Johann Wolfgang Goethe
Claudine von Villa Bella
Personen
Don Gonzalo, Herr von Villa Bella
Donna Claudina, seine Tochter
Sibyllaund
Camilla, seine Nichten
Don Sebastian von Rovero, ein Freund des Hauses
Don Pedro von Castelvecchio, ein Fremder
Crugantinound
Basko, Vagabunden
Die Musik kündigt einen Wirrwarr, einen fröhlichen Tumult an, einen Zusammenlauf des Volks zu einem festlichen Pompe.
Eine geschmückte Gartenszene stellt sich dar. Unter einem feurigen Marsche naht sich der Zug.
Kleine Kinder gehen voran mit Blumenkörben und Kränzen; ihnen folgen Mädchen und Jünglinge mit Früchten; darauf kommen Alte mit allerlei Gaben. Sibylla und Camilla tragen Geschmeide und köstliche Kleider. Sodann gehen die beiden Alten, Don Gonzalo und Don Sebastian. Gleich hinter ihnen erscheint, getragen vier Jünglingen, auf einem mit Blumen geschmückten Sessel, Donna Claudina. Die herabhangenden Kränze tragen vier andere Jünglinge, deren erster, rechter Hand, Don Pedro ist. Während Zugs singt der
Chor.
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag!
Gabst uns Claudinen!
Bist uns so glücklich,
Uns wieder erschienen!
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag!
Der Zug teilt sich auf beiden Seiten. Die Träger halten in der Mitte, und die Begleiter bringen ihre Gaben an.
Ein Kleines.
Sieh, es erscheinen
Alle die Kleinen;
Mädchen und Bübchen.
Kommen, o Liebchen!
Binden mit Bändern
Und Kränzen dich an!
Chor.
Nimm sie, die herzlichen
Gaben, sie an!
Eine Jungfrau.
Alten und Jungen
Kommen gesungen;
Männer und Greise,
Jeder nach Weise,
Bringet ein jeder
Dir, was er vermag.
Chor.
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag!
Pedro reicht ihr einen Strauß.
Blumen der Wiese,
Dürfen auch diese
Hoffen und wähnen?
Ach es sind Tränen —
Noch sind die Tränen
Des Taues daran!
Chor.
Nimm sie, die herzlichen
Gaben, sie an!
Gonzalo auf die Kleider und Kostbarkeiten zeigend.
Tochter, die Gaben
Sollst du heut haben.
Zu den andern.
Teilt ihr die Freude,
Teilet euch heute
Essen und Trinken,
Und was ich vermag!
Chor.
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag!
Die Träger lassen den Stuhl herunter; Claudine steigt herab.
Claudine.
Tränen und Schweigen
Mögen euch zeigen,
Wie ich so fröhlich
Fühle, so selig
Alles, was alles
Ihr für mich getan!
Chor.
Nimm sie, die herzlichen
Gaben, sie an!
Claudine ihren Vater umarmend.
Könnt ich mein Leben,
Vater, dir geben!
Zu den übrigen.
Könnt ich, ohn Schranken,
Allen euch danken!
Wendet sich schüchtern zu Pedro.
Könnt ich —
Sie stockt. Die Musik macht eine Pause. Sie sucht ihre Verwirrung zu verbergen, setzt sich auf den Sessel, den die Träger aufheben, und das Chor fällt ein.
Chor.
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag!
Gabst uns Claudinen!
Bist uns so glücklich,
Uns wieder erschienen!
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag.
Der Zug geht singend ab.
Gonzalo und Sebastian bleiben.
Gonzalo.
Bastian, lieber Bastian, verdenke mir's nicht! Sieh das Mädchen an, und du wirst mir nicht verdenken, daß ich einen kleinen Abgott aus ihr mache. So manche Feierlichkeit, bei so manchem Anlaß, scheint mir nicht hinreichend, das Gefühl meines Innersten gegen sie an den Tag zu legen. Wie warm dank ich dem Schicksal, das, da es mir eine männliche Nachkommenschaft versagt hat, da es mit mir den alten herrlichen Stamm von Villa Bella ausgehen läßt, mir diese Tochter gibt. O, ihr Wert entzückt mich mehr als die Aussicht über eine grenzenlose Nachkommenschaft!
Sebastian.
Nein, ich sage dir, mich ergötzt das kleine Fest recht herzlich. Denn ob ich gleich kein Freund von Umständen bin, so bin ich doch den Zeremonien nicht feind. Ein feierlicher Aufzug von geputzten Leuten; ein Zusammenlauf des Volks; gejauchzt, die Glocken geläutet; gejauchzt und geschossen drein: es geht einem das Herz doch immer dabei auf, und ich verdenk's den Leuten nicht, wenn sie dadurch glauben, die Heiligen zu verehren und Gott selbst zu verherrlichen.
Gonzalo.
Und ich glaube, für Claudinen niemals genug zu tun. Wie kann ich genug ausdrücken, daß sie Königin ist über alle meine Besitztümer, über meine Untertanen, über mich selbst — Muß ich sie nicht den Vorzug fühlen lassen, den sie vor andern Menschen hat, da sie ihn selbst nicht fühlt, nicht die geringste Ahndung davon zu haben scheint, daß ihresgleichen nicht in der Welt ist? Diese Ruhe des Geistes, dieses innere Gefühl ihrer selbst, diese Teilnehmung an anderer Schicksale, diese Empfindlichkeit gegen alles Schöne und Gute — Sage nicht, ich sei Vater, ich bespiegle mich nur selbst in ihr — Höre! alle meine Leute, alles, was sie umgibt, sogar die neidischen Nichten müssen ihr huldigen.
Sebastian.
Hab ich nicht Augen und ein Herz? Freilich seh ich sie weder als Vater noch als Liebhaber; aber so viel seh' ich doch, daß es eine Gabe vom Himmel ist, Vater oder Liebhaber so eines Mädchens zu sein. Hast du bemerkt, daß all der Triumph, all die Herrlichkeit heute, sie mehr in Verlegenheit setzte als erfreute? Ich hab mein Tage kein rührenders Bild der Demut gesehn als sie in dem Schmuck. Auch war noch jemand dabei, dem ein einsamer Busch weit mehr Wonne gegeben hätte; dessen Empfindung zu dem Rauschen des Wassers und dem Lispeln der Blätter besser stimmte als zu den Trompeten und Freudengesang.
Gonzalo.
Du meinst?
Sebastian.
Pedro!
Gonzalo.
Pedro?
Sebastian.
Du wirst doch darüber nicht staunen? Pedro, der, seitdem er Claudinen zum erstenmal gesehen hat, kein Pfötchen mehr machen kann; den du schon hundertmal auf einem Seitenblick, einem Händereiben, einem Hutkneten mußt ertappt haben.
Gonzalo.
Und wenn auch —
Sebastian.
Gut! Du mußt denken wie ich, daß diese Partie für deine Tochter — Du lächelst?
Gonzalo.
Daß wir Alten gleich verheiraten!
Sebastian.
Ich trag das wachend und träumend herum. Aber alles will reif werden. Unterdessen hast du recht, daß du ein Aug' zutust und mit dem andern neben ausblickst.
Gonzalo.
Wenn ich sie so ansehe, erinnere ich mich der blühenden Tage meiner Jugend; mir wird ganz wohl.
Sebastian.
Ich glaube auch, daß ihnen ganz wohl bei der Sache ist. Wenn Pedro nur unser Hauptgeschäft nicht drüber vergäße!
Gonzalo.
Hat's ihm noch nicht geglückt, was von seinem Bruder auszufragen?
Sebastian.
Ihm? Das ist mir der rechte Spion! Er ist ja so verliebt, daß, wenn du nach der Stunde fragst, er nicht weiß, in welcher Tasche seine Uhr steckt. Bei Gott! wenn ich mich nicht abritte und abarbeitete, wir wären noch auf dem alten Flecke.
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