Eben als ich damit fertig war, glücklicherweise nicht eher, wendete man mich um, um mir die Hände wieder freizugeben, weil ich essen sollte. Es wurde überhaupt große Morgenspeisung gehalten, weil, wie ich später sah, der Aufbruch vor sich gehen sollte. Die Tiere wurden zusammen- und dann weitergetrieben. Die roten Krieger, welche dazu nicht gebraucht wurden, blieben noch eine Weile am Platze, weil sie die langsam wandernde Herde bald einholen konnten. Nach vielleicht zwei Stunden trennten sie sich in zwei Abteilungen. Die kleinere blieb zurück, um die andern Gefangenen zu bewachen und sie, wie ich später hörte, erst nach Verlauf von zwei Tagen freizulassen. Es geschah das, damit der Haziendero nicht Zeit gewinnen könne, Hilfe zu holen und die Yuma zu ereilen, ehe sie sich in Sicherheit befanden.
Die größere Abteilung, welche von dem Häuptlinge angeführt wurde, folgte in langsamem Ritte den vorausgeschickten Tieren nach. Ich befand mich, auf ein Pferd gefesselt, bei ihr, von fünf neuen Wächtern umringt. Man wechselte also, damit die auf mich gerichtete Aufmerksamkeit nicht ermüden solle. Als wir uns in Bewegung setzten, hörte ich die Stimme des Mormonen hinter uns dreinrufen:
»Farewell, Master! Grüßt mir den Teufel, wenn er Euch in einigen Tagen in der Hölle guten Morgen sagt!«
Sein auf die Hazienda gerichteter Teufelsstreich war ihm gelungen, und er hegte die Ueberzeugung, von mir befreit zu sein. - - -
Drittes Kapitel.
Winnetou.
Unser Zug nahm eine mir sehr gut bekannte Richtung, nämlich diejenige nach dem Walde der Lebenseiche. Das war sehr hoffnungerweckend für mich, denn wenn diese Richtung beibehalten wurde, so war es sehr wahrscheinlich, daß wir den von mir zu Hilfe gerufenen Mimbrenjo-Indianern, mit denen ich doch an der Eiche zusammentreffen wollte, begegnen mußten. Bei fernerem Nachdenken aber sah ich ein, daß es für mich geraten sei, die Begegnung nicht zu wünschen, da sie mir große Gefahr brachte. Ich mußte mir nämlich sagen, daß die Yumas, im Falle sie angegriffen werden sollten, mich lieber töten als zusehen würden, daß die Mimbrenjos mich befreiten.
Mochte die Begegnung nun Glück oder Unglück für mich bedeuten, sie wurde, wie ich bald sah, unmöglich, weil die Yumas sich am Walde rechts wendeten, während der jüngere Mimbrenjoknabe und seine Schwester, meine Boten, nach links geritten waren. Sie hatten ihn nach Westen umritten, während wir nach seinem östlichen Ende trachteten, und da er von ganz bedeutender Ausdehnung war, so konnte ich annehmen, daß die beiden Wege soweit auseinander gingen, daß ein Zusammentreffen schwerlich anzunehmen war.
Der Abend kam heran, und noch hatten wir das Ende des Waldes nicht erreicht. Wir mußten am Rande desselben Lager machen. Die durch die geraubten Herden gebotene Langsamkeit hätte mich in jedem anderen Falle geärgert; jetzt aber war sie mir angenehm, da durch sie die mir gestellte Gnadenfrist fast um das Doppelte verlängert wurde.
Ich wartete natürlich auf das Zeichen meines Mimbrenjoknaben. Es ertönte erst, als wir gegessen hatten und ich schon wieder in die Decke gewickelt war. Fliehen konnte ich heute also nicht, doch war es mir eine große Beruhigung, zu wissen, daß der Helfer in der Nähe sei und meinen Anordnungen Folge leiste. Wie ich hörte, hatte er sich sehr nahe herangewagt; das konnte er, weil wir uns am Walde befanden, der ihm sichere Deckung bot.
Am Morgen ging es weiter. Dem Häuptling schien das langsame Reiten mit den Herden langweilig geworden zu sein; er beschloß, voranzureiten und am abendlichen Lagerplatze auf die Nachkommenden zu warten. Er nahm die Hälfte seiner Krieger und natürlich auch mich nebst meinen Wächtern mit. Das war ein ganz bedeutender Strich durch meine Rechnung. Der Mimbrenjo konnte nur langsam hinter den Herden drein, nicht aber hinter uns her; er traf also erst nach den Nachzüglern am Lagerplatze ein, und es war vorauszusehen, daß ich dann schon wieder mit der schrecklichen Decke umwickelt sein würde. Hilflos wie ein Kind, konnte ich dann an keine Flucht denken.
Wie gedacht, so geschehen! Am Vormittage war der Wald zu Ende; wir ritten bis Mittag über bald grasiges, bald ödes Land und machten dann für einige Stunden
Halt, um zu essen. Die Hände wurden mir freigegeben. Ich hätte also mein Messer ziehen und die Fesseln meiner Füße durchschneiden können, um aufzuspringen und davonzulaufen. Aber wie weit wäre ich gekommen! Oder mich auf eines der Pferde werfen? Auch nicht. Sie weideten frei und hatten sich zerstreut. Das nächste war so weit entfernt, daß ich es zwar erreichen konnte, ehe ich ergriffen wurde, aber dann waren die vielen wohlbewaffneten Roten alle hinter mir, der ich nur das Messer hatte, her, und dazu durfte ich ganz und gar nicht annehmen, daß ich gerade das schnellste Pferd erwischen würde. Nein, ich mußte den Versuch, der mir nur verderblich werden konnte, unterlassen.
Den Nachmittag über ritten wir über ebensolches Land und hielten dann auf einer weiten, grasigen Fläche an. Da man genug Proviant mitgenommen hatte, so konnte gegessen werden; dann wickelte man mich ein. Es war wie gestern abend, nur daß der Mimbrenjo sich wegen der Ebenheit der Gegend nicht soweit heranwagen konnte.
Erst als es dunkel geworden war, kamen die Herden an.
Kurze Zeit später hörte ich den dreimaligen Ruf des Grasfrosches, und zwar aus einer Entfernung von höchstens dreihundert Schritten. So nahe konnte der Knabe nur in der Nacht bleiben; am Morgen, ehe es Tag wurde, mußte er zurück, um nicht gesehen zu werden. Der arme Teufel opferte den Schlaf, ohne daß ich Vorteil davon hatte.
Ebenso ging es den folgenden und auch den vierten Tag. Kam ein mir günstiger Augenblick, so war der Mimbrenjo nicht bei der Hand, und sagte mir dann sein Zeichen, daß er in der Nähe sei, so war die Gelegenheit für mich vorüber. Der fünfte Tag aber sollte glücklicher für mich sein.
Der Weg führte schon vom Morgen an über felsige Höhen, durch enge Thäler und finstere Schluchten. Da konnte man sich nicht trennen, weil die doppelte Zahl von Treibern erforderlich war. Ich hatte die bestimmte Ahnung, daß heute die Entscheidung kommen werde. Beim Mittagslager war ich noch nie eingewickelt worden, und die Beschaffenheit der Gegend erlaubte es meinem Helfer, sich so nahe zu halten, wie ich nur wünschen konnte.
Kurz bevor die Sonne am höchsten stand, kamen wir durch eine rauhe, viel gewundene Schlucht, welche sich ganz plötzlich auf einen grünen, wiesigen Plan öffnete; auch Gesträuch stand da. Das Vieh war nicht zu halten; es stürmte aus der Schlucht auf den verlockenden Plan und hatte sich in wenigen Minuten so zerstreut, daß die Reiter ihre liebe Not hatten, es wieder zusammenzubringen.
Der Häuptling hatte meinen Hütern sogleich den Befehl gegeben, mich loszubinden, natürlich nur vom Pferde, und auf die Erde zu legen. Sie setzten sich neben mir nieder. Da wir dann den Mittelpunkt des Lagers bildeten, so kam dasselbe so nahe dem Ausgange der Schlucht zu liegen, daß ich denselben mit vielleicht vierhundert Schritten erreichen konnte.
Aus den Befehlen, welche der Häuptling erteilte, entnahm ich, daß er heute nicht weiter wollte. Die geraubten Herden waren durch die Märsche während der letzten vier Tage so angegriffen worden, daß man ihnen wenigstens bis morgen früh Ruhe gönnen mußte, wenn sie den weitern Teil des Weges aushalten sollten. Dem längeren Aufenthalte angemessen, wurden, was während der vorigen Tage nicht geschehen war, die Zelte aufgeschlagen. Während diese Arbeit ausgeführt wurde und man die sonstigen Vorbereitungen traf, kam der Häuptling herbei und setzte sich vor mir nieder. Eben als er Platz genommen hatte, ertönte der erste Schrei des Grasfrosches, ohne daß einer der Indianer darauf achtete.
Der große Mund legte die Füße übereinander, kreuzte die Arme über der Brust und heftete seinen stechenden Blick auf mein Angesicht. Ich sah ihm an, daß er jetzt reden werde, während er mich bisher dessen nicht gewürdigt hatte. Die fünf Wächter blickten zu Boden; sie sahen weder ihn noch mich an; das war die ehrfurchtsvolle Erwartung des Augenblicks, an welcher sich ihr Häuptling wenigstens in Worten mit Old Shatterhand messen werde. Da ein trotziges Schweigen meinen Zustand nur verschlimmern konnte, da ferner ein übel angebrachter Stolz hier nur Dummheit gewesen wäre, und da es endlich meinem Charakter widerstrebte, mich von diesem Manne, wenn auch nur in Worten, werfen zu lassen, so nahm ich mir vor, ihm Rede und Antwort zu stehen. Er begann mit der nicht sehr geistreichen Frage.
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