– Dann werde Du ruhiger, sagte Lissy Wag, indem sie ihre Küsse erwiderte, und alles wird sich gut machen!«
Jovita Foley gelang es nur mit großer Anstrengung, sich zu bemeistern, so erschrocken war sie bei dem Gedanken, daß ihre Freundin am Tage der Abreise könnte das Bett hüten müssen.
Am Vormittage des 7. brachte Jovita Foley, als sie vom Auditorium nach Hause kam, die Nachricht mit, daß der vierte Partner, Harris T. Kymbale, für den sechs Augen geworfen worden waren, sich zuerst nach dem Staate New York und nach der Niagarabrücke, dann aber nach Santa-Fé in Neumexiko zu begeben habe.
Lissy Wag machte dazu nur die Bemerkung, daß der Berichterstatter der »Tribune« infolgedessen einen einfachen Einsatz zu erlegen habe.
»Das wird seine Zeitung in keine große Verlegenheit setzen, erwiderte ihre Freundin.
– Nein, Jovita, uns würde es aber gar nicht gleichgiltig sein, wenn wir gleich zu Anfang oder auch im Verlaufe der Reise tausend Dollars opfern sollten!«
Die andere antwortete ihrer Gewohnheit nach darauf nur mit einer Bewegung des Kopfes, die offenbar bedeuten sollte: So etwas kommt nicht vor!… Nein, das ist ganz unmöglich!
Im Grunde beunruhigte sie das doch nicht wenig, obwohl sie davon nichts merken lassen wollte. Nacht für Nacht träumte sie in unruhigem Schlafe, der auch Lissy Wag’s Schlummer störte, von der Brücke, dem Gasthause, dem Labyrinth, von dem Schachte und dem Gefängnisse, also von den gefährlichen Feldern, wo die Spieler einfache, doppelte oder gar dreifache Einsätze bezahlen mußten, um überhaupt an der Partie weiter theilnehmen zu können.
Endlich brach der 8. Mai an. Am nächsten Tage sollten sich die beiden jungen Reisenden auf den Weg machen. Mit den glühenden Kohlen, worauf Jovita Foley schon seit einer Woche stand, hätte man bequem eine Schnellzugslocomotive auf der Fahrt durch ganz Amerika heizen können.
Selbstverständlich hatte Jovita Foley einen umfassenden Führer für alle Fahrten durch die Vereinigten Staaten gekauft, das beste und vollständigste der Guide-Books, das sie durchblätterte, durchlas und wieder durchlas, obgleich sie gar nicht in der Lage war, jetzt schon einen Reiseweg auszuwählen.
Um über alles Auskunft zu erhalten, genügte es übrigens, die Tagesblätter der Hauptstadt oder die Zeitungen jeder beliebigen anderen Stadt einzusehen. Schon von Anfang an war ein Nachrichtendienst zwischen allen beim Würfeln herausgekommenen Staaten, besonders aber mit jeder der Ortschaften eingerichtet worden, die William I. Hypperbone als Ziele angegeben hatte. Post, Telephon und Telegraph arbeiteten ja zu jeder Stunde. Morgenzeitungen und Abendzeitungen enthielten mehr oder weniger zuverlässige, vielfach freilich, muß man sagen, mehr oder weniger phantastische Berichte. Es ist ja eine alte Erfahrung, daß der Leser einer einzeln gekauften Nummer und der Abonnent einer Zeitung in dem Punkte eines Sinnes sind, daß sie lieber falsche Neuigkeiten als gar keine aufgetischt sehen wollen.
Jene Nachrichten hingen übrigens, wie erklärlich, von den Partnern und von der Art ihres Verhaltens ab. Was Max Real betraf, so konnten alle Mittheilungen über ihn kaum ernst genommen werden, weil er über seine Pläne, mit Ausnahme seiner Mutter, niemand ins Vertrauen gezogen hatte. Da man weder von seinem Eintreffen in Omaha mit Tommy, ferner aus Kansas City und von seiner Schiffsreise auf dem »Dean Richmond« etwas gehört hatte, bemühten sich die Reporter vergebens, seine Fährte zu verfolgen, und man wußte nicht, was aus ihm geworden war.
Ein nicht weniger tiefes Geheimniß umgab Hermann Titbury. Daß er mit seiner Gattin am 5. abgereist war, unterlag keinem Zweifel, denn in seinem Hause in der Robey Street schaltete nur noch die Dienstmagd, jener weibliche Cerberus, von dem schon die Rede gewesen ist.
Dagegen wußte man nicht, daß sie unter falschem Namen reisten, und deshalb blieben auch alle Bemühungen von Journalisten, sie unterwegs einmal zu erwischen, ganz vergebens. Wahrscheinlich hörte man von dem Ehepaar also nicht eher etwas, als bis Titbury in Calais nach der ihn betreffenden Depesche fragte…
Ueber Tom Crabbe hatte man weit vollständigere Nachrichten. Nach der ganz öffentlich erfolgten Abfahrt von Chicago waren Milner und sein Gefährte in den bedeutenderen, an ihrem Wege gelegenen Städten gesehen und interviewt worden, zuletzt in New Orleans, wo sie sich nach Galveston in Texas eingeschifft hatten. Die »Freie Presse« ließ es sich damals angelegen sein, darauf hinzuweisen, daß der Dampfer »Sherman« amerikanischer Nationalität, ein Stück des Mutterlandes sei, ein nicht unwichtiger Umstand, da es verboten war, auf einem fremden Schiffe zu fahren, selbst wenn sich dieses in den Gewässern der Union hielt.
Von Harris T. Kymbale fehlte es natürlich erst recht nicht an Nachrichten. Sie kamen so häufig wie der Regen im April, denn ihm kam es nie auf ein Telegramm, einen Artikel oder einen Brief an, den die »Tribune« abdruckte. So wußte jedermann, wie und wann er nach Jackson, später nach Detroit gekommen war, und alle Leser harrten mit Ungeduld auf eingehende Schilderungen des Empfangs, der ihm in Buffalo und an den Niagarafällen zutheil geworden sein mußte.
Jetzt war der 7. Mai. Uebermorgen sollte Meister Tornbrock im Beisein Georges B. Higginbotham’s im Saale des Auditoriums den Ausfall des fünften Würfelfalles verkündigen. Noch sechsunddreißig Stunden, und Lissy Wag sollte wissen, was ihr beschieden war. Man kann sich leicht vorstellen, mit welcher Ungeduld Jovita Foley diese beiden Tage verbracht hätte, wenn sie nicht die Beute einer noch weit ernsteren Beunruhigung gewesen wäre.
In der Nacht vom 7. zum 8. wurde nämlich Lissy Wag plötzlich von heftigen Beschwerden in der Luftröhre befallen, und als sich bei ihr starkes Fieber einstellte, mußte sie sich sogar entschließen, die im Nebenzimmer schlafende Freundin zu wecken.
Jovita Foley erhob sich sofort, ließ ihr die erste Pflege zutheil werden, reichte ihr erfrischendes Getränk und deckte sie hübsch warm zu.
»Es wird nichts zu bedeuten haben, liebe Freundin, wiederholte sie, freilich in wenig zuversichtlichem Tone, es geht gewiß bald vorüber…
– Ich will es hoffen, antwortete Lissy Wag, denn das hieße wahrlich, zur unrechten Zeit krank werden.«
Das meinte auch Jovita Foley; sie dachte aber gar nicht daran, sich wieder niederzulegen, sondern wachte bei dem jungen Mädchen, deren Schlummer oft recht peinliche Unterbrechungen erlitt.
Am nächsten Tage, schon beim Morgengrauen, wußte das ganze Haus, daß die fünfte Partnerin sehr leidend sei. Es war sogar nöthig gewesen, nach einem Arzte zu schicken, und auf diesen wartete man um neun Uhr noch immer.
Kaum war das Haus von der Sachlage unterrichtet, da kannte sie bald auch das Häuserviereck, dann der Stadttheil und schnell auch die ganze Stadt, denn die Nachricht verbreitete sich mit der Schnelligkeit des elektrischen Stromes, die traurigen Nachrichten ja ganz besonders eigen ist.
Zu verwundern war das übrigens nicht. Miß Wag war die Berühmtheit des Tages, die Persönlichkeit, der sich nach der Abfahrt Harris T. Kymbale’s alle Augen zuwandten. Auf sie, die einzige Heldin neben den anderen sechs Helden des Match Hypperbone, vereinigte sich die allgemeine Aufmerksamkeit in den weitesten Kreisen.
Und jetzt war Lissy Wag krank… vielleicht ernstlich erkrankt, gerade am Tage vorher, an dem sich ihr Schicksal für die nächste Zeit entscheiden sollte.
Kurz nach neun Uhr erschien endlich der ersehnte Arzt, Dr. M. P. Pughe. Er erkundigte sich zuerst bei Jovita Foley nach dem allgemeinen Gesundheitszustande des jungen Mädchens.
»O, der ist ganz ausgezeichnet,« erhielt er zur Antwort.
Der Arzt nahm nun neben Lissy Wag’s Bette Platz, betrachtete sie aufmerksam, ließ sich ihre Zunge zeigen, fühlte nach dem Pulse und beklopfte und behorchte sie als Sachverständiger. Am Herzen, an der Leber und dem Magen ließ sich keine Störung erkennen. Nach gewissenhafter Untersuchung – die er mit zwei Dollars zu berechnen pflegte – erklärte der Arzt:
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