– Ist denn das möglich, fragte Jack, daß solche kleine Thiere so große ernähren können?
– Ei, mein Söhnchen, antwortete Kapitän Hull, geben denn die Grieskörnchen, das Mehl, die Stärkekörnchen nicht etwa auch eine gute Suppe? Die Natur hat es eben so gemacht. Schwimmt ein Walfisch inmitten dieser röthlichen Wellen, so ist die Suppe für ihn aufgetragen, er braucht nur seinen ungeheuren Rachen zu öffnen. Myriaden von Crustaceen dringen sofort hinein; die zahllosen Barten des Fischbeins in der Rachenhöhle dieses Thieres spannen sich dann auf wie Fischernetze, so daß nichts mehr den Rückweg findet, und bald verschwindet die ganze Menge der Eindringlinge in dem weiten Magen des Walfisches, ganz ebenso wie die Suppe in dem deinigen.
– Du mußt nämlich bedenken, lieber Jack, setzte Dick Sand hinzu, daß Madame Walfisch die Zeit nicht damit verschwendet, die Schalen jener Krustenthiere zu entfernen, wie Du, wenn Du z.B. Krabben ißt!
– Dazu kommt für uns, fuhr Kapitän Hull fort, daß man sich dem gewaltigen Gourmand, gerade wenn er in dieser Weise beschäftigt ist, weit mehr nähern kann, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen. Das ist also der günstigste Augenblick, ihn mit Erfolg zu harpuniren.«
In demselben Augenblicke erscholl, wie um des Kapitäns Worte zu bekräftigen, die Stimme eines Matrosen.
»Ein Walfisch vor Backbord!« rief jener.
Kapitän Hull hatte sich umgedreht.
»Ein Walfisch!« wiederholte er und eilte, wie getrieben von seinem Fischerinstincte, nach dem Vordercastell des »Pilgrim«.
Mrs. Weldon, Jack, Dick Sand und selbst der Vetter Benedict folgten ihm sofort nach.
In der That verrieth in der Entfernung von etwa vier Seemeilen das Brodeln des Wassers, daß sich ein solches Seesäugethier in jenen rothen Wellen tummelte. Ein Walfischfänger konnte sich hierin nicht täuschen.
Dennoch war die Entfernung jetzt noch allzu groß, um zu entscheiden, welcher Art von Säugethieren jenes Exemplar angehören möge, und es giebt bekanntlich sehr von einander abweichende Arten derselben.
War dort nun jener eigentliche Walfisch, welchen die Fischer der nördlichen Meere mit Vorliebe suchen? Diese Cetaceen, denen die Rückenflosse fehlt, deren Haut aber eine dicke Specklage überdeckt, können wohl eine Länge von 25 Meter erreichen, obwohl sie im Mittel nur gegen 19 Meter messen; doch auch dann liefert ein solches Ungeheuer leicht bis hundert Tonnen Thran.
Oder hatte man es hier mit einem »Hump-back« zu thun, der zu der Species der Balänopteren gehört – eine Bezeichnung, welche doch gewiß der Aufmerksamkeit des Entomologen werth gewesen wäre? Diese besitzen Rückenflossen von weißer Farbe und halb so lang wie ihr Körper, so daß sie fast Flügeln ähnlich sind – etwa so etwas wie ein fliegender Walfisch.

Er gab Beweise seiner Geschicklichkeit. (S. 61.)
Sollte es vielleicht aber, und das war das Wahrscheinlichste, ein »Schnabelfisch« sein, ein Säugethier, das allgemein unter dem Namen des »Jubart« bekannt ist, und dessen Länge der des eigentlichen Walfisches nicht selten gleichkommt?

Ach, Du möchtest jenen Walfisch haben? (S. 67.)
Diese Fragen vermochten vorläufig weder Kapitän Hull noch seine Leute zu beantworten, doch schauten sie Alle mit weit mehr Begierde als Bewunderung nach dem Thiere.
Wenn es wahr ist, daß ein Uhrmacher sich nicht in einem Zimmer mit einer Uhr befinden kann ohne das unwiderstehliche Verlangen, dieselbe aufzuziehen, wie viel mehr muß einem Walfischfänger in Gegenwart einer Cetacee der gebieterische Wunsch kommen, sich derselben zu bemächtigen! Die Jäger auf Hochwild sollen ja, sagt man, auch leidenschaftlicher sein als die auf niederes Wild. Je größer ein Thier ist, desto mehr scheint es die Lüsternheit zu reizen. Was müssen also die Elefantenjäger und die Walfischfänger empfinden! Hier kam nun noch die Enttäuschung der Schiffsbesatzung des »Pilgrim« hinzu, mit einer unvollständigen Ladung zurückzukehren.
Inzwischen bemühte sich Kapitän Hull, das Thier zu erkennen, welches ihm signalisirt worden war. In dieser Entfernung war es nur wenig sichtbar. Immerhin konnte ja das geübte Auge eines Walfischfängers über gewisse charakteristische Einzelheiten nicht lange im Unklaren bleiben.
Zunächst erregte der Schaum-und Wasserstrahl, den der Walfisch durch die Luftlöcher auswarf, die Aufmerksamkeit des Kapitäns Hull, da dieser ihn am leichtesten darauf hinführen konnte, welcher Art jene Cetaeee angehörte.
»Der eigentliche sogenannte Walfisch ist das nicht, rief er. Sein Wasserstrahl wäre ebensowohl höher, als von schwächerem Umfange. Wenn das Geräusch, welches jener Strahl verursacht, mit dem entfernten Zischen etwa eines Schwärmers verglichen werden kann, so würde ich glauben, daß jener Wal zu der Species der »Hump-backs« gehöre; das ist aber nicht der Fall, denn wenn man genau dorthin horcht, gewinnt man die Ueberzeugung, daß jenes ein Geräusch ganz anderer Art ist. Was ist wohl Deine Meinung, Dick? fragte der Kapitän, indem er sich an den Leichtmatrosen wendete.
– Ich möchte annehmen, Herr Kapitän, antwortete Dick Sand, daß es sich um einen »Jubart« handelt. Betrachten Sie, wie aus seinen Athmungsöffnungen das Wasser des Strahles mit Heftigkeit emporgetrieben wird. Scheint es Ihnen nicht auch so – was meine Ansicht bestärken würde – daß jener Strahl mehr Wasser als Luft enthält? Wenn ich nicht irre, liegt aber hierin eine Eigenthümlichkeit des Schnabelfisches.
– Richtig, Dick, bestätigte Kapitän Hull, es kann kein Zweifel sein; das ist ein Jubart, der dort in dem rothen Wasser schwimmt.
– Ei, das ist hübsch, jubelte der kleine Jack.
– Ja wohl, mein Sohn! Und wenn man noch dazu daran denkt, daß das Thier jetzt im vollen Frühstücken ist und sich nicht versieht, daß Walfischfänger ihn beobachten.
– Ich möchte behaupten, bemerkte Dick Sand, daß jener Schnabelfisch sehr groß ist.
– Gewiß, antwortete Kapitän Hull, der nach und nach warm wurde. Er mißt meiner Schätzung nach mindestens siebenzig Fuß!
– Sehr schön, sagte der Hochbootsmann. Ein halbes Dutzend solcher Kerle würde genügen, ein Schiff, so groß wie das unsere, ganz zu füllen!
– O, gewiß, erwiderte der Kapitän, der auf das Bugspriet stieg, um besser sehen zu können.
– Und wenn wir diesen fangen, setzte der Hochbootsmann hinzu, so würden wir bald die Hälfte der uns fehlenden zweihundert Tonnen Oel haben.
– Ja!… Wahrhaftig… ja, ja… murmelte der Kapitän Hull.
– Das ist wohl wahr, meinte Dick Sand, doch manchmal ist es eine ganz ernsthafte Sache, mit einem Jubart von solcher Größe anzubinden.
– Freilich, eine sehr ernste, erwiderte Kapitän Hull. Die Balänopteren haben ganz ungeheure Schwänze, denen man nicht ohne Vorsicht nahe kommen darf. Auch das beste Boot würde den Schlag eines solchen nicht aushalten. Indessen der Nutzen wiegt hier auch die Mühe auf.
– Bah! rief da einer der Matrosen, ein tüchtiger Jubart ist allemal ein fetter Fang.
– Und ein einträglicher! sagte ein anderer.
– Es wäre wahrlich schade, den da im Vorüberfahren nicht zu begrüßen.«
Offenbar wurden die wackeren Seeleute beim Anblick jenes Walfisches allgemach warm. Dort schwamm ja, ihrer Hand fast erreichbar, eine ganze Ladung Oel. Wenn man sie so sprechen hörte, hätte man glauben können, es handle sich um weiter nichts, als frisch gefüllte Tonnen in den Raum des »Pilgrim« zu verstauen, um dessen Ladung zu vervollständigen.
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