Der etwas größere Albert könnte also auch Angst vor der weißen Ratte lernen, indem er sie sich als sehr gefährlich vorstellt, wie in der Illustration veranschaulicht. Dazu ist dann keine klassische Konditionierung notwendig, die den Anblick der weißen Ratte mit einem lauten Geräusch paart.
Abbildung 2 |
Der etwas ältere Albert stellt sich vor, dass die weiße Ratte sehr gefährlich ist. Allein die Vorstellung kann schon zu Angst führen.
Geht das auch in die andere Richtung? Kann man Angst durch positive Vorstellungen wieder verlernen? Genau das wird in sogenannten vorstellungsbasierten TherapieverfahrenTherapieverfahren, vorstellungsbasiertes gemacht und es funktioniert erstaunlich gut! Beispielsweise bei der sozialen → Phobie, bei der die Betroffenen Angst vor sozialer Zurückweisung haben. Dort spielt die Interpretation von sozialen Situationen eine zentrale Rolle. Geht eine Person mit sozialer Phobie in ein Café, in dem sich zwei Leute unterhalten und plötzlich in dem Moment anfangen zu lachen, wenn die Person an ihrem Tisch vorbeigeht, wird sie möglicherweise denken: „Die lachen bestimmt über mich! Ich habe mich bestimmt ungeschickt verhalten oder sehe seltsam aus!“ Die sozial ängstliche Person kann dann in ihrer Vorstellung oder mit Hilfe von virtueller Realität die zuvor beängstigende Situation noch einmal erleben. Diesmal aber mit der Vorstellung, dass sich die beiden Lachenden am Tisch einfach sehr gut verstehen und sich über etwas amüsieren, das die eine Person gerade erzählt hat. So lernt dann die betroffene Person, dass die Situation gar nicht bedrohlich ist und im besten Fall überträgt sie diese Erfahrung dann auf zukünftige Erlebnisse. Ziel ist, die spontane Interpretation der Situation zu verändern. Das erfordert viel Übung und oft große Überwindung, da die Betroffenen die beängstigenden Situationen normalerweise vermeiden. Dabei ist es eine sehr effektive Methode, sich Ängsten auszusetzen, um sie zu überwinden.
Linktipp
| Betroffene können angstbesetzte Situationen oder angstbesetzte Objekte auch über virtuelle Realitäten erleben. Hier gibt es einen anschaulichen Überblick darüber, wie virtuelle Realität bei der Behandlung spezifischer Phobien helfen kann. Beispielsweise wird das Achterbahnfahren mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden trainiert:
https://www.youtube.com/watch?v=mi6GxuGVEd0.
Welche Prozesse laufen in Gehirn und Körper ab?
Angst ist ein komplexes Phänomen und der Körper zeigt auf vielen Ebenen Reaktionen, die darauf ausgelegt sind, auf eine akute Gefahr reagieren zu können. In Horrorfilmen wird Angst beispielsweise folgendermaßen dargestellt: Man hört den Herzschlag, der sich beschleunigt, dazu kommt schnelles Atmenatmen. Die Anspannung des Körpers und die Fokussierung auf den angstauslösenden Reiz kann man sich vorstellen wie einen Bildausschnitt, der immer enger wird. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht das Objekt der Angst. Alles andere wird ausgeblendet. Der angstauslösende Reiz kann sich durch noch so kleine Indizien ankündigen. Das kann ein leises Rascheln oder ein Knacken sein – die ängstliche Person wird diese Indizien entdecken und die Aufmerksamkeit so auf sie richten, dass sie in der Wahrnehmung verstärkt werden. Diese Mechanismen werden durch verschiedene Schaltstellen im Körper gesteuert und sind hilfreich, wenn eine Situation oder ein Objekt wirklich gefährlich ist. Wenn eine Person jedoch eine → Angststörung hat, so kann diese Angstreaktion zur Belastung werden. Im Folgenden gehen wir nacheinander die körperlichen Ebenen der Angstreaktion durch. Da die Prozesse nicht zwangsläufig in einer bestimmten Reihenfolge ablaufen, ist die Anordnung nicht zeitlich geordnet.
Wie zeigt sich Angst im Gehirn?
Unser Gehirn ist in verschiedene Teile gegliedert. Es gibt Teile, die sind „älter“, das heißt, sie waren auch bei unseren evolutionären Vorfahren bereits angelegt. Daneben gibt es Teile, die „jünger“ sind. Diese sind entwicklungsgeschichtlich später entstanden. Die Region, die gemeinhin als Angstzentrum des Gehirns bekannt ist, die → AmygdalaAmygdala, gehört zum älteren Teil des Gehirns. Sie schlägt Alarm, wenn ein Reiz gefährlich ist. Die Amygdala gibt es in beiden Gehirnhälften und sie liegt relativ weit innen im sogenannten limbischen Systemlimbisches System, das eine große Rolle für Gefühle im Allgemeinen spielt. Die Amygdala hat aber auch eine Art Gegenspieler, den präfrontalen Kortexpräfrontaler Kortex. Der gehört zum jüngeren Teil des Gehirns und liegt hinter unserer Stirn. Der präfrontale Kortex ist sehr groß und für die Steuerung von Verhalten zuständig. Er ist eine Art Dirigent und legt fest, welcher Akteur wann wie stark zum Einsatz kommt. Der präfrontale Kortex kann der Amygdala Einhalt gebieten, wenn sie zu stark oder unnötigerweise Alarm schlägt. Das ist eine sehr nützliche Funktion und schützt uns vor übermäßiger Angst in Situationen, in denen Angst nicht angesagt ist. Es wurde gezeigt, dass eine besonders ausgeprägte Verbindung zwischen der Amygdala und dem präfrontalen Kortex mit weniger Angst in Zusammenhang steht (Kim & Whalen, 2009).
Abbildung 3 |
Querschnitt des Gehirns mit der Amygdala, dem Angstzentrum des Gehirns
Natürlich steht die Amygdala noch mit vielen weiteren Gehirnarealen in Verbindung, denn wenn eine akute Bedrohung erkannt wird, ist der gesamte Organismus in Gefahr und alle Bereiche werden alarmiert. Es ist auch anzunehmen, dass es außer der Amygdala noch andere Mechanismen gibt, die im Bedarfsfall Alarm schlagen und Angstgefühle verursachen.
In einer Studie wurden drei Patientinnen untersucht, denen aufgrund einer bestimmten Erkrankung die Amygdala in beiden Gehirnhälften fehlte. Diese Patientinnen empfanden keine Angst, mit einer Ausnahme: Wenn man ihnen Ersticken suggerierte, indem man sie Luft mit 35 % Kohlenstoffdioxid einatmenatmen ließ, empfanden sie Angst und hatten sogar Panikattacken. Die Patientinnen waren von diesem Angstgefühl überrascht, da sie es bisher noch nie so erlebt hatten (Feinstein et al., 2013).
Beispiel| In dem Film Free Solo wird das Gehirn von Alex Honnold in einem fMRT Experiment untersucht. Er liegt dabei in dem Magnetresonanztomographen, der die Aktivierung seines Gehirns während einer bestimmten Aufgabe zeigt. Die Aufgabe war, Bilder anzusehen, die bei Kontrollproband:innen eine starke Aktivierung der Amygdala erzeugen. Er sieht beispielsweise das Bild eines untergehenden Schiffes oder einer Hand mit einem großen Messer. Alex Honnolds Aufgabe ist es, eine Taste zu drücken, wenn er ein neues Bild sieht. Danach werden seine Gehirndaten ausgewertet. Die Wissenschaftlerin erklärt Alex Honnold, dass seine Amygdala während der Betrachtung der angstauslösenden Bilder fast keine Reaktion zeigte im Vergleich zu Kontrollproband:innen. Sie erklärt ihm, dass seine Amygdala funktioniert, aber eben eine sehr hohe Schwelle hat, bis sie reagiert.
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