interessieren mich ja nicht.
Liebster, wo willst du denn hin? Der Tag ist ja noch fern.
Und jetzt?
Zum Glück bin ich mit Nina verabredet.
Wir wollen uns im Foyer treffen.
Ich gehe zum Getränkeverkauf.
Da sind Julia und Marie, meine Mädels aus meinem Tutorium.
„Hallo! Schön, dass ihr da seid!“
Ich lächle ihnen zu.
Sie lächeln zurück.
„Ja, wir sind schon da und helfen schon.“
„Super! Klasse von euch!“
Und ich zwinkere ihnen zu und lächle.
Nett sind sie, meine Schülerinnen.
Ich kaufe ein Apfelsaftschorle und gehe zurück zum Treppenaufgang.
Von dort aus schaue ich wieder zum Ausgang und halte nach Nina Ausschau.
Nach einem Weilchen kommt sie angestürmt. Sie ist ja immer in Bewegung und aktiv. Und was hat sie an? Ein pinkfarbenes Top mit Glitzersteinchen. Und einen roten Minirock. Mann, sieht die wieder aus. Ist das echt meine Freundin?
Was habe ich an?
Eine Jeans und ein olivgrünes T-Shirt. Eng ist es schon. Aber nie so auffällig wie Ninas Klamotte.
Nun gut.
Hauptsache, wir denken ähnlich.
„Hallo Lenchen!“, ruft sie und küsst mich links und rechts auf die Wange. Beziehungsweise tut nur so, denn man küsst sich ja eigentlich da gar nicht, sondern küsst nur die Luft.
Ich küsse die Luft zurück.
„Hallo Nina. Süß siehst du aus.“
„Ja, gell. Ich will heut nämlich mit Robby alles klarmachen.“
„Wer ist denn Robby?“
„Ach, du kennst den noch gar nicht? Den hab ich beim Squash kennengelernt. Ein süßer Typ, sag ich dir! Er hat so blonde Haare, weißt du, so richtig blond, und blaue Augen, echt, er ist der Wahnsinn!“
„Echt. Und kommt heute auch?“
„Ja, er kommt auch. Muss gleich mal schauen, ob er schon da ist!“
Und sie packt mich am Arm und zieht mich mit sich.
Blond. Und blaue Augen. Na, das mag ja was sein. Ist auf jeden Fall nicht mein Ding.
Er ist, wie es scheint, noch nicht da.
So holen wir uns erst einmal ein Getränk. Mein Apfelsaftschorle ist auch schon leer.
Dass ich Basti beobachten will, sage ich lieber nicht.
Ich will ja auch nur beobachten.
Sonst sagt Nina womöglich: „Komm, geh doch zu ihm hin! Sag ihm doch `hallo!`, du kennst ihn ja schon.“
Sag ich doch nicht.
Ich wage nicht, ihn direkt anzuschauen. Er ist so hübsch. Ich kann es nicht.
Also trinken wir unsere Cola und beobachten die wabernde Masse an Studenten.
Wen es wohl von denen zuerst hinhaut? Wer wohl von diesen jungen, hoffnungsfreudigen Menschen zuerst stirbt? Und wann wird das wohl sein?
„Da!“, schreit Nina plötzlich in mein Ohr, dass ich denke, mein Trommelfell platzt, und zeigt mit der Hand auf die Eingangstür.
„Da ist Robby!
Ich geh schnell mal, Schatz, pass auf dich auf!“
Und weg ist sie.
Na gut, pass ich halt auf mich auf.
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