»Der Fall wird nicht viel zu bedeuten haben, wenn keine ernsten Complicationen hinzutreten.
– Sind solche Complicationen zu fürchten? fragte Jovita Foley, die jene Erklärung wenig befriedigte.
– Ja und nein, antwortete Dr. M. P. Pughe. Nein, wenn die Krankheit sich schnell bekämpfen läßt… ja, wenn das nicht gelingt und sie eine Entwickelung gewinnt, wogegen alle Arzneimittel ohnmächtig bleiben…
– Sie können aber doch sagen. fuhr Jovita, von dieser ausweichenden Antwort noch mehr beunruhigt, fort, welche Krankheit hier vorliegt?
– Gewiß, und mit voller Sicherheit.
– Dann bitte ich darum, Herr Doctor!
– Nun, meine Diagnose lautet: einfache Bronchitis. Der untere Theil der Lungen ist auch leicht erkrankt… es ist etwas Rasseln vorhanden… das Brustfell ist aber nicht mit ergriffen. Vorläufig ist also keine Pleuresie zu fürchten Freilich kann…
– Kann was?…
– Freilich kann die Bronchitis zur Pulmonie, zur Lungenentzündung, ausarten und diese zu einer Lungencongestion. Das ist es, was ich die ernsten Complicationen nenne!«
Der Arzt verschrieb nun die gebräuchlichen Medicamente, Aconittinctur, beruhigenden Syrup, warme Aufgüsse und empfahl vor allem strengste Ruhe Mit dem Versprechen, gegen Abend wiederzukommen, ging er eiligen Schrittes fort, überzeugt, daß sein Empfangszimmer von Reportern schon belagert wäre.
Ob die möglichen Complicationen nun einträten oder nicht… wer konnte das wissen?
Dieser unbestimmten Aussicht gegenüber war Jovita Foley nahe daran, den Kopf zu verlieren. In den nächsten zwei Stunden schien ihr Lissy Wag zwar schwer leidend, aber doch etwas ruhiger zu sein. Da verkündigte ein starkes Frösteln einen zweiten Fieberanfall, der Puls schlug unregelmäßig und schneller und die Erschöpfung nahm offenbar zu.
Geistig mindestens ebenso angegriffen, wie die Kranke körperlich, verließ Jovita Foley ihren Sessel gar nicht mehr. Immer behielt sie die Freundin im Auge, trocknete ihre heiße Stirn, flößte ihr einige Löffel Thee ein und überließ sich daneben nur trostlosen Grübeleien über ein so unerhört erscheinendes Unglück.
»Nein, sagte sie für sich, nein, Tom Crabbe und Titbury haben am Tage vor ihrer Abfahrt natürlich ebensowenig eine Bronchitis bekommen wie Kymbale und Max Real! Auch dem Commodore Urrican würde ein solches Unglück nicht widerfahren sein! Meine arme Lissy aber, die immer so kerngesund war, muß es treffen! Und morgen… schon morgen wird zum fünftenmale gewürfelt!… Wenn wir dadurch nun sehr weit weggeschickt würden, wenn eine Verzögerung von nur fünf oder sechs Tagen uns hinderte, rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein, oder wenn gar der 20. herankäme, ohne daß wir abreisen könnten… wenn es dann zu spät ist, es überhaupt noch thun zu können… und wir von der Partie ausgeschlossen würden, ohne auch nur bei deren Anfang betheiligt gewesen zu sein…«
Wenn!… Wenn!… Dieses unglückselige Bindewort erregte alle Hirnfasern Jovita Foley’s und machte ihr die Schläfe klopfen.
Gegen drei Uhr ließ der Fiebersturm nach. Lissy Wag erwachte aus tiefer Erschöpfung, das Aufhusten der Kranken schien etwas kräftiger zu werden. Als sie die Augen öffnete, sah sie Jovita Foley über sich geneigt.
»Nun, fragte diese begierig, wie befindest Du Dich?… Etwas besser, nicht wahr?… Was kann ich Dir geben?
– Etwas zu trinken, bat Miß Wag mit schwacher, durch das Luftröhrenleiden veränderter Stimme.
– Hier, meine Beste… ein heilsames Getränk… aus schwefelhaltigem Mineralwasser mit warmer Milch!… Nachher, der Arzt hat es so verordnet, erhältst Du einige Pastillen…
– Ich nehme alles, was Du willst, meine gute Jovita!
– Dann wird sich die Sache ganz allein machen!…
– Ja, ja… ganz allein…
– Du scheinst jetzt weniger zu leiden?
– Ach, Du weißt wohl, liebe Freundin, antwortete Lissy Wag, wenn das Fieber nachgelassen hat, fühlt man sich wie zerschlagen und doch etwas wohler…
– Das ist der Anfang der Genesung! jubelte Jovita Foley. Morgen wird es nicht wieder auftreten!
– Der Genesung… schon jetzt?… murmelte die Kranke, die zu lächeln suchte.
– Jawohl… schon jetzt. Wenn der Arzt wiederkommt, wird er bestimmen können, wann Du wieder aufstehen darfst.
– Unter uns, liebe Jovita, gesteh’ es nur, ich habe doch keine guten Aussichten.
– Keine guten Aussichten… Du?…
– Ja… ich; das Schicksal hat fehlgegriffen, als es Dich nicht an meine Stelle setzte. Morgen wärst Du im Auditorium gewesen… wärst an demselben Tage abgefahren…
– Ich wäre abgefahren und hätte Dich in einem solchen Zustande zurückgelassen?… Niemals!
– Ich hätte Dich schon dazu gezwungen!
– Nun, um alles das handelt es sich ja nicht, erwiderte Jovita Foley. Ich bin eben die fünfte Partnerin nicht… ich nicht die zukünftige Erbin des seligen Hypperbone… das bist Du allein!… Ueberlege Dir nur recht, meine Liebe! Es ist noch nichts verloren, wenn sich unsere Abreise auch um achtundvierzig Stunden verzögert. Da haben wir immer noch dreizehn Tage für die Reise… und in dreizehn Tagen kann man von einem Ende der Union bis zum andern gelangen!«
Lissy Wag wollte darauf nicht antworten, daß sich ihre Krankheit um eine Woche oder – wer wußte es? – vielleicht über die vorgeschriebenen vier. zehn Tage hinaus hinziehen könnte.
»Ich verspreche Dir, Jovita, begnügte sie sich zu sagen, daß ich mich bemühen werde, so schnell wie möglich gesund zu werden.
– Mehr verlange ich auch gar nicht… Doch nun genug mit dem Plaudern. Du darfst Dich nicht überanstrengen. Versuche ein wenig zu schlummern. Ich bleibe an Deiner Seite sitzen.
– Du wirst Dich zuletzt selbst noch krank machen!
– Ich?… Darüber sei nur ruhig. Uebrigens haben wir freundliche Nachbarn, die im Nothfall gewiß an meine Stelle träten. Schlaf’ nur ganz ruhig, meine Lissy!«

Als Jovita Foley von diesen Mittheilungen Kentniß erhielt… (S. 172.)
Nachdem sie mit ihrer Freundin noch einen Händedruck gewechselt hatte, wendete sich das junge Mädchen um und schlummerte bald recht sanft ein.
Was Jovita Foley noch nebenbei beunruhigte und erregte, war die Beobachtung, daß die Straße am Nachmittage eine in diesem stillen Stadttheile ganz ungewohnte Belebtheit zeigte. Hier herrschte ein Lärmen, das selbst in dem von den Freundinnen bewohnten neunten Stockwerk die Ruhe der Miß Wag zu stören drohte. Geschäftige Leute blieben vor der Nummer neunzehn stehen und stellten an jedermann laute Fragen. Wagen auf Wagen kamen angerasselt und rollten dann eiligst nach den reichen Quartieren der Stadt wieder davon.
»Nun, wie steht es? fragten die einen.
– Nicht gerade gut, antworteten die anderen.
– Man spricht von einem Schleimfieber…
– Nein, von einer typhösen Erkrankung…
– O, das arme Ding!… Es giebt doch wirklich Menschen, die besonderes Pech haben!
– Nun, sie ist doch immerhin eine, die zu dem Match Hypperbone mit gewählt wurde.
– Ein rechtes Glück, wenn man nicht daran theilnehmen kann!
– Und wenn Lissy Wag auch im Stande wäre, rechtzeitig abzufahren, wer sagt, daß sie auch die Anstrengungen so vielfacher Reisen auszuhalten vermöchte?
– Oho, vollkommen… wenn sich die Partie nach wenigen Zügen entscheidet, was ja nicht ausgeschlossen ist.
– Wenn sie aber monatelang dauert?…
– Weiß man denn jemals, wie der Zufall spielt?«
So schwirrten Reden und Gegenreden hundertfach durcheinander.
Selbstverständlich stellten sich zahlreiche Neugierige – vielleicht an Wetten betheiligte, jedenfalls aber viele Journalisten – an Jovita Foley’s Wohnung ein.
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