“Nein”, entgegnete ihr Null streng. “Absolut nicht —”
“Sie braucht Hilfe. Sie braucht Unterstützung.” Maya war sich nicht sicher, welche Art von Hilfe oder Unterstützung sie ihrer Schwester bieten konnte, doch sie hätte noch Zeit, um sich etwas zu überlegen. “Ist schon in Ordnung. Ich schaffe das.”
“Das ist nicht deine Aufgabe.” Ihr Vater lehnte sich zu ihr herüber und berührte ihre Hand. Sie zuckte fast zusammen, doch dann schlossen sich ihre Finger um seine. “Ich weiß das Angebot zu schätzen, und Sara sicherlich auch. Doch du hast Ziele. Du hast einen Traum. Du arbeitest hart für ihn und du musst ihn verwirklichen.”
Maya blinzelte ein wenig verblüfft. Ihr Vater hatte ihr noch nie zuvor Unterstützung für ihr Ziel, der CIA beizutreten, die jüngste Agentin der Geschichte zu werden, gezeigt. Stattdessen hatte er häufig versucht, es ihr auszureden, doch sie blieb standhaft.
Er lächelte und schien ihre Überraschung zu bemerken. “Verstehe mich nicht falsch. Es gefällt mir immer noch überhaupt nicht. Doch du bist jetzt erwachsen, es ist dein Leben. Deine Entscheidung.”
Sie lächelte zurück. Er hatte sich verändert. Und vielleicht gäbe es tatsächlich noch eine Möglichkeit, wieder das zu werden, was sie einst waren. Doch es müsste immer noch gelöst werden, was mit Sara geschähe.
“Ich glaube”, sagte sie vorsichtig, “dass Sara vielleicht mehr Hilfe braucht, als wir ihr geben können. Ich glaube, sie braucht professionelle Hilfe.”
Ihr Vater nickte, als ob er es schon gewusst hätte – als ob er dasselbe gedacht hätte, aber es von jemand anderem hören musste. Sie drückte sanft und beruhigend seine Hand und die beiden ließen die Stille um sie herrschen. Keiner von ihnen wusste, was als Nächstes geschähe, es war nur wichtig, dass sie Zuhause waren.
Wer auch immer New York,die Stadt die niemals schläft’ nannte, hatte niemals die Altstadt von Havanna besucht, sinnierte Alvaro während er auf den Hafen und den Malecón zuschlenderte. Im Tageslicht war Alt-Havanna ein schönes Stadtviertel, eine reichhaltige Mischung aus Geschichte und Kunst, Gastronomie und Kultur, doch die Straßen waren von Verkehr verstopft und die Luft war voll von dem Baulärm verschiedener Restaurationsprojekte, welche den ältesten Teil Havannas ins einundzwanzigste Jahrhundert bringen sollten.
Doch nachts… nachts zeigte die Stadt ihre wahren Farben. Die Lichter, die Düfte, die Musik, das Lachen: und der Malecón war einfach der angesagteste Ort. Die engen Gassen, welche die Straße 23 umgaben, in der Alvaro lebte, waren zwar schon ziemlich lebendig, doch die meisten kubanischen Kneipen schlossen um Mitternacht. Hier, an der breiten Promenade am Rande des Hafens, blieben die Diskos offen, die Musik wurde noch lauter und die Getränke wurden in vielen der Kneipen und Bars weiter ausgeschenkt.
Der Malecón war ein Straßendamm, der sich acht Kilometer lang an Havannas Küste entlangzog. Er war von Gebäuden gesäumt, die seegrün und korallenpink bemalt waren. Viele der Ortsansässigen vermieden ihn wegen der vielen Touristen, doch das war einer der hauptsächlichen Gründe, warum ihn Alvaro so anziehend fand. Trotz der immer beliebter werdenden, störenden Bars im europäischen Stil, gab es immer noch ein paar Orte, an denen ein lebhafter, süchtig machender Salsa Rhythmus die elektronische Tanzmusik, die aus den benachbarten Gebäuden drang, bekämpfte.
Es gab einen Witz unter Anwohnern, dass Kuba der einzige Ort in der Welt war, an dem man Musiker bezahlen musste, damit sie nicht spielten, und das war sicherlich tagsüber wahr. Es schien, als ob jede Person, die eine Gitarre, eine Trompete oder ein paar Bongos hatten, sich an eine Straßenecke setzte. Es gab an jedem Häuserblock Musik, welche den Lärm der Baumaschinen und das Hupen der Autos begleitete. Doch nachts war alles anders, besonders auf dem Malecón. Die Livemusik wurde weniger, verlor den Kampf gegen die elektronische Musik, die durch Computer gespielt wurde – oder noch schlimmer, gegen die neuesten Pop-Hits der USA.
Doch Alvaro sorgte sich um all das nicht, solange es noch La Piedra gab. Es war eine der wenigen echten kubanischen Kneipen, die es noch an der Uferpromenade gab und ihre Türe standen weit offen. Das galt wortwörtlich, denn sie waren mit Türstoppern ausgerüstet, damit eie die dynamische Salsamusik schon zu Ohren schwebte, bevor man eintrat. Es gab keine Schlange, um in La Piedra einzutreten, ganz im Gegensatz zu den langen Schlangen vor so vielen der europäischen Diskos. Es gab keine Menschenmengen um die Theke, die um die Aufmerksamkeit des Barkeepers buhlten. Die Beleuchtung war nicht gedämpft oder stroboskopisch, sondern es war ziemlich hell, damit man das bunte Dekor richtig genießen konnte. Eine sechsköpfige Band spielte auf einer Bühne, die kaum diesen Namen verdient hatte. Es war nur eine dreißig Zentimeter vom Boden erhöhte Plattform am Ende des Etablissements.
Alvaro passte perfekt in La Piedra hinein. Er trug ein helles Seidenhemd mit einem weiß-gelben Schmetterlingsblumenmuster, die Nationalblume Kubas. Er war groß und hatte dunkle Haut, jung und glattrasiert und ausreichend gutaussehend für die meisten Standards. Hier, in der kleinen Salsadisko auf dem Malecón war er nicht nur ein Sou Chef mit Fett unter den Fingernägeln und kleinen Verbrennungen an den Händen. Er war ein mysteriöser Fremder, ein aufregender Luxus. Eine verlockende Geschichte, die man mit nach Hause nehmen würde oder ein sinnliches Geheimnis, das man für sich behielt.
Er setzte sich an die Bar und legte was er für ein verführerisches Lächeln hielt auf. Luisa arbeitete an dieser Nacht, wie an den meisten. Ihre Routine war zu einer Art Tanz geworden, ein gut eingeübter Austausch von Worten, bei dem es keine Überraschungen mehr gab.
“Alvaro”, sagte sie lustlos und konnte sich kaum ein Grinsen verkneifen. “Na, wenn da nicht unsere örtliche Touristenfalle vor uns steht.”
“Luisa”, schnurrte er, “du bist einfach bezaubernd.” Und das war sie auch. Heute trug sie einen hellen langen Rock, der die Kurven ihrer Hüften akzentuierte und einen hohen Schlitz an einer Seite hatte und ein schulterfreies, weißes, bauchfreies Top, das kurz über ihrem perfekten Bauchnabel mit dem Piercing in Rosenform endete. Ihr dunkles Haar fiel wie sanfte Wellen über die goldenen Ringe in ihren Ohren. Alvaro vermutete, dass die Hälfte der Gäste in La Piedra nur kamen, um sie zu sehen. Zumindest wusste er, dass das auf ihn zutraf.
“Jetzt sei aber vorsichtig. Du willst deine besten Anmachen doch nicht an mir verschwenden”, neckte sie ihn.
“Ich reserviere all meine besten Anmachen nur für dich.” Alvaro lehnte sich mit den Ellenbogen auf die Holztheke. “Geh mit mir aus. Noch besser, ich koche für dich. Essen ist eine Sprache der Liebe, wie du weißt.”
Sie lachte leicht. “Frag mich nächste Woche nochmal.”
“Das mache ich”, versprach er. “Und in der Zwischenzeit einen Mojito, por favor?”
Luisa wandte sich ab, um sein Getränk zuzubereiten und Alvaro erhaschte einen Blick auf den Schmetterling, der auf ihre linke Schulter tätowiert war. Das waren also die Schritte ihres Tanzes, die Schritte ihres persönlichen Salsa. Kompliment, Annäherungsversuch, Ablehnung, Getränk. Gefolgt von Wiederholung.
Alvaro riss seinen Blick von ihr und blickte sich an der Bar um, wiegte sich sanft zu der schnellen und angeregten Musik. Die Gäste waren eine angenehme Mischung aus ansässigen Musikliebhabern und Touristen, die meisten davon amerikanisch, doch hier und da waren auch einige Europäer und gelegentlich eine Gruppe von Asiaten, die alle ein authentisch kubanisches Erlebnis suchten – und mit ein bisschen Glück würde er zu einem Teil des Erlebnisses einer Person.
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