Man denke nicht, daß ich mir damit zuviel zutraute. Das Schwierigste war meine Befreiung. Gelang diese, so rechnete ich auf den Beistand der Mimbrenjoindianer, mit denen ich ja an der großen Lebenseiche zusammentreffen wollte.
Die Roten schlachteten ein Rind, ein Schwein und mehrere Schafe, deren Fleisch gebraten wurde. Sie verzehrten große Quantitäten desselben, und ließen auch ihre Gefangenen nicht Hunger leiden. Ich bekam soviel, daß ich es nicht aufessen konnte, wobei man mir abermals die Hände freigab, um sie dann augenblicklich wieder zu fesseln. Wenn man das beim Essen immer so machte, so konnte das ein Mittel zu meiner Befreiung werden, wenn sich nichts anderes und leichteres fand. Denn es war schwer und außerordentlich lebensgefährlich, auf diese Weise loszukommen. Ich mußte vor aller Augen, wenn meine Hände frei waren, die Riemen von den Füßen lösen. Wenn das nicht außerordentlich schnell geschehen konnte, so fand man Zeit, es zu verhindern, und dann stand es fest, daß man mir die Hände nicht wieder freigeben werde. Und selbst wenn es gelang, somußte meine Flucht angesichts sämtlicher Roten vor sich gehen, und ich hatte dann sicher soviele von ihnen hinter mir her, daß sie mich wieder fassen mußten. Ja, wenn meine Glieder sich in normalem Zustande befunden hätten! Aber die sehr fest angelegten Riemen hinderten den Blutumlauf; infolgedessen wurden die Hände und Füße taub; sie ver- verloren das Gefühl, und es war vorauszusehen, daß besonders die letzteren mir nur mit großer Unsicherheit gehorchen würden. Mit den Händen konnte ich mir eher helfen; ich brauchte sie nur, wenn sie mir nach dem Essen wieder gebunden wurden, so zu halten, daß man die Riemen nicht so übermäßig fest zusammenbrachte. Das that ich denn auch jetzt; es gelang mir;, ich konnte die Handgelenke bewegen, doch noch lange nicht so, daß es mir möglich gewesen wäre, die Fesseln abzustreifen; ja, es war sogar unmöglich, sie mit Verletzung der Haut und des Handfleisches herunterzuwürgen. Ich befand mich eben in einer ganz unbehilflichen und ziemlich aussichtslosen Lage, doch fiel es mir nicht ein, die Hoffnung aufzugeben, denn ich wußte, daß ich einstweilen geschont werden sollte, und mir also eine Frist blieb, während welcher sich wohl ein Weg zur Rettung öffnen konnte.
Es wurde Abend; ein Abendessen gab es nicht, weil jedermann vom Nachmittage her noch satt war. Man legte sich zeitig zur Ruhe, und meine Wächter trafen dabei die Vorsichtsmaßregel, mich in eine Decke einzuwickeln und mit Riemen zu umbinden, so daß ich wie ein Säugling im Bündel bewegungslos im Grase liegen mußte. In diesem Zustande war ich des Gebrauches selbst des kleinsten Gliedes beraubt, schlief aber doch so gut, wie es unter solchen Umständen möglich war.
Ich hätte wohl bis zum Morgen fest geschlafen, wenn ich nicht durch eine eigenartige Berührung aufgeweckt worden wäre. Ich wurde nämlich an den Haaren gezerrt, und schlug infolgedessen die Augen auf. Ringsum herrschte nächtlicher Dämmerschein, während es unter dem Baume, wo ich lag, finster war. Trotz dieser Dunkelheit sah ich einen meiner Wächter vor mir sitzen, zu meinen Füßen, nicht ganz zwei Ellen von denselben entfernt; die andern lagen rund um mich her und schliefen, während er wachte. Er rauchte eine Cigarre, jedenfalls von dem Vorrate, den man in der Hazienda erbeutet und dann verteilt hatte.
Wer hatte mich berührt? Ein Yuma sicherlich nicht, denn aus welchem Grunde hätte einer der Wächter mich in dieser Weise aus dem Schlafe wecken sollen? Und hätte es einer gethan, so hätte er nun gesprochen, mir gesagt, was er wolle; es blieb aber still. Ich dachte sogleich an meinen kleinen Mimbrenjo, hütete mich, einen Laut von mir zu geben, und hob und senkte den Kopf aber einige Male, um zu zeigen, daß ich aufgewacht sei. Derjenige, welcher es war, mußte hinter mir, so daß ich ihn nicht sehen konnte, im Grase liegen, und dieses war, wie ich bemerken muß, über einen Fuß hoch; einem schlanken Knaben, wie der Mimbrenjo war, bot es also wohl hinreichend Schutz, so daß er bei der hier herrschenden Dunkelheit selbst von dem so nahesitzenden Wächter nicht bemerkt werden konnte. Dennoch war es eine staunenswerte Kühnheit, sich durch die um mich herliegenden Schläfer bis an meinen Kopf zu wagen.
Als ich die erwähnten Bewegungen gemacht hatte, hörte ich hinter mir ein leises, reibendes Geräusch, wie wenn jemand sich mit äußerster Vorsicht kriechend im Grase fortbewegt; er schob sich weiter zu mir heran, bis sein Kopf neben dem meinigen lag, hielt mir den Mund an das Ohr und hauchte:
»Ich bin es, der Mimbrenjo. Welchen Befehl hat Old Shatterhand für mich?«
Er war es also wirklich! Ein anderer an meiner Stelle hätte in diesem Augenblick wohl alles andere eher empfunden als das, was ich fühlte, nämlich innige Freude darüber, daß der kleine Kerl außer großem Mute auch den Scharfsinn und denjenigen Grad von Schlauheit besaß, welcher ihm notwendig war, wenn er später ein berühmter Krieger werden wollte. Er wünschte, sich einen Namen zu erwerben; er hatte geglaubt, daß sein Wunsch bei mir eher in Erfüllung gehen werde, als sonst anderswo; nun, wenn er die dazu erforderlichen Eigenschaften in dieser Weise und in diesem Grade bewährte, so konnte seine Erwartung sehr bald in Erfüllung gehen.
Ehe ich ihm antwortete, lauschte ich einige Augenblicke, ob seine letzte Bewegung vielleicht dem Wächter aufgefallen sei oder einen der Schläfer aufgeweckt habe; es war nicht der Fall, und so wendete ich ihm mein Gesicht zu und flüsterte im leisesten Tone:
»Hast du die Pferde?«
»Ja,« antwortete er ebenso leise. »Und alle meine Sachen?« »Alle.«
»Wo?«
»Seitwärts der Hazienda, am Felsen festgebunden, wo es keine Spuren giebt.« »Das ist klug. Wie bist du hierher gekommen?«
»Ich sah, daß Old Shatterhand gefangen wurde, weil er mich retten wollte. Ich vermutete, daß man nach mir suchen und dabei die Pferde finden würde. Ich wollte die Feinde von ihnen ablenken und eilte darum allein fort, aus dem Thale hinauf und über die Ebene, bis ich Felsen fand, wo die Yuma meine Fährte verlieren würden. Mein Stamm kennt die Schnelligkeit meiner Füße; kein Yuma hat mich ereilen können; sie waren soweit hinter mir, daß ich sie nicht sah, und sie haben mich also auch nicht sehen können. Als meine Spuren nicht mehr zu bemerken waren, lief ich in einem Bogen, um ihnen auszuweichen, wieder nach dem Thale zurück, wo ich mich auf die Lauer legte. Ich sah sie unverrichteter Sache wiederkommen und beobachtete sie weiter. Als sie aufbrachen, nahm ich die Pferde und ritt hinter ihnen her, um Old Shatterhand zu befreien. Ich werde dafür gern mein Leben geben, weil er meinetwegen ergriffen worden ist.«
»Du wagst viel, doch sehe ich, daß du vorsichtig und klug genug bist, es auszuführen. Ich denke, daß ich mit deiner Hilfe bald frei sein werde.«
»Bald? Warum nicht gleich? Ich habe mein und auch dein Messer mit und werde dich losschneiden.«
»Das wirst du nicht, denn die Folge würde sein, daß auch du in die Gefangenschaft gerietest. Du mußt aber frei bleiben.«
»Old Shatterhand mag bedenken, daß alle schlafen und nur dieser eine wacht! Er ist blind; er sieht mich nicht.«
»Und du magst bedenken, was geschehen muß, ehe ich von der Erde aufzustehen vermag. Vom Fortspringen will ich gar nicht reden. Du mußt die Riemen zerschneiden, welche für die Nacht um meinen Körper gebunden sind; das währt, weil wir sehr langsam und vorsichtig verfahren müssen, wohl eine Stunde. Dann muß ich mich aus der Decke rollen, was nur in der Hälfte dieser Zeit geschehen kann, und wenn das gelungen ist, so sind noch immer die Fesseln von meinen Händen und Füßen zu entfernen.«
»Das geht dann schnell. In zwei Stunden sind wir fertig.«
»Wir würden fertig sein; aber mein junger Bruder mag meine Wächter zählen. Es sind ihrer fünf; sie werden also abwechseln, einander ablösen. Jeder wird, ehe er mich von dem vorigen übernimmt, mich unter- untersuchen, um sich zu überzeugen, daß ich noch fest gebunden bin. Man traut mir nicht. Du siehst also ein, daß ich in dieser Nacht unmöglich fortkann.«
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