»Nein, wirklich. Sie werden euch aufnehmen. Ihr könnt euch ihnen anschließen. Sie werden euch nicht töten.«
»Warum nicht?«, wollte Neala wissen.
»Sie brauchen euch ... Sie haben zu viel Inzucht.«
»Sie wollen uns, damit wir Babys bekommen?«
»Ja.«
»Was ist mit Johnny. Er kann wohl kaum Babys ...«
»Er kann auch kommen.«
»Bleib bei der Wahrheit«, warnte Johnny.
Sherrie drehte sich ihm zu. »Du weißt, wovon sie redet?«
»Ich weiß, dass sie manchmal Frauen aufnehmen. Junge. Hübsche. Zur Fortpflanzung. Oder eher zur Zucht. Wahrscheinlich wollen sie deshalb nicht, dass die Männer aus Barlow an ihnen rummachen. Aber sie nehmen nie Männer auf.«
»Stimmt das?«, wollte Sherri von Cordelia wissen.
Das Mädchen nickte.
»Du meinst, sie würden Johnny töten?«, fragte Neala.
»Ich denke schon.«
»Du Miststück! Wieso hast du gelogen?«
»Es tut mir leid«, flüsterte Cordelia. Sie hob die linke
Hand und löste einen dreckigen Fetzen davon. »Seht ihr, was sie getan haben?«
Neala erblickte den Stumpf und schaute schnell weg.
»Einer von ihnen hat ihn abgebissen. Um mir eine Lektion zu erteilen. Um mir zu zeigen, was sie mit mir machen, wenn ich es nicht schaffe, euch zu überreden, rauszukommen.«
Sherri lachte kurz und spöttisch. »Klingt ja nach einer tollen Truppe. Zuerst ficken sie uns, dann beißen sie uns die Finger ab.«
»Und sie töten Johnny«, fügte Neala hinzu.
»Danke, aber ich passe«, sagte Sherri.
Cordelia schaute nacheinander alle an. »Wenn ihr nicht mitkommt, werdet ihr alle getötet.«
»Hier können sie nicht an uns ran«, entgegnete Johnny. »Wenn sie es könnten, hätten sie nicht dich geschickt, um uns rauszulocken.«
»Nicht von ihnen. Von ... jemand anderem.« Die Angst in ihren Augen jagte Neala einen eisigen Schauder über den Rücken. »Ich habe ihn letzte Nacht gesehen«, fuhr sie fort. Ihre Stimme senkte sich zu einem heiseren Flüstern. »Er hat Ben getötet. Und seinen Kopf auf einen Pflock gespießt. Er hat all diese Köpfe auf die Kreuze gespießt. Sie nennen ihn den Teufel, und sie kommen euch nicht holen, weil das seine Hütte ist. Und er wird zurückkommen?«
»Wann?«, fragte Johnny.
»Vielleicht schon heute Nacht.«
»Sie versucht schon wieder, uns übers Ohr zu hauen«, sagte Sherri.
»Nein, wirklich. Er ist echt und er ist... grauenhaft!«
»Wir waren vergangene Nacht hier«, warf Johnny ein. »Da ist er nicht gekommen.«
»Er war unterwegs zum Töten. Er hat Ben umgebracht. Mich hätte er fast erwischt, aber ich habe mich versteckt.«
»Wenn er kommt, verstecken wir uns eben auch«, meinte Sherri.
»Ihr seid verrückt. Er wird euch alle töten.« Cordelia stemmte sich auf die Füße. »Ich gehe zurück und sage ihnen, dass ihr nicht kommt.«
»Tu das nicht«, riet Johnny. »Bleib hier. Wir schaffen es alle hier raus.«
»Nein, werdet ihr nicht. Ich habe ... habe ihn gesehen. Ich gehe zurück.«
Mit wackeligen Beinen steuerte sie auf die offene Tür zu.
»Cordelia, nicht.«
»Ihr seid Idioten«, sagte sie und deutete hinaus. »Morgen früh werden eure Köpfe dort draußen sein.«
Ihr Schwert lehnte neben der Tür. Sie griff danach.
»Lass das hier«, forderte Johnny sie auf.
»Na gut«, willigte Cordelia ein.
Dann packte sie die Waffe, wirbelte herum und griff an.
Sie zielte mit der Klinge auf Robbins' Brust. Er saß auf dem Boden. Es hätte einfach sein sollen.
Doch in den wenigen Schritten, die sie machte, um ihn zu erreichen, hechtete Neala auf ihre Beine zu, während Sherri zum Kamin huschte und Robbins sich zurückfallen ließ, Cordelia trat Nealas Arme beiseite und stürzte sich auf Robbins. Sein Bein schwang hoch. Die Klinge traf es. Er schrie vor Schmerz auf und warf sich zur Seite. Der Säbel hatte sich im Hosenbein seiner Jeans verheddert. Er wurde ihr aus der Hand gerissen.
Sherri schlug mit dem Schürhaken nach ihrem Kopf. Cordelia wehrte den Hieb mit dem Unterarm ab. Neala, die ausgestreckt auf dem Boden lag, packte ihr linkes Bein und biss ihr in die Wade. Als sie sich von Neala losriss, schlug Sherri erneut zu. Die schwarze Spitze des Schürhakens schnellte an ihren Augen vorbei, verfehlte sie nur knapp. Sie
drehte sich herum und ergriff die Flucht. An der Tür sauste der Schürhaken von oben herab und schlitzte über ihren Rücken. Cordelia rannte auf das Meer der Kreuze zu, dicht gefolgt von Sherri. Der Schürhaken zischte durch die Luft. Verfehlte sie. Ein Schädel grinste sie an. Sie duckte sich unter dem Querbalken hindurch, ließ sich auf die Knie fallen und kroch weiter.
Cordelia schaute über die Schulter zurück. Sherri war stehen geblieben.
Neala tauchte mit dem Gewehr an der Tür auf. Sie zielte und feuerte. Erde und Zweige stoben neben Cordie vom Boden auf.
Sie taumelte vorwärts, pflügte durch ein Dutzend Kreuze, bevor ein weiterer Schuss die Stille zerriss. Cordelia warf sich zu Boden.
Etwas lag unter ihrem Bauch. Ohne hinzusehen, wusste sie, was es sein musste. Stöhnend rollte sie sich davon herunter. Ihr Rücken stieß gegen einen Pflock.
Sie erstarrte.
Nichts kippte um.
Keuchend lag sie auf der Seite. Sie konnte immer noch die Berührung des Dings fühlen, auf das sie gefallen war. Cordie presste die Augen zu und fasste hinab. Mit dem Handrücken schlug sie es weg.
Dann legte sie sich flach hin und wartete auf den nächsten Schuss.
Es kam keiner.
Schließlich schaute sie zurück. Sherri und Neala waren verschwunden.
Sie stemmte sich auf die Hände und Knie. Vor ihr warteten jenseits des Meers der unzähligen Kreuze die Krulls. Sie schwiegen. Alle schienen sie zu beobachten.
Cordie erinnerte sich an Grars Warnung. Verrätst du uns,
so wird dein Tod schrecklicher sein, als du es dir in Alb- träumen auszumalen vermagst.
Hier können sie mich nicht kriegen, dachte sie.
Sie sackte zurück auf den Boden und bettete das Gesicht auf den Arm, der einen Bluterguss von dem Schürhaken aufwies. Cordie schloss die Augen. Der Boden fühlte sich trotz der kratzigen Zweige und des Unkrauts gut unter ihr an.
Sie würde hierbleiben.
Obwohl der Wind lau wehte, briet die Sonne ihren Rücken förmlich. Schweiß kullerte ihr über die Haut. Manchmal spürte sie das Kitzeln von Insekten. Trotzdem rührte sie sich nicht. Es würde wehtun, sich zu bewegen. Und es würde nichts bringen, denn der Hitze und den Insekten konnte sie nicht entkommen.
Ebenso wenig wie den Schmerzen.
Oder den Krulls.
Nein, so konnte sie den Krulls entkommen.
Nur so.
Nur ...
Dann verschwand die schreckliche Hitze. Sie öffnete die Augen und sah, dass die Dämmerung angebrochen war.
Viele der Krulls waren verschwunden, viele waren geblieben.
Wenn es ganz dunkel wäre, könnte sie vielleicht...
Nein.
Wenn sie wegliefe, würden die Krulls sie finden.
Und ihr unaussprechliche Dinge antun. Verrätst du uns, so wird dein Tod schrecklicher sein, als du es dir in Albträumen auszumalen vermagst.
Sie senkte den Kopf und schloss die Augen.
Das ist ein guter Ort.
Ein guter Ort.
»Nicht, Johnny.«
»Gib mir das Gewehr.«
»Du kannst es nicht schaffen.«
»Ich kann es zumindest versuchen. Ihr beide haltet aus, so lange ihr könnt. Wenn ich nicht mit Hilfe zurückkomme, dann geht ihr zu den Krulls und macht das Beste daraus.«
Sherri reichte ihm das Gewehr.
Johnny benutzte es als Stütze und stemmte sich damit auf die Beine. Er humpelte durch den von Kerzen erhellten Raum. Schweiß strömte ihm über den Rücken. Neala fiel auf, dass er sein verbundenes Bein überhaupt nicht belastete.
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