Leo Tolstoy - Kindheit
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- Название:Kindheit
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- ISBN:http://www.gutenberg.org/ebooks/49824
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Die dritte Methode besteht darin, zu niemandem Beziehungen zu unterhalten und dafür Tribut zu zahlen. Der wird in zwiefacher Form entrichtet: als Ergebenheit und Leutseligkeit. Mit Ergebenheit zahlen Leute, die die dritte Methode erwählt haben, aber nicht imstande sind, der Willkür der Behörde zu begegnen. Mit Leutseligkeit zahlen Leute, die Beziehungen zu den höchsten Gouvernementsbehörden haben, aus Gründen der Sicherheit und Gewohnheit aber auf jene Steuer nicht verzichten.
Es gibt noch eine Art, die sehr im Schwange ist, die ich aber wegen ihrer Ungesetzmäßigkeit nur als Ausnahme erwähnen will. Sie besteht darin, sich im Gouvernement oder Kreis den Ruf eines gefährlichen Schikaneurs und Intriganten zu verschaffen.
Papa hielt es in bezug auf die Behörde und die Nachbarn mit der dritten Art, das heißt er war mit niemandem näher bekannt und zahlte den Tribut der Leutseligkeit. Obgleich er nicht häufig in die Gouvernementsstadt fuhr, wußte er es so einzurichten, daß wenigstens einmal im Jahre alle großen Tiere: der Gouverneur, der Adelsmarschall und der Staatsanwalt nach Petrowskoie kamen.
Natürlich erzählte dann Jakob Michailow bei seinem nächsten Aufenthalt in der Stadt dem Isprawnik und anderen umständlich, wie Seine Exzellenz bei uns übernachtet, und diese und jene Bemerkung fallen gelassen hätten, und die Folge war, daß weder Isprawnik noch Stanowoi die Nase nach Petrowskoie hineinsteckten, sondern ruhig den Leutseligkeitstribut abwarteten.
Wenn die Behörde in irgendeiner unbedingt notwendigen Angelegenheit dennoch nach Petrowskoie kam, ließ Papa sie durch Jakob empfangen; und wenn er wirklich selbst jemanden begrüßte, so geschah es so kalt, daß Mama oft zu ihm sagte: »Genierst du dich nicht, mon cher, die Leute so zu behandeln?«
Darauf erwiderte Papa: »Du weißt nicht, Liebe, was das für Leute sind; gib ihnen soviel –« dabei zeigte er den kleinen Finger – »so nehmen sie soviel,« dabei zeigte er den Arm bis zur Schulter.
Ebenso war der Verkehr mit den Nachbarn von der Höhe stolzer Erhabenheit herab.
Man darf ihm wegen solchen Verhaltens keine Vorwürfe machen; zu seiner Zeit, das heißt anderhalb Jahrzehnte zurück, war es das einzige Mittel, um auf dem Lande Ruhe zu haben. Jetzt hat sich das alles geändert und ist viel besser geworden. Ein Gutsbesitzer, den ich danach fragte, antwortete mir: »Ach, lieber Freund, Sie kennen unsere jetzigen Kreis- und Landrichter nicht. Diese Ordnung, Sauberkeit, Bescheidenheit, Klugheit. Der unterste Schreiber hat seinen Frack. Kommt man zum Isprawnik, so sieht man seine Frau in modernster Toilette; sie ist eine höchst gebildete Dame, spricht Französisch, Italienisch, Spanisch – was Sie wollen. Die Töchter sind höchst musikalisch: Piano – wird zum Flügel, Fußboden – Parkett. Oder, was noch besser, wir haben in unserem Bezirk zwei Stanowois; der eine kommt von der Moskauer Universität, der andere ist mit der Fürstin Schedrischpanskaja verheiratet – der reine Pariser! Sehen Sie, verehrter Herr, so sieht jetzt unsere Semstwopolizei aus.«
»Wie ist's denn jetzt mit den Schmiergeldern und Schikanen?« fragte ich. »Hat das aufgehört?«
Der Gutsbesitzer antwortete mir nicht direkt, sondern lobte weiter die neue Ordnung der Dinge, die Klugheit und Bildung der Gutsbesitzer, dabei bemerkend, daß mancher Stanowoi über tausend Rubel im Jahr ausgäbe und mit seinen Pferden, seiner Tafel und Wohnung manchen Gutsbesitzer in den Schatten stellte.
5. Das Klassenzimmer
Als wir nach oben kamen, zog Karl Iwanowitsch seinen Schlafrock an, band den Gürtel um und setzte sich sehr nachdenklich auf seinen Platz. Wir gingen mit unserem Lesebuch zu ihm, er sah uns streng an und strich mit seinem starken Fingernagel die Stelle an, bis zu welcher wir auswendig lernen und ihm aufsagen sollten. Wolodja trieb nicht wie gewöhnlich Possen, sondern lernte ordentlich; ich dagegen war so zerstreut, daß ich entschieden nichts tun konnte. Ich starrte lange gedankenlos in das Buch, konnte aber vor Tränen nicht lesen. Und als ich Karl Iwanowitsch das Gelernte aufsagen sollte, konnte ich gerade an der Stelle, wo einer sagt: »Wo kommen Sie her?« und der andere antwortet: »Ich komme aus dem Kaffeehause« die Tränen nicht länger zurückhalten und vor Schluchzen die Worte: »Haben Sie die Zeitung nicht gelesen?« nicht herausbringen, obgleich ich die ganze Seite sehr gut auswendig konnte. Als es ans Schönschreiben ging, machte ich infolge der Tränen, die auf das Heft fielen, solche Kleckse, als hätte ich mit Wasser auf Löschpapier geschrieben.
Karl Iwanowitsch wurde böse, ließ mich niederknien, sagte, das sei Eigensinn, eine Puppenkomödie (sein Lieblingsausdruck), drohte mit dem Lineal und verlangte, ich sollte um Verzeihung bitten, während ich vor Tränen kein Wort herausbringen konnte. Endlich sah er sein Unrecht wahrscheinlich ein, ging in Nikolas' Zimmer und schlug die Tür zu.
Als er fort war, setzte ich mich nieder und beruhigte mich etwas. Vom Klassenzimmer aus konnte man die Unterhaltung im Wärterzimmer hören.
»Hast du gehört, Nikolas, daß die Kinder nach Moskau fahren?« fragte Karl Iwanowitsch beim Eintritt ins Zimmer.
»Gewiß habe ich das gehört.«
Wahrscheinlich wollte Nikolas aufstehen, denn Karl Iwanowitsch sagte: »Bleib sitzen, Nikolas,« und dann wurde die Tür geschlossen, und man konnte nur noch hören, daß sie sprachen, ohne einzelne Worte zu verstehen. Ich stand auf und lief hin, um zu horchen. Wolodja drohte mir scherzend mit dem Finger.
Durch das Schlüsselloch sah ich Nikolas mit gesenktem Kopf am Fenster Stiefel nähen, während Karl Iwanowitsch mit der Tabaksdose in der Hand vor ihm stand und eifrig redete.
Er sprach Deutsch recht gut und einfach; im Russischen aber machte er bei jedem Wort einige Fehler und bildete sich dabei, glaube ich, ein, ein guter Redner zu sein. Er zog die Worte so auseinander und sprach mit so kläglicher Betonung, daß seine Rede, so lächerlich das klingen mag, für mich stets besonders rührend war. Er sprach wie ein Professor vom Katheder, oder wie man gefühlvolle Verse deklamiert, in einer Art traurigem einförmigen Singsang.
»Man mag den Leuten noch soviel Gutes tun und noch so anhänglich sein – auf Dankbarkeit darf man nicht rechnen, Nikolas. Ich lebe zwölf Jahre in diesem Hause und kann vor Gott beteuern, Nikolas« – fuhr Karl Iwanowitsch, die Augen und die Tabaksdose gegen die Decke richtend, fort – »daß ich die Jungens geliebt und mich mehr mit ihnen beschäftigt habe, als wenn es meine eigenen Kinder wären. Weißt du noch, Nikolas, als Wolodja Fieber hatte, wie ich da neun Tage lang, ohne ein Auge zuzutun, an seinem Bette saß? Ja, damals war ich der liebe, gute Karl Iwanowitsch; damals hatte man mich nötig, aber jetzt,« fügte er ironisch lächelnd hinzu, »jetzt müssen sie etwas Ordentliches lernen. Als ob sie hier nichts lernten …«
»Gewiß doch, freilich lernen sie,« meinte Nikolas, den Pfriem hinlegend und mit beiden Händen den Pechdraht ziehend.
»Ja, jetzt bin ich nicht mehr nötig; da jagt man mich wie einen Hund vom Hofe! Wo bleibt da Dankbarkeit, wo alle Versprechungen, vornehme Gesinnung? Natalie Nikolajewna habe ich stets geliebt und verehrt und werde das auch in Zukunft tun, Nikolas. Aber was hat sie zu sagen? … Ihr Wille bedeutet in diesem Hause soviel wie das da!« dabei warf er einen Lederschnitzel von der Fensterbank auf den Boden. »Ich weiß, wer mir das alles eingefädelt hat und warum ich überflüssig geworden bin: weil ich nicht zu allem ja sagen und schmeicheln kann, wie gewisse Leute! Ich sage stets nur jedermann die Wahrheit. Gott mit ihnen! Dadurch, daß ich nicht mehr da bin, werden sie nicht reicher, während ich, so Gott will, schon noch mein Stück Brot finde, nicht wahr, Nikolas?«
Nikolas hörte auf zu nähen und blickte ihn einen Moment voll Teilnahme an, sagte aber nichts.
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