„Mrs. Lynch, wir möchten Sie nicht länger belästigen als absolut notwendig“, sagte Mackenzie. „Wie lange werden Sie in der Stadt bleiben?“
„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht ein oder zwei Tage nach dem Gottesdienst.“ Beim Wort Gottesdienst stockte ihre Stimme ein winziges bisschen.
Ellington überreichte ihr eine seiner Visitenkarten und stand auf. „Wenn Ihnen etwas einfällt oder Sie während der Beerdigung oder dem Gottesdienst etwas Auffälliges hören, geben Sie uns bitte Bescheid.“
„Natürlich. Und vielen Dank, dass Sie sich darum kümmern.“ Mrs. Lynch sah verloren aus, als Mackenzie und Ellington sich verabschiedeten. Natürlich, dachte Mackenzie. Sie ist alleine in einer Stadt, die sie nicht kennt, in die sie gereist ist, um sich um ihre verstorbene Tochter zu kümmern.
Mrs. Lynch brachte sie zur Tür und winkte ihnen zu, während sie zu ihrem Wagen liefen. Zum ersten Mal bemerkte Mackenzie, dass ihre Hormone aufgrund der Schwangerschaft offiziell verrücktspielten. Sie fühlte mit Mrs. Margaret Lynch, wie sie es noch nie zuvorgetan hatte. Die Frau hatte Leben erschaffen, es großgezogen und genährt – und es dann auf brutale Art und Weise verloren. Es musste furchtbar sein. Mackenzie war elend zumute, als sie und Ellington sich in den Verkehr mischten.
Und gleichzeitig spürte Mackenzie eine Entschlossenheit in sich auflodern. Sie hatte schon immer eine Leidenschaft dafür gehabt, die Dinge richtig zu stellen, Mörder und andere Monster zur Rechenschaft zu ziehen. Und es war ihr gleich, ob es die Hormone waren oder nicht, aber sie schwor sich, Christine Lynchs Mörder zu finden. Sie wollte Margaret Lynch unter allem Umständen die Möglichkeit geben, mit dem Geschehenen abzuschließen.
Der erste Name auf der Liste, die Clark Manners ihnen gegeben hatte, war Marcus Early. Als sie versuchten, ihn zu kontaktieren, erreichten sie nur seine Mailbox. Mit der zweiten Person auf der Liste, Bethany Diaggo, konnten sie sofort ein Gespräch vereinbaren.
Sie trafen sich mit Bethany an ihrem Arbeitsplatz, einer Anwaltskanzlei, wo sie, als Teil ihres Studiums an der Queen Nash, ein Praktikum absolvierte. Da der Tag sich dem Ende zuneigte, stempelte sie eine halbe Stunde früher aus und traf sich mit ihnen in einem kleinen Sitzungszimmer im hinteren Bereich des Gebäudes.
„Den uns vorliegenden Informationen zufolge, befanden Sie sich an dem Abend, an dem Christine getötet wurde, in der Wohnung von Clark Manners“, sagte Mackenzie. „Was können Sie uns über diesen Abend erzählen?“
„Es war lediglich ein kleines, lustiges Zusammentreffen. Wir hatten etwas zu trinken – vielleicht ein bisschen zu viel. Wir spielten Karten, sahen ein paar Wiederholungsfolgen von The Office und das wars eigentlich.“
„Es gab also keine Streitereien?“, fragte Mackenzie.
„Nein. Aber ich habe beobachtet, dass Christine sich von Clark genervt fühlte. Wenn er trinkt, neigt er manchmal dazu, etwas zu übertreiben, verstehen Sie? Sie hat nichts gesagt, aber man konnte sehen, dass sie sich ärgerte.“
„Wissen Sie, ob das in der Vergangenheit je zu Problemen zwischen den beiden geführt hat?“
„Soweit ich weiß, nein. Ich denke, dass Christine einfach einen Weg gefunden hat, damit umzugehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie wusste, dass ihre Beziehung nicht für die Ewigkeit war.“
„Bethany, kannten Sie eine Frau namens Jo Haley? Ungefähr in ihrem Alter? Studentin der Queen Nash?“
„Ja“, sagte sie. „Nicht so gut wie Christine, aber wir kamen gut miteinander klar. Es kam selten vor, dass wir tatsächlich zusammen abhingen. Aber wenn wir uns in einer Bar oder so über den Weg liefen, setzten wir uns für gewöhnlich zusammen und plauderten ein bisschen.“
„Ich nehme an, dass Ihnen bekannt ist, dass sie ebenfalls vor einigen Tagen getötet wurde?“, fragte Ellington.
„Ja. Es war tatsächlich sogar Christine, die mir davon erzählt hat. Welch grausame Ironie.“
„Wissen Sie, woher sie davon gewusst hat?“, fragte Mackenzie.
„Keine Ahnung. Ich glaube, sie hatten ein paar Kurse zusammen. Oh, und sie hatten auch denselben Fachstudienberater.“
„Fachstudienberater?“, fragte Ellington. „Ist das ein modisches Wort für Vertrauenslehrer?“
„Mehr oder weniger“, sagte Bethany.
„Und Sie sind sich sicher, dass Jo und Christine denselben Berater hatten?“, fragte Mackenzie.
„Das meinte jedenfalls Christine. Sie erwähnte es, als sie mir erzählte, dass Jo getötet worden war. Sie sagte, es fühle sich etwas zu nah an.“ Bethany hielt inne. Vielleicht verstand sie zum ersten Mal das gruselige, vorausahnende Gewicht des Kommentars.
„Kennen Sie zufällig den Namen des Beraters?“, fragte Mackenzie.
Bethany dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. „Tut mir leid, nein. Sie hat ihn erwähnt, als wir über Jo redeten, aber ich kann mich nicht daran erinnern.“
Kein Problem, dachte Mackenzie. Ein Anruf an der Universität sollte dieses Problem schnell lösen.
„Können Sie uns sonst etwas über Jo oder Christine erzählen?“, fragte Mackenzie weiter. „Welchen Grund könnte jemand haben, beide zu töten?“
„Ich weiß es nicht“, sagte sie. „Es macht keinen Sinn. Christine war so konzentriert und undramatisch. Für sie ging es nur um die Schule und darum, einen frühen Start ins Berufsleben zu finden. Jo kannte ich nicht gut genug, um ein Urteil zu fällen.“
„Trotzdem, danke für Ihre Zeit“, sagte Mackenzie.
Sie verließen das Büro und Bethany machte sich dafür bereit, nach Hause zu gehen. Mackenzie versuchte, sich vorzustellen, wie sich zwei Frauen, die nun beide tot waren, auf den Fluren und im Gedränge der Universität über den Weg gelaufen waren. Vielleicht gingen sie aneinander vorbei, als eine das Büro des Beraters verließ, während die andere auf dem Weg zu ihrem Termin dort war. Die Vorstellung war unheimlich, aber sie wusste nur zu gut, dass diese Dinge in Mordfällen mit mehr als einem Opfer nicht selten vorkamen.
„Die Uni-Büros sind wegen der Ferien noch immer geschlossen“, meinte Ellington, als sie zurück zum Wagen gingen. „Ich bin mir sicher, dass sie morgen wieder öffnen werden.“
„Ja, aber ich nehme an, dass es eine Art Mitarbeiterregister auf der Webseite der Uni gibt. Basierend auf den Büchern in Christines Wohnung und der politischen Broschüre in ihrem Schlafzimmer können wir vermutlich davon ausgehen, dass sie Politikwissenschaften studiert hat. So können wir die Suche eingrenzen.“
Bevor Ellington ihr sagen konnte, dass die Idee gut war, hatte Mackenzie bereits ihr Handy in der Hand. Sie öffnete den Internetbrowser und begann zu scrollen. Sie fand zwar das Register, aber, wie vermutet, keine direkten Durchwahlen oder Privatnummern – lediglich die zu den Beraterbüros. Dennoch konnte sie zwei verschiedene Berater ausfindig machen, die für den politikwissenschaftlichen Bereich zuständig waren. Sie hinterließ beiden eine Nachricht und bat sie, so schnell wie möglich zurück zu rufen.
Sobald sie damit fertig war, scrollte sie weiter, dieses Mal durch ihr Telefonbuch.
„Und jetzt?“, fragte Ellington
„Es gibt nur zwei“, meinte sie. „Da können wir genauso gut einen Hintergrundscheck bei beiden durchführen lassen – vielleicht läuten da ja gleich ein paar Alarmglocken.“
Ellington nickte und lächelte. Ihr schnelles Denken beeindruckte ihn. Er hörte zu, wie sie die Informationsanfragen stellte. Mackenzie konnte spüren, wie sein Blick immer wieder zu ihr wanderte. Ein fürsorglicher und wachsamer Blick.
„Wie fühlst du dich?“, fragte er.
Sie wusste, was er meinte. Er drehte das Gespräch vom Fall weg und fragte nach dem Baby. Sie zuckte mit den Achseln; es machte keinen Sinn, ihn anzulügen. „Die Bücher sagen, dass die Übelkeit bald vorbei sein sollte, aber ich glaube nicht daran. Ich habe sie heute mehrere Male mehr als deutlich zu spüren gekriegt. Und, um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich müde.“
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