Nach jenem Stücke von Chopin, dem Glanzpunkte des Programms, trat einer der Collegen William I. Hypperbone’s, der, mit dem er in engster Freundschaft verbunden gewesen war, der Clubvorsitzende Georges B. Higginbotham aus dem Kreise der nächsten Umstehenden hervor, nahm neben dem Leichenwagen Platz und entrollte in glänzender Rede ein getreues, lobspendendes Bild vom Lebenslaufe seines Freundes. »Schon mit fünfundzwanzig Jahren im Besitz eines beträchtlichen Vermögens, hatte William I. Hypperbone das immer nutzbringend zu verwenden verstanden. Seine verständigen Ankäufe von Bauland, das jetzt so hoch im Preise steht, daß man es dicht mit Goldstücken bedecken müßte… seine Erhebung in den Rang der Millionäre der Stadt, was so viel heißt, wie in den der großen Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika… der stets gut unterrichtete Actionär der mächtigsten Eisenbahngesellschaften des Bundesstaates… der kluge Speculant, der sich nur in sicheren Gewinn bringende Geschäfte einließ… der freigebige Mann, stets bereit, sich an den Anleihen des Vaterlandes sofort zu betheiligen, wenn dieses einen Bedarf an solchen hätte, was ja freilich nicht eingetreten ist… der hervorragende College, den der Excentric Club an ihm verloren hat, das Mitglied, auf das man zählte, den Verein zu verherrlichen… der Mann, der, wäre es ihm vergönnt gewesen, sein Dasein über die Fünfzig zu verlängern, die Welt gewiß noch erstaunen gemacht hätte…« und in solchen Wendungen bewegte sich die Rede weiter. – »Er gehört übrigens zu der Classe von Genies, fuhr der Lobredner fort, die sich erst offenbaren, wenn sie nicht mehr sind. Ohne weiter sein Begräbniß hervorzuheben, das unter den bekannten Umständen und dem Zulaufe der ganzen Stadtbevölkerung bis hierher vor sich gegangen ist, war zu erwarten, daß der letzte Wille William I. Hypperbone’s seinen Erben ganz besondere Bedingungen auferlegen werde. Ohne Zweifel enthält das Testament auch Klauseln, die die Bewunderung der beiden Amerika – und diese wiegen ja allein die andern vier Erdtheile auf – herausfordern dürften.«

Gleichzeitig flatterten unzählige, mit Bändern geschmückte Vögel auf.(S. 43.)
In dieser Weise sprach Georges B. Higginbotham unter sichtbarer Theilnahme und Erregung der Zuhörer. Es schien, als müßte William I. Hypperbone jeden Augenblick leibhaftig auftauchen, um mit der einen Hand das Testament, das seinen Namen unsterblich machen sollte, zu schwenken und mit der anderen den »Sechsen« die Millionen seines Vermögens an den Kopf zu werfen.
Den Worten des vertrautesten Freundes des Verschiedenen antworteten die nächsten Anwesenden mit einem schmeichelhaft zustimmenden Murmeln, das sich nach und nach bis zu den letzten Reihen innerhalb der Oakswoods weiter verbreitete. Wer die Worte des Redners hatte verstehen können, theilte den davon erhaltenen Eindruck den ferner Stehenden mit, die schon allein nicht am wenigsten ergriffen erschienen…
Jetzt vereinigten sich die Sänger und die Musiker unter weitschallendem Zusammenklang von Stimmen und Instrumenten, das überwältigende Hallelujah aus dem »Messias« von Händel vorzutragen.
Die Feierlichkeit neigte sich ihrem Ende zu, die Programmnummern waren erschöpft und doch schien es, als wartete die Menge noch auf eine außerordentliche, vielleicht gar übernatürliche Ueberraschung. Ja, die Ueberhitzung der Geister hatte einen so hohen Grad erreicht, daß niemand eine plötzliche Veränderung der Naturgesetze, vielleicht die Erscheinung einer allegorischen Gestalt am Himmel, erstaunlich gefunden hätte, eine Erscheinung, wie die des Kreuzes mit den Worten: In hoc signo vinces, die einst Constantin hatte, oder etwa den Stillstand der Sonne, wie zur Zeit Josua’s, um die großartige Kundgebung der Menge noch eine Stunde länger zu beleuchten – kurz, eines jener wunderbaren Dinge, die dann auch die rabiatesten Freigeister nicht hätten ableugnen können…
Für diesmal blieb es freilich bei der Unveränderlichkeit der Naturgesetze, das Weltall wurde durch keine Erscheinungen höherer Ordnung gestört.
Jetzt war die Zeit herangekommen, den Sarg vom Wagen zu heben, ihn ins Innere des Mausoleums zu befördern und im Grabe beizusetzen. Er sollte von acht Dienern des Verstorbenen, die in Galalivrée gegenwärtig waren, getragen werden. Diese traten nun heran, schlugen die Vorhänge zurück, setzten ihn sich auf die Schultern und schritten auf die Pforte des Gitters zu.
Die »Sechs« begleiteten sie in derselben Anordnung und Reihenfolge wie seit dem Aufbruche von dem Prachtgebäude in der La Salle Street. Die zur Rechten hielten mit der linken Hand, die zur Linken mit der rechten die silbernen Handgriffe des Sarges, wie ihnen das von dem Ceremonienmeister gesagt worden war.
Die Mitglieder des Excentric Club, die Civil-und Militärbeamten folgten ihnen nach. Dann schloß sich schon die Gitterthür, und doch konnte der Vorraum, der Saal und der Chorbau kaum die Eingetretenen aufnehmen.
Draußen schlossen sich die übrigen eingeladenen Zugtheilnehmer enger zusammen, die Menge ließ sich an verschiedenen Stellen des Oakswoodssriedhofs nieder und viele Menschen hatten die das Mausoleum umgebenden Bäume erklettert.
In diesem Augenblick schmetterten die Trompeten der Miliz, daß die Lungen der Bläser davon hätten platzen mögen, und man hätte glauben können, ins Thal Josaphat zur Abhaltung des Jüngsten Gerichts versetzt zu sein.
Gleichzeitig flatterten unzählige, mit vielfarbigen Bändern geschmückte Vögel auf, die sich über dem Weiher und unter den Baumkronen tummelten und voller Freude über die wiedergewonnene Freiheit zwitscherten und schrien – das Ganze hatte den Anschein, als schwebe die Seele des Entschlafenen, von ihnen getragen, dem Himmel entgegen.
Sobald die Stufen des Vorbaues erstiegen waren, verschwand der Sarg durch das erste Portal, dann durch das zweite und hielt nun wenige Schritte vor dem offenen Grabe an, in das die Träger ihn niederließen.
Nochmals erklang die Stimme des Pfarrers Bingham in dem Gebete, daß Gott dem entschlafenen William I. Hypperbone die Thore des Himmels gnädig öffnen und ihm die ewige himmlische Seligkeit gewähren möge.
»Ehre dem ehrbaren Hypperbone! rief laut und deutlich die Stimme des Ceremonienmeisters.
– Ehre ihm! Ehre ihm! Ehre ihm!« antworteten dreimal die Umstehenden.
Und nach ihnen schallte draußen das gleiche letzte Lebewohl von Tausenden von Stimmen durch die Luft.
Hierauf schritten die »Sechs« feierlich um die Grabstätte herum, wurden dabei von Georges B. Higginbotham dankend begrüßt und schickten sich dann an, den Saal zu verlassen.
Jetzt war also nur noch die schwere Marmorplatte auf das Grab zu legen, auf die später Namen und Titel des Verstorbenen eingemeißelt werden sollten.
Da trat aber der Notar einige Schritte vor, zog das Schriftstück mit den für die Bestattung getroffenen Bestimmungen aus der Tasche und las daraus die letzten Zeilen folgenden Inhalts vor.
»Es ist mein Wille, daß mein Grab noch zwölf Tage offen stehen bleibe und daß nach dieser Frist, am Morgen des zwölften Tages, die sechs durch das Los bestimmten Personen, die meinem Begräbniß beigewohnt haben, ihre Visitenkarten auf meinen Sarg niederlegen. Dann wird der Deckstein aufgelegt werden und Meister Tornbrock soll am genannten Tage Schlag zwölf Uhr im Saale des Auditoriums erscheinen und mein in seiner Hand befindliches Testament öffentlich bekannt geben.
William I. Hypperbone.«
Er war entschieden ein Original, der Verstorbene, und wer konnte wissen, ob diese Schrulle von ihm die letzte sein werde.
Die Leidtragenden zogen sich nun zurück; der Friedhofswärter verschloß die Thüren des Mausoleums und dann die des Gitters.
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