Wir fahren ab als mürrische oder gutgelaunte Soldaten, – wir kommen in die Zone, wo die Front beginnt, und sind Menschentiere geworden.
* * *
Ein dürftiger Wald nimmt uns auf. Wir passieren die Gulaschkanonen. Hinter dem Walde steigen wir ab. Die Wagen fahren zurück. Sie sollen uns morgens vor dem Hellwerden wieder abholen.
Nebel und Geschützrauch stehen in Brusthöhe über den Wiesen. Der Mond scheint darauf. Auf der Straße ziehen Truppen. Die Stahlhelme schimmern mit matten Reflexen im Mondlicht. Die Köpfe und die Gewehre ragen aus dem weißen Nebel, nickende Köpfe, schwankende Gewehrläufe.
Weiter vorn hört der Nebel auf. Die Köpfe werden hier zu Gestalten; – Röcke, Hosen und Stiefel kommen aus dem Nebel wie aus einem Milchteich. Sie formieren sich zur Kolonne. Die Kolonne marschiert, geradeaus, die Gestalten schließen sich zu einem Keil, man erkennt die einzelnen nicht mehr, nur ein dunkler Keil schiebt sich nach vorn, sonderbar ergänzt aus den im Nebelteich heranschwimmenden Köpfen und Gewehren. Eine Kolonne – keine Menschen.
Auf einer Querstraße fahren leichte Geschütze und Munitionswagen heran. Die Pferde haben glänzende Rücken im Mondschein, ihre Bewegungen sind schön, sie werfen die Köpfe, man sieht die Augen blitzen. Die Geschütze und Wagen gleiten vor dem verschwimmenden Hintergrund der Mondlandschaft vorüber, die Reiter mit ihren Stahlhelmen sehen aus wie Ritter einer vergangenen Zeit, es ist irgendwie schön und ergreifend.
Wir streben dem Pionierpark zu. Ein Teil von uns ladet sich gebogene, spitze Eisenstäbe auf die Schultern, der andere steckt glatte Eisenstöcke durch Drahtrollen und zieht damit ab. Die Lasten sind unbequem und schwer.
Das Terrain* wird zerrissener. Von vorn kommen Meldungen durch: »Achtung, links tiefer Granattrichter« – »Vorsicht, Graben« —
Unsere Augen sind angespannt, unsere Füße und Stöcke fühlen vor, ehe sie die Last des Körpers empfangen. Mit einmal hält der Zug; – man prallt mit dem Gesicht gegen die Drahtrolle des Vordermannes und schimpft.
Einige zerschossene Wagen sind im Wege. Ein neuer Befehl. »Zigaretten und Pfeifen aus.« – Wir sind dicht an den Gräben.
Es ist inzwischen ganz dunkel geworden. Wir umgehen ein Wäldchen und haben dann den Frontabschnitt vor uns.
Eine Ungewisse, rötliche Helle steht am Horizont von einem Ende zum andern. Sie ist in ständiger Bewegung, durchzuckt vom Mündungsfeuer der Batterien. Leuchtkugeln steigen darüber hoch, silberne und rote Bälle, die zerplatzen und in weißen, grünen und roten Sternen niederregnen. Französische Raketen schießen auf, die in der Luft einen Seidenschirm entfalten und ganz langsam niederschweben. Sie erleuchten alles taghell, bis zu uns dringt ihr Schein, wir sehen unsere Schatten scharf am Boden. Minutenlang schweben sie, ehe sie ausgebrannt sind. Sofort steigen neue hoch, überall, und dazwischen wieder die grünen, roten und blauen.
»Schlamassel*«, sagt Kat.
Das Gewitter der Geschütze verstärkt sich zu einem einzigen dumpfen Dröhnen und zerfällt dann wieder in Gruppeneinschläge. Die trockenen Salven der Maschinengewehre knarren. Über uns ist die Luft erfüllt von unsichtbarem Jagen, Heulen, Pfeifen und Zischen. Es sind kleinere Geschosse; – dazwischen orgeln aber auch die großen Kohlenkästen, die ganz schweren Brocken durch die Nacht und landen weit hinter uns. Sie haben einen röhrenden, heiseren, entfernten Ruf, wie Hirsche in der Brunft*, und ziehen hoch über dem Geheul und Gepfeife der kleineren Geschosse ihre Bahn.
Die Scheinwerfer beginnen den schwarzen Himmel abzusuchen. Sie rutschen darüber hin wie riesige, am Ende dünner werdende Lineale. Einer steht still und zittert nur wenig. Sofort ist ein zweiter bei ihm, sie kreuzen sich, ein schwarzes Insekt ist zwischen ihnen und versucht zu entkommen: der Flieger. Er wird unsicher, geblendet und taumelt*.
* * *
Wir rammen die Eisenpfähle in regelmäßigen Abständen fest. Immer zwei Mann halten eine Rolle, die andern spulen den Stacheldraht ab. Es ist der ekelhafte Draht mit den dichtstehenden, langen Stacheln. Ich bin das Abrollen nicht mehr gewöhnt und reiße mir die Hand auf.
Nach einigen Stunden sind wir fertig. Aber wir haben noch Zeit, bis die Lastwagen kommen. Die meisten von uns legen sich hin und schlafen. Ich versuche es auch. Doch es wird zu kühl. Man merkt, dass wir nahe am Meere sind, man wacht vor Kälte immer wieder auf.
Einmal schlafe ich fest. Als ich plötzlich mit einem Ruck hochfliege, weiß ich nicht, wo ich bin. Ich sehe die Sterne, ich sehe die Raketen und habe einen Augenblick den Eindruck, auf einem Fest im Garten eingeschlafen zu sein. Ich weiß nicht, ob es Morgen oder Abend ist, ich liege in der bleichen Wiege der Dämmerung und warte auf weiche Worte, die kommen müssen, weich und geborgen – weine ich? Ich fasse nach meinen Augen, es ist so wunderlich, bin ich ein Kind? Sanfte Haut; – nur eine Sekunde währt es, dann erkenne ich die Silhouette Katczinskys. Er sitzt ruhig, der alte Soldat, und raucht eine Pfeife, eine Deckelpfeife natürlich. Als er bemerkt, dass ich wach bin, sagt er nur: »Du bist schön zusammengefahren. Es war nur ein Zünder, er ist da ins Gebüsch gesaust.«
Ich setze mich hoch, ich fühle mich sonderbar allein. Es ist gut, dass Kat da ist. Er sieht gedankenvoll zur Front und sagt: »Ganz schönes Feuerwerk, wenn’s nicht so gefährlich wäre.«
Hinter uns schlägt es ein. Ein paar Rekruten fahren erschreckt auf. Nach ein paar Minuten funkt es wieder herüber, näher als vorher. Kat klopft seine Pfeife aus. »Es gibt Zunder.«
Schon geht es los. Wir kriechen weg, so gut es in der Eile geht. Der nächste Schuss sitzt bereits zwischen uns. Ein paar Leute schreien. Am Horizont steigen grüne Raketen auf. Der Dreck fliegt hoch, Splitter surren. Man hört sie noch aufklatschen, wenn der Lärm der Einschläge längst wieder verstummt ist.
Neben uns liegt ein verängstigter Rekrut, ein Flachskopf*. Er hat das Gesicht in die Hände gepresst. Sein Helm ist weggepurzelt. Ich fische ihn heran und will ihn auf seinen Schädel stülpen. Er sieht auf, stößt den Helm fort und kriecht wie ein Kind mit dem Kopf unter meinen Arm, dicht an meine Brust. Die schmalen Schultern zucken. Schultern, wie Kemmerich sie hatte.
Ich lasse ihn gewähren. Damit der Helm aber wenigstens zu etwas nutze ist, packe ich ihn auf seinen Hintern, nicht aus Blödsinn, sondern aus Überlegung, denn das ist der höchste Fleck. Wenn da zwar auch dickes Fleisch sitzt, Schüsse hinein sind doch verflucht schmerzhaft, außerdem muss man monatelang im Lazarett auf dem Bauch liegen und nachher ziemlich sicher hinken.
Irgendwo hat es mächtig eingehauen. Man hört Schreien zwischen den Einschlägen.
Endlich wird es ruhig. Das Feuer ist über uns hinweggefegt und liegt nun auf den letzten Reservegräben. Wir riskieren einen Blick. Rote Raketen flattern am Himmel. Wahrscheinlich kommt ein Angriff.
Bei uns bleibt es ruhig. Ich setze mich auf und rüttele den Rekruten an der Schulter. »Vorbei, Kleiner! Ist noch mal gutgegangen.«
Er sieht sich verstört um. Ich rede ihm zu: »Wirst dich schon gewöhnen.«
Er bemerkt seinen Helm und setzt ihn auf. Langsam kommt er zu sich. Plötzlich wird er feuerrot und hat ein verlegenes Aussehen. Vorsichtig langt er mit der Hand nach hinten und sieht mich gequält an. Ich verstehe sofort: Kanonenfieber. Dazu hatte ich ihm eigentlich den Helm nicht gerade dorthin gepackt – aber ich tröste ihn doch: »Das ist keine Schande, es haben schon ganz andere Leute als du nach ihrem ersten Feuerüberfall die Hosen voll gehabt. Geh hinter den Busch da und schmeiß deine Unterhose weg. Erledigt – «
* * *
Er trollt sich. Es wird stiller, doch das Schreien hört nicht auf. »Was ist los, Albert?« frage ich.
Читать дальше