»Gleich!« antwortete Herr Cascabel. »Bitte deine Mutter zu warten, bis ich mit diesem Gentleman abgerechnet habe, Napoleone.«
Bei diesem Namen brach der Baronet in ein verächtliches Gelächter aus.
»Napoleone!« wiederholte er, »Napoleone, diese Kleine!. Der Name jenes Ungeheuers, welches.«
Das war mehr, als Herr Cascabel ertragen konnte. Er trat mit gekreuzten Armen dicht vor den Baronet hin.
»Sie insultieren mich!« sagte er.
»Ich insultiere Sie. Sie?«
»Mich! und Sie insultieren den großen Mann, der Ihre Insel auf einmal in den Mund gesteckt hätte, wenn er dort gelandet wäre!.«
»Wahrhaftig?«
»Der sie wie eine Auster verschluckt haben würde!.«
»Elender Hanswurst!« schrie der Baronet.
Er war ein wenig zurückgewichen und warf sich in Positur, um sich durch Boxen zu verteidigen.
»Jawohl! Sie insultieren mich, mein Herr Baronet, und Sie werden mir dafür Rede stehen!«
»Einem Gaukler Rede stehen!«
»Indem Sie ihn insultierten, haben Sie ihn zu Ihresgleichen gemacht!.
Und wir werden uns auf Degen, Pistolen, Säbel, was Sie wollen, schlagen. sogar mit den Fäusten!«
»Warum nicht mit Blasen,« gab der Baronet zurück, »wie Ihre Hanswürste auf den Brettern?«
»Verteidigen Sie sich.«
»Als ob man sich mit einem Marktschreier schlüge!«
»Doch!« schrie Herr Cascabel außer sich vor Wut, »doch! man schlägt sich. oder läßt sich schlagen.«
Und ohne zu bedenken, daß sein Gegner bei einer jener Boxereien, auf welche die Gentlemen sich trefflich verstehen, sicher im Vorteil sein würde, wollte er sich auf denselben stürzen, als Cornelia persönlich intervenierte.
Im selben Augenblick eilten einige Offiziere vom Regiment des Sir Edward Turner, seine Jagdgefährten, herbei; entschlossen, den Baronet nicht mit »solchem Gesindel« anbinden zu lassen, überschütteten sie die Familie Cascabel mit Schmähungen. Übrigens schienen diese Schmähungen nicht im stande zu sein, die imposante Cornelia aus der Fassung zu bringen. Sie begnügte sich damit, Sir Edward Turner einen Blick zuzuwerfen, welcher dem Beleidiger ihres Mannes nichts Gutes verhieß.
Jean, Clou und Xander waren ebenfalls herbeigekommen und der Streit drohte in Thätlichkeiten auszuarten, als Frau Cascabel rief:
»Komm, Cäsar, und auch ihr, Kinder, kommt!. Gehen wir!.... Alle in die Roulotte, und das augenblicklich!«
Ihr Ton war so gebieterisch, daß keiner dem Befehl zu trotzen wagte.
Aber welch einen Abend Herr Cascabel verbrachte! Sein Zorn legte sich nicht!. Er, in seiner Ehre, in der Person seines Helden angegriffen!. Von einem Englishman insultiert!. Er wollte ihn aufsuchen gehen, sich mit ihm, mit seinen Gefährten, mit sämtlichen Schuften in diesem elenden Dorfe schlagen!. Und seine Kinder begehrten nichts so sehr, als ihn begleiten zu dürfen! Selbst Clou sprach davon, eine englische Nase abzubeißen. wenn es nicht etwa ein englisches Ohr sein sollte!
Cornelia hatte wirklich große Mühe, diese Wütenden zu beruhigen. Im Grunde gestand sie sich, daß das Unrecht gänzlich auf Seite des Sir Edward Turner sei; sie konnte nicht leugnen, daß ihr Mann sowohl als die ganze Familie in einer Weise behandelt worden waren, wie man einander nicht behandelt, nicht einmal unter Marktschreiern der schlimmsten Sorte.
Da die Lage aber ungünstig genug war, so gab sie nicht nach, sondern bot dem Unwetter die Stirne und entgegnete auf die schließlich von ihrem Manne ausgesprochene Absicht, dem Baronet etwas an den Kopf werfen zu gehen:
»Ich verbiete Dir's, Cäsar!«
Und obgleich Herr Cascabel vor Wut schäumte, mußte er sich den Befehlen seiner Gattin fügen.
Welche Eile Cornelia hatte, dies verwünschte Dorf am folgenden Morgen zu verlassen! Sie würde erst ruhig sein, wenn sie die ganze Familie ein paar Meilen weiter nordwärts sähe! Und um ganz sicher zu sein, daß niemand sich im Laufe der Nacht entferne, verschloß sie nicht nur sorgfältig die Thür der Belle-Roulotte, sondern blieb auch selber draußen, um Wacht zu halten.
Am nächsten Tage, dem siebenundzwanzigsten Mai, weckte Cornelia die Ihrigen schon um drei Uhr morgens. Größerer Sicherheit halber wollte sie vor Sonnenaufgang abfahren, während die Dorfbewohner, Indianer wie Engländer noch im Schlafe lagen. Es war dies das beste Mittel, um einen neuen Ausbruch der Feindseligkeiten zu verhüten. Und selbst zu dieser frühen Stunde - ein bemerkenswerter Umstand - schien die würdige Frau große Eile zu haben. Sehr erregt, mit unstetem Blicke und flammenden Augen, nach allen Seiten spähend, drängte, schalt und hetzte sie ihren Mann, ihre Söhne und Clou, die ihr viel zu langsam waren.
»Binnen wieviel Tagen werden wir die Grenze überschritten haben?« fragte sie den Führer.
»Binnen drei Tagen,« antwortete Ro-No, »wenn wir unterwegs nicht aufgehalten werden.«
»Vorwärts!.« erwiderte Cornelia. »Und daß man unseren Aufbruch nur nicht bemerke.«
Man sollte sich aber denn doch nicht einbilden, daß Herr Cascabel die gestrigen Beleidigungen bereits verdaut habe! Das Dorf verlassen, ohne dem Baronet seine Schuld heimgezahlt zu haben, das war hart für einen ebenso heißblütigen als patriotischen Normannen!
»Das kommt davon,« sagte er wiederholt »wenn man den Fuß in ein John Bull gehöriges Land setzt!«
Aber wenn er auch die größte Luft empfand, in der Hoffnung auf eine Begegnung mit Sir Edward Turner durch das Dorf zu schlendern, wenn er auch mehr als einen Blick auf die verschlossenen Fensterläden des von diesem Gentleman bewohnten Hauses warf, so gelang es ihm doch nicht, sich von der schrecklichen Cornelia loszumachen. Sie ließ ihn keinen Augenblick aus den Augen.
»Wohin gehst du, Cäsar?. Bleib hier, Cäsar!. Ich verbiete dir, dich zu rühren, Cäsar!«.
Herr Cascabel hörte nichts anderes. Niemals hatte er sich in so hohem Grade unter dem Pantoffel seiner vortrefflichen und gebieterischen Lebensgefährtin befunden.
Dank den wiederholten Aufforderungen, wurden die Vorbereitungen schnell beendet und die Pferde eingespannt. Um vier Uhr morgens waren Hunde, Affe und Papagei, Gatte, Söhne und Tochter sämtlich in den Abteilungen der Belle-Roulotte untergebracht, auf deren Kutschersitz Cornelia Platz nahm. Sobald Clou und der Führer sich an die Spitze des Zuges gestellt hatten, wurde das Zeichen zur Abfahrt gegeben.
Eine Viertelstunde später war das Koquinendors hinter dem Walle von grünen Bäumen, welcher es umgab, verschwunden.
Der Tag brach eben an. Alles war still. Kein lebendes Wesen zeigte sich auf der langen Ebene, die sich gen Norden hinzog.
Und als es endlich gewiß war, daß der Aufbruch bewerkstelligt worden, ohne die Aufmerksamkeit irgend eines Dorfbewohners zu erregen, als Cornelia die volle Überzeugung erlangt hatte, daß weder Indianer, noch Engländer daran dachten, ihr den Weg zu vertreten, da stieß sie einen langen Seufzer der Erleichterung aus, durch den ihr Mann sich ein wenig verletzt fühlte.
»Du hattest also große Angst vor jenen Leuten, Cornelia?« fragte er sie.
»Sehr große Angst,« begnügte sie sich zu erwidern.
Die drei folgenden Tage vergingen ohne Zwischenfall und wie der Führer vorausgesagt hatte, langte man endlich bei der äußersten Grenze von Kolumbia an.
Als die Belle-Roulotte die alaskische Grenze glücklich überschritten hatte, konnte sie Halt machen.
Einmal dort, erübrigte es nur mehr, die Forderung des Indianers, der sich ebenso eifrig, als treu gezeigt hatte, zu begleichen und ihm für seine Dienste zu danken. Dann nahm Ro-No, nachdem er noch die Richtung bezeichnet hatte, die man einhalten müsse, um in kürzester Frist nach Sitka, der Hauptstadt der russischen Besitzungen, zu gelangen, von der Familie Abschied.
Nun er sich nicht mehr auf englischem Gebiete befand, hätte Herr Cascabel doch gewiß freier atmen müssen. Aber nein! Trotz der darüber hingegangenen drei Tage hatte er sich noch immer nicht von jenem Auftritt im Koquinendorse erholt. Die Sache lag ihm noch immer schwer auf dem Herzen. Er konnte sich denn auch nicht enthalten, Cornelia zu sagen:
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