Fürst Schtsch. lachte nicht mehr und hörte dem Fürsten erstaunt zu. Alexandra Iwanowna, die schon lange etwas hatte sagen wollen, schwieg dennoch, wie wenn ein besonderer Gedanke sie vom Reden zurückhielte. Jewgeni Pawlowitsch aber sah den Fürsten mit unverhohlener Verwunderung und jetzt ohne eine Spur von Lächeln an. »Aber warum wundern Sie sich denn so über ihn, mein Herr?« mischte sich Lisaweta Prokofjewna unerwartet in das Gespräch. »Ist er etwa dümmer als Sie, weil sein Urteil von dem Ihrigen abweicht?«
»Nein, so etwas denke ich nicht«, erwiderte Jewgeni Pawlowitsch. »Aber wie geht es denn zu, Fürst (entschuldigen Sie die Frage!), wenn Sie das alles so scharf beobachten und erkennen, wie geht es denn zu, daß Sie (ich bitte nochmals um Verzeihung) bei dieser sonderbaren Angelegenheit ... ich meine das, was sich vor einigen Tagen begab ... bei der Angelegenheit dieses Herrn, Burdowski heißt er ja wohl ..., wie geht es denn zu, daß Sie da die ganz gleiche Verdrehung der Ideen und moralischen Anschauungen nicht bemerkten? Es war ja doch ganz genau dasselbe! Ich hatte damals den Eindruck, daß Sie es überhaupt nicht bemerkt hätten.«
»Ja, sehen Sie mal, lieber Freund«, ereiferte sich Lisaweta Prokofjewna, »wir haben es damals alle bemerkt, und nun sitzen wir hier und brüsten uns damit vor ihm; aber er, er hat heute von einem dieser Leute einen Brief erhalten, von der eigentlichen Hauptperson, von dem mit den Pickeln im Gesicht, erinnerst du dich, Alexandra? In dem Brief bittet er ihn um Verzeihung, wenn auch so auf seine Art, und teilt ihm mit, daß er sich von jenem Kameraden, der ihn damals aufgehetzt hatte, losgesagt habe; du erinnerst dich wohl an den Menschen, Alexandra? Und er glaube dem Fürsten jetzt mehr als jenem. Na, aber wir haben einen solchen Brief noch nicht erhalten, obgleich wir uns hier dem Fürsten gegenüber so hochnäsig benehmen.«
»Und Ippolit ist auch jetzt eben zum Fürsten in das Landhaus gezogen!« rief Kolja.
»Wie? Ist er schon hier?« fragte der Fürst aufgeregt.
»Gleich nachdem Sie mit Lisaweta Prokofjewna weggegangen waren, ist er eingetroffen; ich hatte ihn hertransportiert!«
»Na, da möchte ich darauf wetten«, fuhr Lisaweta Prokofjewna heftig auf, die ganz vergaß, daß sie den Fürsten einen Augenblick vorher gelobt hatte, »da möchte ich darauf wetten, daß er gestern zu ihm hingefahren ist nach seiner Dachkammer und ihn kniefällig um Verzeihung gebeten hat, damit diese boshafte Kanaille sich herablassen möchte, hierher überzusiedeln. Bist du gestern zu ihm hingefahren? Du hast ja neulich selbst bekannt, daß du es tun wolltest. Ja oder nein? Bist du vor ihm auf die Knie gefallen oder nicht?«
»Auf die Knie ist er ganz und gar nicht gefallen«, rief Kolja. »Ganz im Gegenteil: Ippolit hat gestern die Hand des Fürsten ergriffen und zweimal geküßt; das habe ich selbst gesehen; und damit endete die ganze Aussprache; der Fürst sagte nur noch ganz einfach, Ippolit werde sich in der Sommerfrische wohler fühlen, und der war sofort damit einverstanden überzusiedeln, sobald es ihm nur ein wenig besser gehen werde.«
»Sie hätten das nicht sagen sollen, Kolja ...«, murmelte der Fürst, indem er aufstand und nach seinem Hut griff.
»Warum erzählen Sie das? Ich ...«
»Wohin willst du denn?« hielt ihn Lisaweta Prokofjewna zurück.
»Lassen Sie sich hier nicht stören, Fürst!« fuhr Kolja in seinem Feuereifer fort. »Gehen Sie nicht zu ihm hin, und beunruhigen Sie ihn nicht; er ist, von der Fahrt ermüdet, eingeschlafen; er freut sich sehr; und wissen Sie, Fürst, meiner Ansicht nach ist es das beste, wenn Sie ihn jetzt nicht aufsuchen. Verschieben Sie es lieber auf morgen; sonst wird er wieder verlegen. Er hat heute vormittag zu mir gesagt, er habe sich schon seit einem halben Jahr nicht so wohl und kräftig gefühlt; er hustet sogar weit weniger.«
Der Fürst bemerkte, daß Aglaja auf einmal von ihrem Platz in der Ecke herauskam und an den Tisch herantrat. Er wagte nicht, nach ihr hinzublicken; aber er fühlte mit seinem ganzen Wesen, daß sie ihn in diesem Augenblick ansah und vielleicht zornig ansah, und daß in ihren schwarzen Augen jedenfalls ein Ausdruck des Unwillens lag und ihr Gesicht glühte.
»Ich glaube, Nikolai Ardalionowitsch, Sie haben nicht gut daran getan, ihn hierher zu bringen, wenn es sich um jenen schwindsüchtigen jungen Menschen handelt, der damals zu weinen anfing und uns zu seinem Begräbnis einlud«, bemerkte Jewgeni Pawlowitsch. »Er sprach damals in so pathetischen Ausdrücken von der Mauer des Nachbarhauses, daß er sich unfehlbar nach dieser Mauer zurücksehnen wird; davon können Sie überzeugt sein.«
»Das ist ganz richtig. Er wird sich mit dir zanken und überwerfen und wieder wegfahren; weiter kommt nichts dabei heraus!«
Nach diesen Worten zog Lisaweta Prokofjewna würdevoll den Korb mit ihrer Handarbeit zu sich heran, da sie ganz vergessen hatte, daß alle bereits aufgestanden waren, um den Spaziergang anzutreten.
»Es ist mir erinnerlich, daß er mit dieser Mauer sehr geprahlt hat«, begann Jewgeni Pawlowitsch von neuem. »Ohne diese Mauer wird er nicht mit großartigen Redewendungen sterben können, und daran ist ihm doch viel gelegen.«
»Nun gut«, murmelte der Fürst, »wenn Sie ihm nicht verzeihen wollen, wird er eben ohne Ihre Verzeihung sterben ... Jetzt ist er um der Bäume willen hierher übergesiedelt.«
»Oh, ich meinerseits verzeihe ihm alles; das können Sie ihm ausrichten.«
»So darf die Sache nicht aufgefaßt werden«, antwortete der Fürst leise und anscheinend nur ungern, indem er fortfuhr, mit gesenkten Augen auf einen Punkt des Fußbodens hinzublicken. »Es ist erforderlich, daß auch Sie bereit sind, von ihm Verzeihung anzunehmen.«
»Aber was habe ich denn damit zu tun? Was habe ich ihm denn zuleide getan?«
»Wenn Sie das nicht verstehen, so ... aber Sie verstehen es ja; er wollte damals ... Sie alle segnen und Ihren Segen empfangen; weiter nichts ...«
»Lieber Fürst«, fiel Fürst Schtsch. schnell mit einer gewissen Behutsamkeit ein, nachdem er mit einem und dem andern von den Anwesenden einen Blick gewechselt hatte, »das Paradies läßt sich auf Erden nicht so leicht wiederherstellen; und doch rechnen Sie gewissermaßen mit einer Wiederherstellung des Paradieses; das ist ein schweres Ding, Fürst, weit schwerer, als es Ihrem prächtigen Herzen erscheint. Wir wollen lieber davon aufhören; sonst geraten wir alle am Ende wieder ins Streiten, und dann ...«
»Wir wollen zur Musik gehen!« sagte Lisaweta Prokofjewna in scharfem Ton und erhob sich ärgerlich von ihrem Platz.
Alle schlossen sich ihr an.
Der Fürst trat plötzlich an Jewgeni Pawlowitsch heran.
»Jewgeni Pawlowitsch«, sagte er mit auffälliger Wärme, indem er seine Hand ergriff, »seien Sie überzeugt, daß ich Sie trotz allem für den edelsten, besten Menschen halte; das versichere ich Ihnen ...«
Jewgeni Pawlowitsch war so erstaunt, daß er sogar einen Schritt zurücktrat. Einen Augenblick lang hatte er die größte Mühe, einen starken Lachreiz zu unterdrücken; aber bei näherem Hinsehen bemerkte er, daß der Fürst kaum seiner selbst mächtig war und sich jedenfalls in einem ganz eigenartigen Zustand befand.
»Ich möchte darauf wetten, Fürst«, rief er, »daß Sie eigentlich etwas ganz anderes sagen wollten und vielleicht gar nicht zu mir ... Aber was ist mit Ihnen? Fühlen Sie sich nicht wohl?«
»Möglich, gut möglich, und Sie haben sehr richtig bemerkt, daß ich mich vielleicht gar nicht an Sie wenden wollte!«
Nach diesen Worten lächelte er auf eine ganz seltsame und sogar komische Weise; aber plötzlich schien er in starke Erregung zu geraten und rief:
»Erinnern Sie mich nicht an mein Benehmen vor drei Tagen! Ich habe mich diese drei Tage über sehr geschämt ... Ich weiß, daß ich schlecht gehandelt habe ...«
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