Trotz des Überraschungseffekts behielt Eryn einen kühlen Kopf. Er stoppte zunächst die Blutung und betäubte seinen Arm. Wann habe ich meine Schilde fallen gelassen? Hier ist eine subtile Manipulation am Werk und ich habe nicht das Geringste gemerkt.
Um sich zu befreien, wollte er das Gitter magisch anheben. Aber er merkte sofort, dass da etwas nicht stimmte, denn seine Magie wurde umgehend absorbiert.
Welcher kranke Geist denkt sich so etwas aus? Nicht auszudenken, wenn ich mich tatsächlich auf das Bett gelegt hätte. Dann wäre ich jetzt mit Sicherheit tot.
Just in dem Augenblick erschien neben dem Bücherregal eine schlanke Gestalt. Sie trug eine Robe und hatte die Kapuze über den Kopf gezogen, sodass man ihr Gesicht nicht erkennen konnte. Eryn scannte sofort und seine Magie verriet ihm, dass dies nur ein Trugbild war.
Nicht jetzt auch noch eine dieser dämlichen Illusionen.
„Du kleiner dreckiger Magier mit dem Kreis Gold. Hast du wirklich gedacht, du könntest mich so einfach bestehlen?“ Die Stimme war eindeutig männlich, doch sie gehörte weder Ador noch Prinz Raiden. Darum wunderte sich Eryn:
„Hä, wer bist du?“ Doch der Fremde ignorierte die Frage gänzlich und fuhr einfach fort:
„Widerwärtiges Geschmeiß aus Elverin ist in meine Falle getappt und hat seine gerechte Strafe erhalten. Springst hin und her wie ein Floh, bis man dich fängt und zwischen zwei Fingern zerdrückt. Nun schläfst du gut in diesem Bettchen und wirst keinen anständigen Magier mehr bestehlen.“
Er denkt, ich wäre tot. Falsch, diese Illusion denkt nicht, sondern spult lediglich einen Text ab. Irgend so ein krankes Hirn hat hier eine Falle für einen Magier aufgestellt und verhöhnt nun auch noch den Toten.
„Verrotte in der Hölle, elender Jünger Elverins. Sie springen durch Tore und schnüffeln überall herum. Aber ich bin klüger als diese Kakerlaken. Ich denke, wie sie denken und dann locke ich sie in eine Falle.“ Theatralisch schlug der Mann die Kapuze zurück und rief:
„Ich, der große Meister Tiundor!“
Zum Vorschein kam ein ausgezehrtes Gesicht, eingerahmt von einem langen schwarzen Vollbart. Durch die Mitte des Bartes zog sich eine einzelne weiße Strähne. Die Lippen waren dünn und darüber befand sich eine breite Nase. Unter buschigen Augenbrauen saßen hellbraune Augen und glitzerten irrsinnig. Die langen schwarzen Haare begannen nun in alle Richtungen abzustehen, während die Illusion die Arme hob und wiederholte: „Ich, der große Meister Tiundor!“
Scheiße. Bei dem Namen klingelte etwas in Eryns Gedächtnis. Tiundor, war das nicht dieser verrückte Magier aus Draegnok? Zumindest kann ich sicher sein, dass der inzwischen tot ist, auch wenn ihn seine gehässige Falle überdauert hat.
„Ich, der große Meister Tiundor!“
Die Illusion war nun in eine Endlosschleife der Lobpreisung seiner selbst übergegangen und Eryn ignorierte die harmlose Zauberei. Ich muss mich befreien. Dabei ist äußerste Vorsicht angesagt. Standard nach Lehrbuch wird hier nicht funktionieren. Das habe ich zum Glück schon vorhin bemerkt und der nette Meister Tiundor hat mir diese Vermutung gerade eben auch noch bestätigt. Das Gitter absorbiert magische Energie, um dann einen Zauber zu entfesseln. Vermutlich eine Explosion. Zuerst aufspießen und dann grillen, solch ein teuflischer Plan passt zu diesem Verrückten. Also versuche ich es mit Negation und Absorption.
Eryn löste so die Struktur des Eisens auf und sammelte sie weg, bis die Dornen derart ausgedünnt waren, dass sie wie verrottetes Holz brachen und er seinen Arm endlich herausziehen konnte. Normalerweise nutzte man diese Methode nicht, um sich zu befreien, da in den Wunden dann vermehrt kleine Splitter zurückblieben. Aber darin sah Eryn im Augenblick das geringere Übel. Erschöpft saß er nun auf dem Boden und heilte seine Wunden. Als er damit fertig war, ballte er die Hand zur Faust und öffnete sie wieder, um die Funktion zu überprüfen. Die neue Haut seines geheilten Armes spannte und die Muskeln fühlten sich schwach an. Aber das war nichts Ungewöhnliches.
Ich kann von Glück sagen, dass das nur Fleischwunden waren.
„Ich, der große Meister Tiundor!“, tönte es immer noch beständig und die Lobpreisung zehrte an den Nerven.
Zeit, diesen Geist loszuwerden. Eryn schickte eine Negation auf den Weg, doch die Illusion zeigte sich davon reichlich unbeeindruckt.
Dann soll er halt weiter rumkrakeelen. Zumindest kann er mit seinen Worten niemanden verletzen. Und dann ertappte Eryn sich dabei, wie er schon wieder zu dem Bett hinübersah. Obwohl das Stachelgitter Decke und Kissen durchbohrt hatte, spürte er weiterhin einen gewaltigen Drang, sich einfach hinzulegen.
Diese Manipulation ist unglaublich. Ich kann den Zauber nicht einmal ansatzweise ausmachen und doch ist er da. Nicht auszuschließen, dass es hier noch mehr Fallen gibt. Darum schnappe ich mir jetzt die Beute und haue zügigst ab.
Die Bücher nahm er einzeln von dem Regal und überprüfte jedes, bevor er sie vor sich aufstapelte. Dann legte er die Kleidung aus der Truhe gleich daneben. So, bereit.
Wie gewohnt baute sich die Tormagie auf. Dann zog er das Tor über sich und die Beute.
Er hätte nun neben der Säule herauskommen müssen, doch stattdessen blickte er wieder direkt auf das Bett und neben ihm rief die Illusion:
„Ich, der große Meister Tiundor!“
Was? Aber ich habe doch ganz sicher ein anderes Ziel initialisiert. Oder etwa nicht?
Er versuchte es gleich noch einmal, nur um erneut in dem verborgenen Zimmer zu landen. Da schwante ihm bereits Böses. Daraufhin versuchte er, in den Wegen zu verweilen. Was ihm sonst keine große Anstrengung bereitete, wollte ihm jedoch jetzt nicht mehr gelingen. Seine Reise dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde und brachte ihn stets an denselben Ort zurück, den er inzwischen so gerne verlassen hätte.
Ich bin gefangen, stellte Eryn ernüchtert fest, während Tiundor sein Sprüchlein aufsagte. Die beständige Selbstdarstellung ging Eryn mittlerweile dermaßen auf die Nerven, dass er sie mit einem simplen Ausblendungszauber ausschließen wollte. Doch statt der erwünschten Ruhe verdoppelte sich Tiundor daraufhin. Die zweite Version des Meisters setzte mit ihrem Sprüchlein ein, noch bevor die erste ihren Satz beendet hatte.
Bei den Göttern, dieser Tiundor ist wirklich ein Arsch. Aber man kann ihm nicht vorwerfen, dass er mich nicht gewarnt hätte. Er versetzt sich in die Denkweise eines gewöhnlichen Magiers hinein und stellt uns dann Fallen. Deswegen muss ich mich von jetzt an vor jedem weiteren Standardvorgehen hüten. Und warum zum Teufel kann ich seine verfluchten Zauber nicht sehen? Niemand beantwortete ihm seine Frage und von selbst kam er auch nicht dahinter. In der darauffolgenden Stunde probierte er alles Mögliche aus, um der Falle zu entkommen. Schließlich trat er mit voller Wucht und ganz unmagisch gegen die Wand. Aber auch das bewirkte nichts.
Natürlich, hätte ich mir denken können. Dieser Käfig ist so vollgestopft mit Magie und doch kann ich kein bisschen davon scannen. Wie macht der elende Sack das?
„Ich, der große Meister Tiundor!“
Ach halt doch die Klappe! Langsam glaube ich, es wäre besser gewesen, ich hätte mich auf das Bett gelegt. Die Stachelfalle hätte mein Leid zumindest schnell beendet. Nun sitze ich hier fest und werde irgendwann verhungern und verdursten. Nahrung hersammeln ist hier drinnen ebenfalls Fehlanzeige, das habe ich auch schon probiert. Oder ist dieser Käfig so gut versiegelt, dass mir vorher die Luft ausgeht? Diese Vorstellung war beklemmend, aber so schnell wollte er noch nicht aufgeben. Denk nach, Eryn. Vielleicht helfen mir die Artefakte, die ich heute eingesammelt habe. Er leerte seine Tasche und legte die Beute fein säuberlich nebeneinander auf dem Boden aus. Da er die Halskette schon untersucht hatte und er den Spiegel für eine absurde Spielerei hielt, richtete er sein Augenmerk zunächst auf die Ringe. Der goldene mit dem großen grünen Smaragd war ein starker Heilring. Die anderen zwei waren aus Silber und rundum mit kleinen Edelsteinen besetzt. Der eine mit Diamanten und der andere mit Rubinen. Das deutete auf Schild- und Abschirmungszauber hin.
Читать дальше