Mich überliefs kalt. Diese Kaufmannsklarheit der Berechnung betäubte mich. Bisher hatte sie ihre Lippen noch nicht zur Bitte aufgetan – aber alles längst auskalkuliert, mich erst umlauert und dann aufgespürt. Ich spürte, wie das Dämonische ihres Willens in mich eindrang, aber ich wehrte [171]mich mit all meiner Erbitterung. Noch einmal zwang ich mich, sachlich – ja fast ironisch zu sein. „Und diese große Summe würden Sie… würden Sie mir zur Verfügung stellen?“
„Für Ihre Hilfe und sofortige Abreise.“
„Wissen Sie, dass ich dadurch meine Pension verliere?“
„Ich werde sie Ihnen entschädigen [172].“
„Sie sind sehr deutlich… Aber ich will noch mehr Deutlichkeit. Welche Summe haben Sie als Honorar in Aussicht genommen?“
„Zwölftausend Gulden, zahlbar auf Scheck in Amsterdam.“
Ich… zitterte… ich zitterte vor Zorn und… ja auch vor Bewunderung. Alles hatte sie berechnet, die Summe und die Art der Zahlung, durch die ich zur Abreise genötigt war, sie hatte mich gekauft, ohne mich zu kennen. Am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht geschlagen… Aber wie ich zitternd aufstand – auch sie war aufgestanden – und ihr gerade Auge in Auge starrte, da überkam mich plötzlich bei dem Blick auf diesen verschlossenen Mund, der nicht bitten, auf ihre hochmütige Stirn, die sich nicht beugen wollte… eine… eine Art gewalttätiger [173]Gier. Sie musste irgendetwas davon fühlen, denn sie spannte ihre Augenbrauen hoch: der Hass zwischen uns war plötzlich nackt. Ich wusste, sie hasste mich, weil sie mich brauchte, und ich hasste sie, weil… weil sie nicht bitten wollte. Diese eine, diese eine Sekunde Schweigen sprachen wir zum ersten Mal ganz aufrichtig [174]zueinander. Dann biss sich plötzlich wie ein Reptil mir ein Gedanke ein, und ich sagte ihr… ich sagte ihr… Aber warten Sie, so würden Sie es falsch verstehen, was ich tat…ich muss Ihnen erst erklären, wie… wieso dieser wahnsinnige Gedanke in mich kam…“ Wieder klirrte [175]leise im Dunkel das Glas. Und die Stimme wurde erregter.
„Nicht, dass ich mich entschuldigen will… Aber Sie verstehen es sonst nicht… Ich weiß nicht, ob ich je so etwas wie ein guter Mensch gewesen bin, aber… ich glaube, hilfreich war ich immer… In dem dreckigen Leben da drüben war das ja die einzige Freude, irgendeinem Stück Leben den Atem erhalten zu können… so eine Art Herrgottsfreude… Wirklich, es waren meine schönsten Augenblicke. So ein gelber Bursch kam, blauweiß vor Schrecken, einen Schlangenbiss im hochgeschwollenen Fuß, und schon heulte, man solle ihm das Bein nicht abschneiden, und ich kriegte es noch fertig, ihn zu retten. Auch so wie diese es wollte, habe ich geholfen, schon in Europa drüben in der Klinik. Aber da spürte man wenigstens, dass dieser Mensch einen brauchte , da wusste man, dass man jemand vom Tode rettete oder vor der Verzweiflung – und das braucht man eben selbst zum Helfen, dies Gefühl, dass der andere einen braucht. Aber diese Frau – ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schildern kann – sie regte mich auf, reizte [176]mich von dem Augenblick, da sie scheinbar promenierend hereinkam, durch ihren Hochmut [177]zu einem Widerstand, sie reizte alles – wie soll ich sagen – sie reizte alles Versteckte, alles Böse in mir. Dass sie Lady spielte, unnahbar kühl ein Geschäft entrierte, wo es um Tod und Leben ging, das machte mich toll… Und dann… dann… schließlich wird man doch nicht schwanger von den Golfspielen… ich wusste… das heißt, ich musste plötzlich mit einer – und das war jener Gedanke – mit einer entsetzlichen Deutlichkeit mich daran erinnern, dass diese Hochmütige, diese Kalte, die steil die Augenbrauen über ihre stählernen Augen hochzog, als ich sie nur abwehrend… ja fast wegstoßend anblickte, dass sie sich zwei oder drei Monate vorher heiß im Bett mit einem Mann gewälzt hatte, nackt wie ein Tier und vielleicht stöhnend vor Lust, die Körper ineinander verbissen wie zwei Lippen… Das, das war der brennende Gedanke, der mich überfiel, als sie mich so hochmütig, so kühl, ganz wie ein englischer Offizier anblickte… und da, da spannte sich alles in mir… ich war besessen von der Idee, sie zu erniedrigen [178]… von dieser Sekunde sah ich durch das Kleid ihren Körper nackt… von dieser Sekunde an lebte ich nur im Gedanken, sie zu besitzen, ein Stöhnen aus ihren harten Lippen zu pressen, diese Kalte, diese Hochmütige in Wollust zu fühlen so wie jener, jener andere, den ich nicht kannte. Das… das wollte ich Ihnen erklären… Ich habe nie, so verkommen [179]ich war, sonst als Arzt die Situation zu nutzen gesucht… Aber diesmal war es ja nicht Geilheit [180], nichts Sexuelles, wahrhaftig nicht… ich würde es ja eingestehen… nur die Gier, eines Hochmuts Herr zu werden… Herr als Mann… Ich sagte es Ihnen, glaube ich, schon, dass hochmütige, scheinbar kühle Frauen von je über mich Macht hatten… aber jetzt, jetzt kam noch dies dazu, dass ich sieben Jahre hier lebte, ohne eine weiße Frau gehabt zu haben, dass ich Widerstand nicht kannte… Denn diese Mädchen hier, die zittern ja vor Ehrfurcht [181], wenn ein Weißer, ein „Herr“, sie nimmt… aber gerade diese Unterwürfigkeit [182], dieses Sklavische verschweint einem den Genuss… Verstehen Sie jetzt, wie das dann auf mich wirkte, wenn da plötzlich eine Frau kam, voll von Hochmut und Hass, verschlossen bis an die Fingerspitzen, zugleich funkelnd von Geheimnis und beladen mit früherer Leidenschaft… wenn eine solche Frau in den Käfig eines solchen Mannes, einer so vereinsamten, verhungerten, abgesperrten Menschenbestie eintritt… Das… das wollte ich nur sagen, damit Sie das andere verstehen… das, was jetzt kam. Also… voll von irgendeiner bösen Gier, vergiftet von dem Gedanken an sie, nackt, ballte ich mich gleichsam zusammen und täuschte Gleichgültigkeit [183]vor. Ich sagte kühl: „Zwölftausend Gulden?… Nein, dafür werde ich es nicht tun.“
Sie sah mich an, ein wenig blass. Sie spürte wohl schon, dass in diesem Widerstand nicht Geldgier war. Aber doch sagte sie: „Was verlangen Sie also?“
Ich ging auf den kühlen Ton nicht mehr ein. „Spielen wir mit offenen Karten. Ich bin kein Geschäftsmann… ich bin nicht der arme Apotheker aus Romeo und Julia, der für „corrupted gold“ sein Gift verkauft… ich bin vielleicht das Gegenteil eines Geschäftsmannes… auf diesem Wege werden Sie Ihren Wunsch nicht erfüllt sehen.“
„Sie wollen es also nicht tun?“
„Nicht für Geld.“
Es wurde ganz still für eine Sekunde zwischen uns. So still, dass ich sie zum ersten Mal atmen hörte. „Was können Sie denn sonst wünschen?“
Jetzt hielt ich mich nicht mehr.
„Ich wünsche zuerst, dass Sie… dass Sie zu mir nicht wie zu einem Krämer [184]reden, sondern wie zu einem Menschen. Dass Sie, wenn Sie Hilfe brauchen, nicht… nicht gleich mit Ihrem schändlichen Geld kommen… sondern bitten… mich, den Menschen, bitten, Ihnen, dem Menschen, zu helfen… Ich bin nicht nur Arzt, ich habe nicht nur Sprechstunden… ich habe auch andere Stunden… vielleicht sind Sie in eine solche Stunde gekommen…“
Sie schweigt einen Augenblick. Dann krümmt sich ihr Mund ganz leicht, zittert und sagt rasch: „Also wenn ich Sie bitten würde… dann würden Sie es tun?“
„Sie wollen schon wieder ein Geschäft machen – Sie wollen nur bitten, wenn ich erst verspreche. Erst müssen Sie mich bitten – dann werde ich ihnen antworten.“
Sie wirft den Kopf hoch wie ein trotziges Pferd. Zornig sieht sie mich an.
„Nein – ich werde Sie nicht bitten. Lieber zugrunde gehen [185]!“
Da packte mich der Zorn, der rote, sinnlose Zorn.
„Dann werde ich fordern, wenn Sie nicht bitten wollen. Ich glaube, ich muss nicht erst deutlich sein – Sie wissen, was ich von Ihnen begehre. Dann – dann werde ich ihnen helfen.“
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