Fabian hatte indessen seinen Freund Balthasar wieder beim Arme gefasst und war mit ihm rasch weitergeschritten. Eben jetzt traten sie heraus aus dem Dickicht auf den breiten Weg, der mitten durch den Wald führte. Da gewahrte Fabian, wie aus der Ferne ein Pferd ohne Reiter, in eine Staubwolke gehüllt, herantrabte. – «Hei, hei!» rief er, sich in seiner Rede unterbrechend, «hei, hei, da ist eine verfluchte Schindmähre durchgegangen und hat ihren Reiter abgesetzt – die müssen wir fangen und nachher den Reiter suchen im Walde.» Damit stellte er sich mitten in den Weg.
Näher und näher kam das Pferd, da war es, als wenn von beiden Seiten ein Paar Reitstiefel in der Luft auf und nieder baumelten und auf dem Sattel etwas Schwarzes sich rege und bewege. Dicht vor Fabian erschallte ein langes gellendes Prrr – Prrr – und in demselben Augenblick flogen ihm auch ein Paar Reitstiefel um den Kopf, und ein kleines seltsames, schwarzes Ding kugelte hin, ihm zwischen die Beine. Mauerstill stand das große Pferd und beschnüffelte mit lang vorgestrecktem Halse sein winziges Herrlein, das sich im Sande wälzte und endlich mühsam auf die Beine richtete. Dem kleinen Knirps steckte der Kopf tief zwischen den hohen Schultern, er war mit seinem Auswuchs auf Brust und Rücken, mit seinem kurzen Leibe und seinen hohen Spinnenbeinchen anzusehen wie ein auf eine Gabel gespießter Apfel, dem man ein Fratzengesicht eingeschnitten. Als nun Fabian dies seltsame kleine Ungetüm vor sich stehen sah, brach er in ein lautes Gelächter aus. Aber der Kleine drückte sich das Barettlein, das er vom Boden aufgeraft, trotzig in die Augen und fragte, indem er Fabian mit wilden Blicken durchbohrte, in rauhem, tief heiserem Ton: «Ist dies der rechte Weg nach Kerepes?» – «Ja, mein Herr!» antwortete Balthasar mild und ernst und reichte dem Kleinen die Stiefel hin, die er zusammengesucht hatte. Alles Mühen des Kleinen, die Stiefel anzuziehen, blieb vergebens, er stülpte einmal übers andere um und wälzte sich stöhnend im Sande. Balthasar stellte beide Stiefel aufrecht zusammen, hob den Kleinen sanft in die Höhe und steckte, ihn ebenso niederlassend, beide Füßchen in die zu schwere und weite Futterale. Mit stolzem Wesen, die eine Hand in die Seite gestemmt, die andere ans Barett gelegt, rief der Kleine: «Gratias, mein Herr!» und schritt nach dem Pferde hin, dessen Zügel er fasste. Alle Versuche, den Steigbügel zu erreichen oder hinaufzuklimmen auf das große Tier, blieben indessen vergebens. Balthasar, immer ernst und mild, trat hinzu und hob den Kleinen in den Steigbügel. Er mochte sich wohl einen zu starken Schwung gegeben haben, denn in demselben Augenblick, als er oben saß, lag er auf der andern Seite auch wieder unten. «Nicht so hitzig, allerliebster Mosje [38] Mosje – искаженное французское обращение к мужчине (monsieur – господин)
!» rief Fabian, indem er aufs Neue in ein schallendes Gelächter ausbrach. «Der Teufel ist Ihr allerliebster Mosje,» schrie der Kleine ganz erbost, indem er sich den Sand von den Kleidern klopfte, «ich bin Studiosus, und wenn Sie desgleichen sind, so ist es Tusch [39] so ist es Tusch – зд. да это вызов, оскорбление (студенческий жаргон)
, dass Sie mir wie ein Hasenfuß ins Gesicht lachen, und Sie müssen sich morgen in Kerepes mit mir schlagen!» «Donner,» rief Fabian immerfort lachend, «Donner, das ist mal ein tüchtiger Bursche, ein Allerweltskerl, was Courage betrift und echten Komment». Und damit hob er den Kleinen, alles Zappelns und Sträubens ungeachtet [40] alles Zappelns und Sträubens ungeachtet – невзирая на то, что он упирался и отбрыкивался
, in die Höhe und setzte ihn aufs Pferd, das sofort mit seinem Herrlein lustig wiehernd davontrabte. – Fabian hielt sich beide Seiten, er wollte vor Lachen ersticken. – «Es ist grausam,» sprach Balthasar, «einen Menschen auszulachen, den die Natur auf solche entsetzliche Weise verwahrlost hat, wie den kleinen Reiter dort. Ist er wirklich Student, so musst du dich mit ihm schlagen, und zwar, läuft’s auch sonst gegen alle akademische Sitte, auf Pistolen, da er weder Rapier noch Hieber zu führen vermag.» – «Wie ernst,» sprach Fabian, «wie ernst, wie trübselig du das alles wieder nimmst, mein lieber Freund Balthasar. Nie ist’s mir eingefallen, eine Missgeburt auszulachen. Aber sage mir, darf solch ein knorpliger Däumling sich auf ein Pferd setzen, über dessen Hals er nicht wegzuschauen vermag? Darf er die Füßlein in solch verrucht weite Stiefeln stecken? darf er eine knapp anschließende Kurtka mit tausend Schnüren und Troddeln und Quasten, darf er solch ein verwunderliches Samtbarett tragen? darf er solch ein hochmütiges, trotziges Wesen annehmen? darf er sich solche barbarische heisere Laute abzwingen? – Darf er das alles, frage ich, ohne mit Recht als eingefleischter Hasenfuß ausgelacht zu werden? – Aber ich muss hinein, ich muss den Rumor mit anschauen, den es geben wird, wenn der ritterliche Studiosus einzieht auf seinem stolzen Rosse! Mit dir ist doch heute einmal nichts anzufangen! – Gehab’ dich wohl!» – Spornstreichs rannte Fabian durch den Wald nach der Stadt zurück.
Balthasar verließ den offenen Weg und verlor sich in das dichteste Gebüsch, da sank er hin auf einen Moossitz, erfasst, ja überwältigt von den bittersten Gefühlen. Wohl mocht’ es sein, dass er die holde Candida wirklich liebte, aber er hatte diese Liebe wie ein tiefes, zartes Geheimnis in dem Innersten seiner Seele vor allen Menschen, ja vor sich selbst verschlossen. Als nun Fabian so ohne Hehl, so leichtsinnig darüber sprach, war es ihm, als rissen rohe Hände in frechem Übermut die Schleier von dem Heiligenbilde herab, die zu berühren er nicht gewagt, als müsse nun die Heilige auf ihn selbst ewig zürnen. Ja, Fabians Worte schienen ihm eine abscheuliche Verhöhnung seines ganzen Wesens, seiner süßesten Träume.
«Also,» rief er in Übermaß seines Unmuts aus, «also für einen verliebten Gecken hältst du mich, Fabian! – für einen Narren, der in Mosch Terpins Vorlesungen läuft, um wenigstens eine Stunde hindurch mit der schönen Candida unter einem Dache zu sein, der in dem Walde einsam umherstreift, um auf elende Verse zu sinnen an die Geliebte und sie noch erbärmlicher aufzuschreiben, der die Bäume verdirbt, alberne Namenszüge in ihre glatten Rinden einschneidend, der in Gegenwart des Mädchens kein gescheutes Wort zu Markte bringt, sondern nur seufzt und ächzt und weinerliche Gesichter schneidet, als litt’ er an Krämpfen, der verwelkte Blumen, die sie am Busen trug, oder gar den Handschuh, den sie verlor, auf der bloßen Brust trägt – kurz, der tausend kindische Torheiten begeht! – Und darum, Fabian, neckst du mich, und darum lachen mich wohl alle Burschen aus, und darum bin ich samt der innern Welt, die mir aufgegangen, vielleicht ein Gegenstand der Verspottung. – Und die holde – liebliche herrliche Candida.»
Als er diesen Namen aussprach, fuhr es ihm durchs Herz wie ein glühender Dolchstich! – Ach! – eine innere Stimme flüsterte ihm in dem Augenblick sehr vernehmlich zu, dass er ja nur eben Candidas wegen in Mosch Terpins Haus gehe, dass er Verse mache an die Geliebte, dass er ihre Namen einschneide in das Laubholz, dass er in ihrer Gegenwart verstumme, seufze, ächze, dass er verwelkte Blumen, die sie verlor, auf der Brust trage, dass er mithin ja wirklich in alle Torheiten verfalle, wie sie ihm Fabian nur vorrücken könne. – Erst jetzt fühlte er es recht, wie unaussprechlich er die schöne Candida liebe, aber auch zugleich, dass seltsam genug sich die reinste innigste Liebe im äußern Leben etwas geckenhaft gestalte, welches wohl der tiefen Ironie zuzurechnen, die die Natur in alles menschliche Treiben gelegt. Er mochte recht haben, ganz unrecht war es indessen, dass er sich darüber sehr zu ärgern begann. Träume, die ihn sonst umfingen, waren verloren, die Stimmen des Waldes klangen ihm wie Hohn und Spott, er rannte zurück nach Kerepes.
Читать дальше