»Wir kommen wegen der schönen weißen Squaw, die ich mit dir in San Francisco besucht habe.« »Ah, von Martha, Ihrer Schwester?«
»Leider ja!« antwortete Vogel. »Es ist nichts Erfreuliches, was wir Ihnen von ihr erzählen können. Ich war jetzt vier Monate drüben.«
»Eine kurze Zeit!«
»Ja, aber für mich lang genug, Diese Monate sind mir zu Jahren geworden, denn sie haben mir nichts als
die bitterste Täuschung gebracht. Mein Schwager ist bankerott.«
»Ah! Meine Ahnung! Wie steht es mit Potter, dem Compagnon?« »Der ist natürlich auch bankerott.«
»Das glaube ich nicht. Er hat Ihren Schwager ausgesogen und wird eine sehr erkleckliche Summe in Sicherheit gebracht haben. Ist der Bankerott etwa als ein betrügerischer anzusehen?«
»Nein. Es verliert kein Mensch einen Pfennig.«
»Niemand hat einen Pfennig verloren und doch ist das Fallissement erklärt worden? Also wurde das große Vermögen in dieser kurzen Zeit vollständig aufgewirtschaftet? Wie war das möglich?«
»Durch falsche Spekulationen, welche Potter gemacht hat. Mein Schwager hatte ihm alle geschäftlichen Bestimmungen allein überlassen.«
»Das war vorauszusehen. Potter schloß sich gleich von vornherein Ihrem Schwager in der Absicht an, ihn geschäftlich zu ruinieren. Wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte das große Vermögen nicht in so sehr kurzer Zeit alle werden können. Er wird scheinbar alles verspekuliert, in Wirklichkeit sich aber einen vollen Beutel erwirtschaftet haben. Ich hoffe, daß der Mann aber noch zu packen sein wird.«
»Das glaube ich nicht, denn wäre dies der Fall, so hielt er sich nicht noch in San Francisco auf, sondern wäre verschwunden. Mein Schwager ist natürlich an den Bettelstab gebracht. Das Wenige, was ihm geblieben ist, hat er der Familie entzogen und in die eigene Tasche gesteckt. Damit geht er nun von Spelunke zu Spelunke und trinkt, bis er mit dem letzten Heller auch noch den Verstand vertrunken haben wird.«
»Und was thut die Familie nun?«
»Das ist eine schlimme Sache. Als ich hinüber kam, ahnte noch niemand etwas. Ich hatte mich auf Werner verlassen. Durch seine pekuniäre Unterstützung dachte ich, schnell vorwärts zu kommen. Da aber brach schon nach drei Wochen der Krach herein. Ich war nur gekommen, um ein Esser zu viel zu sein. Die Eltern und Geschwister wollten verzweifeln. Martha allein behielt die Besinnung und dachte über Mittel nach, sich zu retten. Ich half ihr. Wir kamen auf die Idee, Konzerte zu geben. Zunächst reichte das Geld, welches sie für ihre wenigen überflüssigen Sachen löste, für das Notwendigste aus. Wir dachten auch an Sie. Wir hatten Ihnen schon soviel zu verdanken. Wären Sie drüben gewesen, so hätten Sie sich unser gewiß mit Rat und That angenommen; aber Sie waren eben nicht da. Da führte uns Gott Winnetou in das Haus.«
»Wie? Er kam zu ihnen ins Haus?«
»Ja.«
»Das ist ein Wunder. Nach dem, was wir darin erlebt haben, stand nicht zu erwarten, daß er es jemals wieder betreten werde.«
»Es war nicht dasselbe Haus. Wir waren aus dem Palaste förmlich geworfen worden; wir hatten ein ganz kleines Logis bezogen. Glücklicherweise war der Apatsche nach San Francisco gekommen, hatte an uns gedacht, sich nach uns erkundigt, unsere neue Wohnung erfahren und kam nun, uns zu trösten. Fast schäme ich mich, es zu sagen: Er gab uns Geld. Wir zögerten, es zu nehmen; er aber versicherte uns, wir würden bald in die Lage kommen, es ihm wiederzugeben. Er sprach davon, daß er ein ernstes Wort mit Potter sprechen wolle, und ließ ihn von da an nicht aus den Augen. Da kam ein amtliches Schreiben aus New Orleans, daß unser Oheim dort gestorben sei; der Bruder meiner Mutter.« »Ah, ich besinne mich. Ihre Großmutter hat mir erzählt, daß sie einen Sohn gehabt habe, der nach Amerika gegangen sei, ohne jemals wieder etwas von sich hören zu lassen. Sie war überzeugt, daß er unterwegs verunglückt und gestorben sei.«
»So ist es. Er war aber nicht tot, sondern nur undankbar. Er ist erst vor kurzem als ein Millionär gestorben. Wenigstens hat die Behörde mir das mitgeteilt.«
»Ich gebe nicht viel auf solche Reichtümer. Sie haben ja erfahren, welchen Wert sie besitzen, wenn sie in unrechte Hände kommen. Wie aber hat die Behörde in New Orleans Ihre Adresse in San Francisco wissen können?«
»Sie hat aus alten Schreibereien und Aufzeichnungen des Verstorbenen ersehen, woher er stammt, und infolgedessen in unsere Heimat geschrieben. Von dort her ist unsere Adresse mitgeteilt worden.«
»Nun, so ist Ihnen ja geholfen. Wenn die Beweise vorliegen, daß Sie die einzigen Erben sind und die Hinterlassenschaft Ihnen also nicht streitig gemacht werden kann, wird sie Ihnen sehr bald ausgefolgt werden.«
»Das wäre allerdings sehr gut; aber die Sache hat doch einen Haken. Wir sind nämlich die einzigen Verwandten und doch vielleicht auch nicht die einzigen. Der Verstorbene hat einen Sohn gehabt, welcher verschollen ist.«
»Das ist allerdings ein schlimmer Haken. Die Angelegenheit kann sich da gewaltig in die Länge ziehen.« »Das ist's ja eben!«
»Der Sohn muß in den Zeitungen aufgerufen werden, und erst wenn er sich nach einer gewissen Anzahl von Jahren nicht meldet, wird er als verstorben betrachtet. Da werden Sie leider warten müssen.«
»Ja, wir müssen warten. Wenn man uns nur wenigstens einen Teil auszahlen wollte!«
»Das geht nicht. Entweder alles oder nichts.«
»Und dazu kommt, daß in New Orleans sich ein Advokat des Verschollenen annimmt. Er ist ein Freund von ihm und behauptet, daß er jedenfalls noch lebe. Der Sohn des Verstorbenen hat einen sehr erfahrenen und zuverlässigen Reisebegleiter bei sich gehabt, und dieser, so behauptet der Advokat, würde es jedenfalls gemeldet haben, wenn der Verschollene nicht nur verschollen, sondern gestorben wäre. Der Rechtsanwalt nimmt nun umfangreiche Nachforschungen vor, zu denen er die Frist bekommen hat.«
»Das zieht die Sache noch weiter in die Länge. Was ist denn Ihre Mutter für eine Geborene?«
»Jäger war ihr Mädchenname.«
»Also hieß auch der alte Millionär Jäger. Was war er denn?«
»Ursprünglich Schuhmacher. Als Gesell ist er ausgewandert, hat dann in New York es zu einem Laden gebracht, wohl jedenfalls durch eine gute Heirat, und ist dann immer weiter vorwärts gekommen.«
»Schuhmachergesell? New York? Laden? Reiche Heirat? Ah, da kommt mir ein Gedanke, da fällt mir etwas ein!«
»Was? Was?« »Warten Sie nur, warten Sie! Ich muß mich besinnen.«
Ich stand vom Sofa auf und ging eine Weile im Zimmer auf und ab. Ich dachte an den Brief, den ich unter Meltons Effekten gefunden hatte. Sein Neffe hatte ihn geschrieben. Ich ging nach meiner Bibliothek und nahm den Brief, den ich mir aufgehoben hatte, aus dem betreffenden Fache, um ihn zu lesen.
Ja, da stand es deutlich geschrieben. Sollte der Brief sich auf den Fall beziehen, den wir jetzt besprachen? Ich mußte Gewißheit haben und fragte deshalb weiter:
»Jäger brachte es also zu einem Schuhwarenladen in New York. Ist er denn nicht Armeelieferant geworden?«
»Ja.«
»Und hat da nicht nur Fußbekleidungen, sondern auch andere Bedarfsartikel in Auftrag bekommen?«
»Ja, ja. Dadurch hat er sich die Millionen verdient. Aber woher wissen Sie das? Was für ein Schreiben haben Sie da in der Hand?«
»Nachher! Sagen Sie mir noch, ob er stets nur seinen deutschen Namen Jäger geführt hat!« »Nein, er hat ihn in das englische "Hunter" amerikanisiert.«
»Warum sagten Sie das nicht gleich! Warum nannten Sie nur den deutschen Namen!« »Ich dachte, es käme nichts darauf an.«
»Es kommt sogar viel, sehr viel, womöglich alles darauf an! Wissen Sie, wie der verschollene Sohn geheißen hat?«
»Ja, Small. Ein sonderbarer Name! Nicht wahr?«
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