Dann wurde Konfekt, Korinthenkuchen und vorzüglicher Thee herumgereicht. Und als der Abend zu Ende ging, visierte der Gorodintschy ohne Zögern die Papiere, welche Herr Cascabel ihm unterbreitete. Damit war die Belle-Roulotte den moskowitischen Behörden gegenüber legitimiert.
Es ist auch zu erwähnen, daß der Bürgermeister, der sich einer gewissen Wohlhabenheit erfreute, Herrn Cascabel zwanzig Rubel als Honorar für seine Vorstellung anbieten zu sollen glaubte.
Herr Cascabel war anfangs geneigt, diese Belohnung zurückzuweisen; aber das würde seitens des Direktors einer Wandertruppe vielleicht Aufsehen gemacht haben.
»Zwanzig Rubel sind schließlich immerhin zwanzig Rubel!« sagte er sich.
Und so steckte er unter vielen Danksagungen seine Einnahme ein.
Der folgende Tag wurde der Ruhe gewidmet. Man hatte einige Einkäufe an Mehl, Reis, Butter und verschiedenen Getränken zu besorgen, welche Cornelia sich zu mäßigen Preisen verschaffen konnte. Was den Konservenvorrat betrifft, so durfte man nicht daran denken, ihn in diesem Dorfe zu erneuern; aber zwischen dem Ob und der europäischen Grenze würde kein Mangel an Wild sein.
Vor dem Mittag waren die Einkäufe beendet. Man speiste recht fröhlich, obgleich es Jean und Kayetten schwer ums Herz war. Sahen sie doch die Trennungsstunde herannahen!.
In der That, was würde Herr Sergius thun, wenn er seinen Vater, den Fürsten Narkine, wiedergesehen hatte? Würde er, da er ja nicht in Rußland bleiben konnte, nach Amerika zurückkehren oder sich irgendwo in Europa niederlassen? Begreiflicherweise beschäftigte Herr Cascabel sich viel mit dieser Frage. Er hätte gern gewußt, woran er in dieser Hinsicht sei. Daher fragte er Herrn Sergius an jenem Tage nach dem Essen, ob er keine Lust habe, einen Spaziergang um das Dorf zu machen. Da letzterer sah, daß Herr Cascabel im geheimen mit ihm zu reden wünschte, beeilte er sich, die Einladung anzunehmen.
Auch die beiden Matrosen verabschiedeten sich von der Familie, um, wie sie sagten, den Tag in irgend einer Schenke von Muji zu beschließen.
So verließen denn Herr Sergius und Herr Cascabel die Belle-Roulotte, gingen einige hundert Schritte weit und setzten sich dann außerhalb des Dorfes am Rande eines kleinen Waldes nieder.
»Herr Sergius,« sagte hierauf Herr Cascabel, »wenn ich Sie um Ihre Begleitung bat, so war es, weil ich mit Ihnen allein sein wollte. Ich möchte mit Ihnen über Ihre Lage sprechen.«
»Über meine Lage, mein Freund?«
»Ja, Herr Sergius, oder vielmehr über das, wozu diese Lage Sie nötigen wird, wenn Sie erst in Rußland sind!.«
»In Rußland?«
»Ich täusche mich nicht, nicht wahr, wenn ich sage, daß wir den Ural binnen zehn Tagen überschritten haben und acht Tage später in Perm eintreffen werden?«
»Ich halte das für wahrscheinlich, falls uns kein Hindernis aufhält,« antwortete Herr Sergius.
»Hindernis!. Wir werden auf keine Hindernisse stoßen!.« entgegnete Herr Cascabel. »Sie werden die Grenze ohne einen Schatten von Schwierigkeiten passieren. Unsere Papiere sind in Ordnung; Sie gehören zu meiner Truppe und kein Mensch wird auf den Gedanken kommen, daß einer meiner Künstler Graf Narkine sei!.«
»Gewiß nicht, mein Freund, da niemand außer Ihnen und Frau Cascabel das Geheimnis kennt, und da es bewahrt worden ist.«
»So getreulich, als ob meine Frau und ich es mit uns ins Grab genommen hätten!« antwortete Herr Cascabel würdevoll. »Und würde es jetzt indiskret sein, Herr Sergius, zu fragen, was Sie nach der Ankunft der Belle-Roulotte in Perm zu thun gedenken?.«
»Ich werde mich schleunigst nach Schloß Walska begeben, um meinen Vater wiederzusehen!« antwortete Herr Sergius.»Das wird ihm eine große Freude sein, eine ganz unverhoffte Freude; es sind jetzt dreizehn Monate her, daß ich weder von ihm gehört, noch auch ihm zu schreiben vermocht habe; was muß er sich denken!.«
»Beabsichtigen Sie,« fragte Cascabel, »sich längere Zeit im Schlosse des Fürsten Narkine aufzuhalten?«
»Das wird von Umständen abhängen, die ich unmöglich voraussehen kann. Wenn meine Anwesenheit ruchbar wird, so werde ich vielleicht gezwungen sein, meinen Vater zu verlassen!. Und doch. in seinem Alter.«
»Herr Sergius,« antwortete Herr Cascabel, »ich habe Ihnen keinen Rat zu erteilen. Sie wissen besser als irgend jemand, was Sie thun müssen. Aber ich möchte Ihnen zu bedenken geben, daß Sie sich sehr ernsten Gefahren aussetzen, wenn sie in Rußland bleiben!. Werden Sie entdeckt, so steht Ihr Leben auf dem Spiele.«
»Ich weiß es, mein Freund; und ich weiß auch, daß Sie und die Ihrigen ebenfalls ernstlich bedroht sein würden, wenn die Polizei erführe, daß Sie meinen Übertritt auf moskowitisches Gebiet begünstigt haben!«
»O!. wir!. Das zählt nicht!.«
»Doch, mein lieber Cascabel; und ich werde auch niemals vergessen, was Ihre Familie für mich gethan hat.«
»Nun. nun. Herr Sergius!. Wir sind nicht hierher gekommen, um schöne Reden zu tauschen!. Sehen Sie, wir müssen uns über den Entschluß verständigen, welchen Sie in Perm zu fassen gedenken.«
»Nichts einfacher als das,« antwortete Herr Sergius. »Da ich zu Ihrer Truppe gehöre, so werde ich bei Ihnen bleiben, um keinen Verdacht zu erregen.«
»Aber Fürst Narkine?.«
»Schloß Walska liegt bloß sechs Werft von der Stadt entfernt und so wird es mir ein leichtes sein, mich allabendlich nach der Vorstellung unbemerkt dahin zu begeben. Unsere Diener würden sich eher umbringen lassen, als daß sie ihren Herrn verrieten oder kompromittierten. So werde ich also einige Stunden bei meinem Vater verbringen und vor Tagesanbruch wieder nach Perm zurückkehren können.«
»Vortrefflich, Herr Sergius; und solange wir in Perm bleiben, wird die Sache hoffentlich ganz von selber gehen! Aber wenn nun der Jahrmarkt zu Ende ist, wenn die Belle-Roulotte nach Nischni und später nach Frankreich aufbricht.«
Das war offenbar der heikle Punkt. Wozu würde Graf Narkine sich entschließen, wenn die Familie Cascabel Perm verlassen hatte?. Würde er sich auf Schloß Walska verbergen?. Würde er, auf die Gefahr hin, entdeckt zu werden, in Rußland bleiben?. Herrn Cascabels Frage traf den Nagel auf den Kopf.
»Mein Freund,« antwortete ihm Herr Sergius »ich habe mich öfter gefragt, was ich thun werde. Ich kann Ihnen nichts anderes sagen, als daß ich es selber nicht weiß! Mein Thun wird sich nach den Umständen richten.«
»Wohl,« erwiderte Herr Cascabel. »Wenn Sie sich aber gezwungen sehen sollten, Schloß Walska zu verlassen; wenn Sie nicht in Rußland bleiben könnten, wo Ihre Freiheit, ja sogar Ihr Leben bedroht wäre. gestatten Sie mir die Frage, Herr Sergius. würden Sie dann daran denken, nach Amerika zurückzukehren?.«
»Ich habe in dieser Hinsicht noch keinen Plan gefaßt,« antwortete Graf Narkine.
»Nun denn, Herr Sergius - verzeihen Sie meine Beharrlichkeit - warum sollten Sie dann nicht mit uns nach Frankreich ziehen?. Indem Sie auch weiterhin in meiner Truppe figurierten, könnten Sie die westliche Grenze Rußlands ohne Gefahr erreichen!. Wäre das nicht der sicherste Ausweg?. Und so würden wir Sie noch einige Zeit bei uns haben. und mit Ihnen unsere teure kleine Kayette. O! nicht um sie Ihnen zu rauben!. Sie ist. sie bleibt Ihre Adoptivtochter, und das ist etwas mehr wert, als wenn sie die Schwester Jeans, Xanders und Napoleonens, der Kinder eines Gauklers, wäre!«
»Mein Freund,« antwortete Herr Sergius, »reden wir nicht von dem, was die Zukunft für uns birgt Wer weiß, ob sie uns nicht alle zufrieden stellen wird?. Befassen wir uns mit der Gegenwart; das ist die Hauptsache. Ich kann Ihnen nur so viel sagen - aber sprechen Sie noch mit niemand davon -, daß ich, wenn ich Rußland verlassen müßte, mich sehr gern nach Frankreich zurückziehen würde, bis irgend ein politisches Ereignis meine Lage günstiger gestaltete. Und da Sie in Ihre Heimat zurückkehren.«
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