In diesem Augenblicke gab der Mimbrenjoknabe sein drittes Zeichen. Der Häuptling antwortete wütend, da er mir ansah, daß ich nicht im Hohne, sondern in vollstem Ernste, mit voller Ueberzeugung gesprochen hatte:
»Hörst du ihn da drüben wieder quaken? So quakst auch du. Du sollst bald sehen, wer sich zu fürchten hat. Ich werde von jetzt an strenger sein, um dir die Lust zu benehmen, deine Rettung für möglich zu halten. So wahr du die Stimme dieses Frosches hörtest, so wahr bist du verloren!«
»Du irrst, denn so wahr ich sie höre, so wahr ist's, daß ihr mir nichts zu thun vermöget!«
»Wohlan, ich will es dir beweisen. Von jetzt an sollst du stets, wenn du nicht zu Pferde bist, eingebunden werden. Dann siehe zu, wie du zu entkommen vermagst. Bindet seine Hände los und gebt ihm sein Fleisch; dann will ich ihn in die Decke rollen. Von jetzt an werde ich das stets selbst thun, damit diesem Hunde jeder Schein von Hoffnung vergehen möge!«
Er war fast außer sich darüber, daß ich so ruhig blieb und trotz meiner Gefangenschaft seine Uebermacht leugnete. Ich trieb eigentlich, indem ich von meinem Entkommen gesprochen hatte, ein gewagtes Spiel, hatte aber dabei die feste Zuversicht, daß ich die Partie nicht verlieren, sondern gewinnen würde.
Einer der Wächter holte mein Fleisch; die andern nahmen mir die Riemen von den Händen. Der Augenblick des Handelns, der Entscheidung war nahe. Trotzdem war ich innerlich und äußerlich vollständig ruhig. Und das muß so sein. Wer in einem solchen Momente wankt und zittert, der kommt wohl schwerlich glücklich über ihn hinweg.
Man hatte mir meine Portion Magerfleisch in lange, dünne Streifen geschnitten, welche ich mit den Zähnen leicht in Bissen trennen konnte, ohne ein Messer zu brauchen. Das that ich denn auch so langsam und behaglich, als ob ich mit weiter nichts als mit meinem Appetite beschäftigt sei; ich hatte mich dabei in sitzende Stellung aufgerichtet und hielt die Beine und Füße so, daß ich alle Schlingungen der Riemen mit einem einzigen Male erreichen und zerschneiden konnte. Zwei Schnitte hätten wohl schon zuviel Zeit erfordert, obwohl es sich dabei nur um Sekunden handelte. Das Leben hing von halben Momenten ab.
Der Häuptling beobachtete mich mit finsterer Miene. Meine absichtlich zur Schau getragene Behaglichkeit empörte ihn, und er nahm sich gewiß vor, mich nachher durch
äußerst festes Zusammenschnüren meiner Glieder dafür zu bestrafen.
»Mach' schneller!« gebot er mir. »Ich habe keine Zeit, auf dich solange zu warten!«
Um die nötige Zeit zum Vornüberbeugen des Oberkörpers und Hervorholen des Messers zu gewinnen, ließ ich, scheinbar erschrocken über diese ebenso plötzliche wie scharfe Anrede, das Fleisch aus den Händen fallen und bückte mich nieder, um es aufzuheben, wozu ich mich der linken Hand bediente. Während ich mit vollster Sicherheit annehmen konnte, daß dabei die Augen aller auf das Fleisch und meine Linke gerichtet waren, fuhr ich mit der Rechten unter die Weste, indem ich antwortete:
»Schneller? Gut, so soll es sofort geschehen. Paß auf!«
Bei diesen beiden letzten Worten hatte ich auch schon die scharfe Messerklinge zwischen den Füßen an den Riemen; ein Schnitt - ich sprang empor, setzte dem Häuptling meinen rechten Fuß auf die Achsel, sprang über ihn hinweg und rannte fort, der Schlucht entgegen. Ich muß sagen, daß ich, als meine Füße nach dem Sprunge über des Häuptlings Kopf hinweg den Boden berührten, beinahe zusammenstauchte; aber ich mußte weiter, und so ging es auch, denn was man muß, das kann man auch. Indem ich in weiten Sätzen über das Gras flog, herrschte hinter mir zunächst die tiefste Stille, die Stille der Ueberraschung, des Schreckens; man war eben starr und stumm, als das für unmöglich Gehaltene so plötzlich zur Wahrheit wurde; dann aber - ich war vielleicht hundert Schritte weit gekommen - löste sich der Bann, und es erschallte ein Geheul, als ob tausend Teufel hinter mir ihre Stimme erhöben. Ich sah mich natürlich nicht um und rannte weiter; alle meine Kräfte mußte ich gleich jetzt anstrengen, um das Pferd zu erreichen. In meinem Zustande hätte ich einen Dauerlauf nicht zwei Minuten lang ausgehalten.
Da sah ich meinen Mimbrenjo hinter dem Felsen hervortreten. Er hatte sein Gewehr in der Rechten und hielt mir mit der Linken meinen Stutzen entgegen. Er blieb nicht etwa wartend stehen, sondern kam auf mich zugerannt. Noch ehe wir zusammentrafen, rief ich ihm entgegen:
»Sind die Pferde gleich hier, hinter der Ecke?«
»Nein, hinter der ersten Krümmung.«
»Wieviel Schritte?«
»Hundertmal fünf.«
O weh! Noch fünfhundert Schritte konnte ich mit meinen eingeschlafenen Füßen nicht thun, ohne erreicht zu werden; also mußte Blut mich retten, Indianerblut! Das war eine jener Lagen, in denen ich so gern geschont hätte und doch nicht schonen durfte. Ich riß im Laufen dem Knaben den Stutzen aus der Hand, betastete das Schloß, fand es in Ordnung und fühlte mich infolgedessen so sicher, daß ich stehen blieb und mich nach den Verfolgern umwandte. Ich nahm als sicher an, daß sie sich nicht die Zeit gegönnt hatten, ihre Schießwaffen mitzunehmen, und fand dies bestätigt. Sie kamen schreiend und mit den Armen in der Luft fechtend in einem wirren Haufen hinter mir hergerannt, voran meine Wächter mit dem Häuptlinge.
»Zurück, ich schieße!« rief ich ihnen entgegen.
Ich stand auf meinen geschwächten Füßen nicht so recht fest, glaubte aber, dennoch sicher schießen zu können, und legte an. Die Yumas beachteten meinen Ruf nicht und kamen heran bis auf hundert Schritte; zwei Schüsse von mir; neunzig Schritte wieder zwei; achtzig, siebzig, sechzig Schritte je zwei Schüsse; das waren zehn Kugeln, von denen jede in das Hüftgelenk eines Verfolgers fuhr; die Getroffenen stürzten
augenblicklich nieder. Die andern sahen das und wurden stutzig.
»Zurück!« rief ich abermals. »Ich schieße euch alle nieder!«
Noch zwei Kugeln, welche fest saßen! Der wackere Mimbrenjo war bei mir stehen geblieben und schoß auch; ich machte nur unschädlich; seine Kugel aber galt den Tod. Die Verfolger blieben halten; sie wagten sich nicht weiter. Viele rannten zurück, um ihre Flinten zu holen. Einer aber rannte blind vor Grimm weiter, auf mich los - der Häuptling. Er schrie vor Wut wie ein wildes Tier und schwang sein Messer, die einzige Waffe, welche er augenblicklich besaß, in der Linken, denn die Rechte hatte ich, wie man sich entsinnen wird, ihm verwundet. Es war ein Unsinn von ihm, mir in dieser Weise nachzustürmen, eine Unvorsichtigkeit, welche nur durch die ungeheure Erregung, in welcher er sich befand, zwar nicht entschuldigt, aber doch wenigstens erklärt werden kann. Es war klar, daß sein Leben mir gehörte; ich wollte es nicht haben. Ich hatte ihn schon um den Gebrauch der rechten Hand gebracht, er sollte die linke behalten; darum entschloß ich mich für einen Hieb auf den Kopf. Das Messer hoch zum Stoße erhoben, kam er heran; in dem Augenblicke, an welchem seine Klinge nach mir fuhr, sprang ich zur Seite und schwang den schnell umgekehrten Stutzen; sein Stoß ging in die Luft; mein Kolbenhieb aber warf ihn nieder, und zwar in der Weise, daß er liegen blieb.
Seine Leute, welche das sahen, schrieen in allen Tonarten und Tonlagen auf, denn sie nahmen an, daß ich den Häuptling nur niedergeschlagen hätte, um ihm dann das Leben zu nehmen. Diejenigen von ihnen, welche nach ihren Gewehren gelaufen waren, kehrten schon zurück.
Andere, welche weiter sahen, rannten nach den Pferden. Unseres Bleibens war also nicht länger. Wir eilten der Schlucht zu und liefen, als wir in derselben angekommen waren, weiter, um die Pferde zu erreichen. Der Knabe war natürlich schneller als ich und mir voran. Als ich dreihundert von den fünfhundert Schritten zurückgelegt hatte, verschwand er schon hinter der Schluchtkrümmung, um gleich darauf wieder zu erscheinen, auf seinem Pferde sitzend und das meinige am Zügel führend. Er sprengte mir entgegen und hielt; ich schwang mich auf, eben als die ersten mit Gewehren bewaffneten Yumas erschienen. Sie schossen, in der Eile aber fehl. Wir rissen unsere Pferde herum und jagten fort, in die Schlucht hinein, den Weg zurück, den wir am Vormittage gekommen waren.
Читать дальше