„Danielle“, sagte sie so langsam und geduldig, wie es ihr möglich war, „Ich weiß deine Empfindungen zu schätzen und ich liebe dich dafür, dass du so besorgt bist. Aber für den Augenblick muss ich mich alleine darum kümmern. Je länger du drängst und dich einmischst, desto schwieriger wird es. Also bitte… für den Moment… kannst du einfach gehen?“
Chloe beobachtete, wie sich etwas in Danielles Gesichtsausdruck veränderte. Es sah nach Enttäuschung aus. Oder vielleicht war es etwas, dass Traurigkeit näherkam. Chloe konnte es nicht genau sagen und ehrlich gesagt war es ihr in diesem Moment egal.
Danielle stellte ihr Bier auf den Couchtisch – nicht einmal ein viertel leer – und sie stand auf. „Ich möchte, dass du mich anrufst, sobald du fertig damit bist, distanziert zu sein.“
„Ich bin nicht distanziert.“
„Ich weiß nicht, was du bist“, sagte Danielle, als sie die Tür öffnete, um zu gehen. „Aber distanziert klang besser als Zicke.“
Bevor Chloe etwas erwidern konnte, verließ Danielle ihre Wohnung und schloss die Tür hinter sich.
Chloe wünschte sich, Danielle hätte die Tür hinter sich zugeschlagen. Zumindest hätte es dann noch das Gefühl gegeben, dass Danielle genau so verrückt wie Chloe war. Aber da war nur das leise Klicken der sich schließenden Tür und nichts weiter.
Chloe saß für den Rest des Nachmittags in der Stille, die folgte und alles, was am nächsten Tag davon übrig blieb, waren noch mehr leere Bierflaschen im Mülleimer.
Am Sonntag befand sich Chloe auf einem Besucherparkplatz vor dem DC Bundesgefängnis. Sie betrachtete das Gebäude für einen Moment, bevor sie aus dem Auto stieg und versuchte, herauszufinden, warum genau sie dort war.
Sie kannte die Antwort, aber es fiel ihr schwer, es sich einzugestehen. Sie war dort, weil sie Moulton vermisste. Dies war eine Wahrheit, die sie nie laut aussprechen würde, ein wunder Punkt, der ihr schwerfiel zu verarbeiten. Aber die Wahrheit war schlicht und ergreifend, dass sie jemanden brauchte, der sie tröstete und seit sie nach DC gezogen war, hatte sie Moulton für diese Person gehalten. Seltsamerweise war das etwas, das sie nicht realisiert hatte, bis er aufgrund seiner Beteiligung an einem Finanzbetrug ins Gefängnis geschickt worden war.
Zuerst hatte sie gedacht, dass sie ihn nur aufgrund der körperlichen Intimitäten vermisste – dem Bedürfnis, von einem Mann gehalten zu werden, wenn sie sich entmutigt und verloren fühlte. Aber nachdem Danielle gestern gegangen war und Chloe sich verzweifelt danach sehnte, mit jemandem darüber zu reden, was in ihr vor sich ging, hatte sie nur an Moulton gedacht.
Mit einem letzten Motivationsschub stieg Chloe aus ihrem Auto und ging durch die Eingangstüren. Sie benutzte ihren Ausweis, um hineinzugelangen, schrieb sich ein und saß dann in einem kleinen Wartebereich, während ein Wachmann hineingeschickt wurde, um Agent Moulton zu holen. Der Wartebereich war im Grunde leer; anscheinend war Sonntag nicht der beliebteste Tag, um problematische Angehörige im Gefängnis zu besuchen.
Weniger als fünf Minuten später erschien Moulton durch die Tür im hinteren Teil des Raumes. Der Raum selbst war wie eine Art kleine Lounge eingerichtet. Chloe saß auf einer Couch, auf die Moulton langsam zukam. Er schaute sie mit einem skeptischen Lächeln auf den Lippen an, so als versuche er, sie zu lesen.
„Ist es in Ordnung für dich, wenn ich hier sitze?“, fragte er unsicher.
„Ja“, sagte sie und rutschte zur Seite, um ihm Platz auf der Couch zu machen.
„Es ist schön, dich zu sehen“, sagte er sofort. „Aber ich muss auch gestehen, dass es sehr unerwartet ist.“
„Wie wirst du hier drin behandelt?“
Er verdrehte seine Augen und seufzte. „Es sind hauptsächlich Typen wie ich. Wirtschaftskriminelles Zeug. Ich mache mir nie wirklich Sorgen, dass ich in der Dusche angesprungen oder auf dem Gefängnishof zusammengeschlagen werde, wenn es das ist, was du meinst. Aber ich möchte gar nicht darüber reden. Wie läuft die Arbeit? Arbeitest du an etwas Interessantem?“
„Nein. Sie haben mich wieder mit Rhodes zusammengetan. Sie und ich haben an diesem Profilerstellungsprojekt gearbeitet. Es ist manchmal ein wenig langweilig, aber es sorgt dafür, dass wir beschäftigt sind.“
„Kommt ihr zwei miteinander aus?“
„Besser als das erste Mal, so viel steht fest.“
Er beugte sich näher und warf ihr erneut einen skeptischen Blick zu.
„Was bringt dich also an diesen Ort, Fine?“
„Ich wollte dich sehen.“
Er lächelte. „Das sorgt dafür, dass ich mich viel besser fühle, als ich es sollte. Aber ich kaufe es dir nicht ab. Nicht ganz zumindest. Was ist los?“
Sie schaute von ihm weg und begann, sich zu schämen. Bevor sie sich ihm wieder zuwandte, war sie endlich in der Lage, so etwas wie eine Antwort hervorzuquieken: „Mein Vater.“
„Dein Vater? Derjenige, der vor ein paar Monaten wieder in deinem Leben aufgetaucht ist? Derjenige, der die letzten zwanzig Jahre hauptsächlich im Gefängnis verbracht hat?“
„Ja, genau der.“
„Ich dachte, du wärest größtenteils glücklich darüber?“
„Das war ich auch. Aber dann kam etwas anderes zum Vorschein. Und dann noch etwas. Es ist einfach nur dieser riesige Haufen Mist, der immer wieder aufgestockt wird. Und diese letzte Sache, die ich herausgefunden habe… ich weiß auch nicht. Ich glaube, ich brauche einfach jemanden, der nicht mit ihm verbunden ist, der mir seine Meinung sagt.“
„Vielleicht jemand, der, bevor er ins Gefängnis geworfen wurde, mal eng mit dir zusammengearbeitet hat?“
„Vielleicht“, sagte sie und warf ihm ein Lächeln zu, das sich ein bisschen zu flirtend anfühlte.
„Nun, diese Geschichte zu hören wäre vermutlich das Spannendste, was ich in den letzten zwei Wochen oder so getan habe. Also schieß los.“
Chloe brauchte ein paar Sekunden, bevor sie den Mut fassen konnte, über ein so persönliches Thema zu sprechen, aber sie wusste, dass es getan werden musste. Und als sie begann, Moulton von Danielles steten Warnungen vor ihrem Vater zu erzählen, so wie auch von den Enthüllungen, die sie in dem Tagebuch gefunden hatte, verstand sie, weshalb sie sich geweigert hatte, mit Danielle darüber zu reden; es öffnete sie für Verwundbarkeit. Und das war kein Zustand, in dem Danielle sie je gesehen hatte.
Wobei sie Moulton alles erzählte, behielt sie einige der privateren Details für sich – besonders wenn es um Erinnerungen ging, die den Tod ihrer Mutter betrafen. Aber über die Dinge zu sprechen, die sie hervorbrachte, war äußerst hilfreich. Sie wusste, dass dies im Grunde nichts weiter als ein Dampfablassen war. Wie dem auch sei, fühlte es sich immer noch so an, als wäre ein Gewicht von ihren Schultern genommen worden.
Es half, dass Moulton sie nie befragte oder auch nur sein Gesicht verzog, um seine wahren Gefühle in dieser Angelegenheit zu zeigen. Er wusste, was sie brauchte; sie brauchte einfach nur jemanden, der zuhörte – jemanden, der ihr vielleicht sogar einen Rat geben konnte.
„Ich nehme an, du hast in Betracht gezogen, dies mit Johnson zu besprechen?“, fragte er, als sie fertig war.
„Das habe ich. Ich habe viel darüber nachgedacht. Aber du weißt genau so gut wie ich, dass nichts getan werden würde, nur weil vor zwei Jahrzehnten ein paar Tagebucheinträge verfasst wurden. Wenn überhaupt würde es ihm nur helfen. Sobald die Polizei oder das FBI ihn befragen würden, wüsste er sofort, dass etwas los ist.“
„Denkst du, dass er weglaufen würde?“, fragte Moulton.
„Ich weiß es nicht. Du musst dir bewusst darüber sein, dass… ich ihn wirklich nicht so gut kenne. Er hat die meiste Zeit meines Lebens im Gefängnis verbracht.“
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