Bolitho blätterte in den Papieren. Schiffe und Männer, Kanonen und Pulver, Lebensmittel und sonstige Vorräte, die für Wochen, vielleicht für Monate reichen mußten.
Yovell sagte bedächtig:»Ihr Flaggleutnant ist an Bord gekommen, Sir, in der kleinen Jolle. «Er verbarg ein Grinsen.»Nun muß er sich erst etwas Trockenes anziehen, bevor er nach achtern kommt. «Das schien ihn zu amüsieren.
Bolitho lehnte sich im Stuhl zurück und starrte zu den Decksbalken auf. Es kostete viel Papier, ein Geschwader in Marsch zu bringen. Taljen knarrten auf dem Hüttendeck über ihm, und Blöcke quietschten im Gleichklang mit trampelnden Füßen. Verzweifelte Maate drohten und fluchten im Flüsterton, wohl wissend, daß das Oberlicht der Ad-miralskajüte offenstand.
Die andere Tür zur Kajüte öffnete sich lautlos, und Bolithos Flaggleutnant trat leichtfüßig über das Süll. Nur ein feuchter Schimmer auf seinem braunen Haar zeugte noch von seiner bewegten Überfahrt, ansonsten war er — wie stets — untadelig gekleidet.
Er war sechsundzwanzig Jahre alt, hatte trügerisch sanfte Augen und einen Gesichtsausdruck, der zwischen Leere und leichter Verwirrung wechselte.
Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne, den ihm abzunehmen Admiral Beauchamp Bolitho gebeten hatte, besaß das Aussehen eines Aristokraten, der eine gehobene Lebensart gewohnt war. Er war nicht der Typ eines Offiziers, den man an Bord eines Kriegsschiffes erwartet hätte.
Yovell machte ein flüchtige Verbeugung.»Guten Morgen, Sir. Ich habe Ihren Namen schon auf die Liste der Offiziersmesse gesetzt.»
Der Flaggleutnant warf einen kurzen Blick auf das Abrechnungsbuch und sagte ruhig:»Aber Browne mit einem >e< hinten. «Bolitho lächelte.»Mögen Sie eine Tasse Kaffee?«Er beobachtete, wie Browne seine Kuriertasche auf den Tisch legte, und setzte hinzu:»Was Neues?»
«Nein, Sir. Sie können in See gehen, sobald Sie soweit sind. Keine weiteren Befehle von der Admiralität. «Er setzte sich vorsichtig hin.»Ich wünschte, wir kämen in wärmeres Klima.»
Bolitho nickte. Seine Befehle lauteten, daß er sein Geschwader einige fünfhundert Seemeilen nordwärts an die Westküste Dänemarks führen und sich dort mit jenem Teil der Kanalflotte treffen sollte, der vor dem Eingang zur Ostsee patrouillierte, und das bei jedem Wetter und unter allen Bedingungen. Sobald er mit dem Admiral dieses Verbandes Verbindung aufgenommen hatte, würde er weitere Befehle erhalten. Er hoffte, genügend Zeit zu haben, um sein Geschwader in Form zu bringen, bevor er seinen neuen Vorgesetzten traf.
Gerne hätte er gewußt, wie seine Offiziere darüber dachten. Sicherlich ähnlich wie Browne, nur daß sie mehr Grund hatten zu murren. Die meisten von ihnen waren seit Jahren im Mittelmeer oder angrenzenden Gewässern gewesen. Für sie mußte Dänemark und die Ostsee im Winter ein schlimmer Tausch sein.
Yovell schob Bolitho die Papiere mit der Geduld eines Dorfschulmeisters zur Unterschrift hin. Dazu sagte er:»Die anderen Abschriften werde ich bis zum Auslaufen fertig haben, Sir. «Dann ging er, wobei sich seine rundliche Gestalt den Schiffsbewegungen wie eine große Kugel anpaßte.
«Ich denke, damit läuft alles. «Bolitho schaute in Brownes ausdrucksloses Gesicht.»Oder?«Er war es noch nicht gewohnt, Gedanken wie Zuversicht oder Zweifel mit anderen zu teilen.
Browne lächelte höflich.»Wir haben heute vormittag Kommandantensitzung, Sir. Wenn der Wind so bleibt, können wir danach jederzeit auslaufen, hat mir der Master versichert.»
Bolitho stand auf und lehnte sich auf die Brüstung der hohen Fenster. Es war beruhigend, daß sie den alten Grubb an Bord hatten. Als Sailing Master der Lysander war er so etwas wie eine legendäre Figur gewesen. Allein mit Signalen aus seiner Batteriepfeife hatte er — während um ihn herum Blut über das Deck strömte — das Schiff so dirigiert, daß es die feindliche Schlachtlinie durchbrach. Ein Brocken von einem Mann, so breit wie drei andere, mit ziegelrotem, vom Wind wie vom Alkohol gegerbtem Gesicht. Was er nicht von seemännischen Erfahrungen in tropischen Orkanen oder im Eismeer wußte, das brauchte man nicht zu wissen.
Herrick war beglückt gewesen, als er Grubb wieder als Navigator bekam. Er hatte gesagt:»Ich bezweifle jedoch, daß er davon Notiz genommen hätte, wenn die Entscheidung anders ausgefallen wäre.»
«Gut«, sagte Bolitho nun.»Machen Sie ein entsprechendes Signal für das Geschwader. Bei vier Glasen zur mir an Bord. «Er lächelte.»Sie warten sowieso darauf.»
Browne raffte seine Sammlung verschiedener Papiere und Signale zusammen und zögerte, als Bolitho ihn plötzlich fragte:»Dieser Ad-miral, mit dem wir zusammentreffen sollen. Kennen Sie ihn?»
Er war erstaunt, wie leicht ihm das von den Lippen ging. Früher hätte er eher nackend einen Tanz auf der Hütte aufgeführt, als einen Untergebenen nach dessen Ansichten über einen Vorgesetzten zu fragen. Aber man hatte ihm gesagt, er müsse einen Flaggleutnant haben, der in der Marine-Diplomatie bewandert war, also wollte er das nutzen.
«Admiral Sir Samuel Damerum ist lange Jahre als Flaggoffizier in Indien gewesen und zuletzt in Westindien, Sir. Man hatte erwartet, daß er in ein höheres Amt in Whitehall berufen würde, sogar Sir George Beauchamps Posten wurde genannt.»
Bolitho sah ihn mit großen Augen an. Das war eine andere Welt als die seinige.
«Und das hat Ihnen Sir George Beauchamp alles erzählt!»
Doch Sarkasmus war an Browne verschwendet.»Natürlich, Sir. Als Flaggleutnant muß ich solche Dinge wissen. «Er machte eine wegwerfende Gebärde.»Statt dessen bekam Admiral Damerum sein jetziges Kommando. Er ist gut beschlagen in Angelegenheiten des Handels und seines Schutzes. Ich weiß allerdings nicht, was diese Kenntnisse mit Dänemark zu tun haben.»
«Machen Sie bitte weiter.»
Bolitho setzte sich wieder und wartete, daß Browne den Raum verließ. Er bewegte sich leicht und elegant wie ein Tänzer. Oder mehr noch: wie ein Fechter, ein Duellant, dachte Bolitho grimmig. Es war ganz Beauchamp, ihm einen erfahrenen Adjutanten zu geben und diesen Mann damit gleichzeitig vor unerfreulichen Nachforschungen zu retten.
Er dachte über Damerum nach. Den Namen hatte er langsam auf der jährlichen Beförderungsliste der Marine aufsteigen sehen; ein einflußreicher Mann, aber offenbar immer am Rande der Ereignisse, nie da, wo gekämpft und gesiegt wurde.
Vielleicht waren seine Kenntnisse des Handels der Grund für sein jetziges Kommando. Seit Beginn dieses Jahres hatte es unerwartete Spannungen zwischen Britannien und Dänemark gegeben.
Sechs dänische Handelsschiffe, begleitet von der Freya, einer Fregatte mit vierzig Kanonen, hatten es abgelehnt, sich von einem britischen Geschwader anhalten und nach Konterbande durchsuchen zu lassen.
Dänemark war in einer schwierigen Lage. Nach außen hin galt es als neutral, aber es hing nichtsdestoweniger von seinem Handel ab. Vom Handel mit seinen mächtigen Nachbarn, Rußland und Schweden, ebenso wie mit Britanniens Feinden.
Das Ergebnis dieses Zusammentreffens war hart und ärgerlich gewesen. Die dänische Fregatte hatte Warnschüsse auf die britischen Schiffe abgefeuert, aber nach einer halben Stunde harten Kampfes hatte sie die Flagge streichen müssen. Die Freya und ihre sechs Schützlinge waren in die Downs eingebracht worden, aber nach eiligen diplomatischen Verhandlungen hatten die Briten sich der demütigenden Aufgabe gegenübergesehen, die Freya auf ihre Kosten ausbessern zu lassen und mit ihrem Konvoi nach Dänemark zurückzuschik-ken.
Der Friede zwischen Britannien und Dänemark, zwei seit jeher befreundeten Nationen, war bewahrt worden.
Vielleicht hatte Damerum seine Hand bei der ursprünglichen Konfrontation im Spiel gehabt und wurde nun mit seinem Geschwader zur Strafe in See gehalten. Oder vielleicht glaubte die Admiralität auch, daß die ständige Anwesenheit ihrer Schiffe vor den Ostseezugängen, Bonapartes Hintertür, wie die Gazette sie genannt hatte, weitere Pannen verhindern würde.
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