Im Verhörzimmer klappte Strohman sein Notizbuch zu.
Adam setzte mich an diesem Abend zu Hause ab. Körperlich wie seelisch ausgezehrt trat ich ein und hatte nichts weiter im Sinn, als unter die Dusche zu kriechen und die Müdigkeit mit warmem Wasser aus meinen Knochen zu treiben.
Jodie stand unten an der Treppe, halb im Schatten.
Ihr Gesichtsausdruck ließ mein Blut in den Adern gefrieren.
»Ich glaube …« Sie schaute sich um wie ein blindes Kind, das auf einmal wieder sehen konnte. »Ich glaube, hier ist jemand eingebrochen.«
»Wovon redest du? Hast du geschlafen?«
»Ja, aber irgendein Geräusch hat mich geweckt, dumpfe Laute. Es hörte sich an wie ein Tier, gefangen im Speicher oder hinter einer Mauer. Ich stand auf, um nachzuschauen, was es war. Ich dachte, du seist vielleicht nach Hause gekommen und ich hätte die Haustür nicht gehört. Also rief ich deinen Namen.« Ich sah, wie ein Schauer sie durchlief. »Oh Gott.«
»Was denn? Jodie …«
»Ich rief nach dir, dann hörte ich jemanden durchs Wohnzimmer laufen, und die Haustür zuschlagen.«
»Babe.« Ich ging zu ihr und nahm sie in den Arm. »Du hast geträumt.«
»Nein, ich war wach.«
»Hier ist niemand. Die Haustür war abgesperrt, ich musste sie eben aufschließen.«
»Bist du sicher?«
»Ich schwöre.«
»Jesus …« Ihr Kopf ruhte an meinem Schlüsselbein. Sie lachte nervös. »Oh, Jesus.«
Am Morgen tauchte Adam auf und brachte mir ein Dokument, das ich unterschreiben sollte. Es sah sehr offiziell aus, mit dem Titel »Durchsuchungserlaubnis« ganz oben. Dazu bemerkte er: »Strohman braucht dein Einverständnis, damit wir, sobald der Boden ein bisschen auftaut, deinen Garten umpflügen können.«
»Er glaubt, Elijah liegt verscharrt unterm Rasen?«
»Er glaubt, wenn David Dentman seine Schwester so leicht zum Lügen bringt, ist nicht gesagt, dass irgendetwas von gestern Nacht die Wahrheit war.«
»Im Ernst?«
Er reichte mir die Blätter und einen Füller. Es war sein voller Ernst.
»Sie stehen beide unter Anklage.«
»Weil sie die Cops belogen haben?«
»Wegen Mordes«, sagte Adam. »David sitzt nach wie vor in der Zelle. Ihm blüht eine Strafe wegen Beihilfe. Veronica wird heute Nachmittag in eine Klinik in Cumberland eingewiesen. Sie war praktisch die ganze Nacht katatonisch.«
»Mein Gott.«
»Was ist los? Du siehst gar nicht gut aus.«
Ehrlich gesagt fühlte ich mich auch nicht gut. »Das fühlt sich falsch an.«
Adam nahm mir die unterschriebene Verfügung ab und faltete sie in der Mitte, um sie in die Gesäßtasche seiner Khakihose zu stecken. »Das Gesetz fällt hier strenger aus, als du dachtest, hm?« Er ging zur Tür.
»Hey, glaubst du wirklich, dass ihr die Leiche im Garten finden werdet?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll«, bekannte er und brach auf.
Ich rief Earl an und erzählte ihm alles, was ich wusste. Er sollte die Story vor allen anderen an die Öffentlichkeit bringen.
»Was tun Sie jetzt?«, fragte er, nachdem ich ihm alles zugesteckt hatte.
»Nichts«, sagte ich ihm. »Ich habe meinen Teil geleistet.«
Der Februar wurde kalt, wütete und erschütterte uns bis ins Mark. Noch einmal schien die ganze Welt einzufrieren. Doch Anfang März war der Schnee weitgehend geschmolzen und graue Streifen, die aussahen wie aus Asche, erhoben sich auf unserem Rasen. Der böige Wind schwächte ab und wurde wärmer. Wir feierten Jacobs elften Geburtstag und er verblüffte uns mit Kartentricks. Jodie schrieb ihre Dissertation zu Ende und konnte es kaum erwarten, im Mai zur Doktorin zu promovieren. Die Vollzeitstelle als Dozentin hatte sie bereits mündlich angenommen, und obwohl sie erst im kommenden Herbst antreten sollte, ging sie mit Beth einen Nachmittag lang shoppen, für eine komplett neue Garderobe.
Waterview stieg im Verkaufsrang weiterhin an. Und nun, da das Drama um die Dentmans fast einen Monat zurücklag, verspürte ich allmählich wieder den Drang, zu schreiben. Das war gut; ich fühlte mich wie ein Vater, der ungeduldig darauf wartete, dass sein Kind unbeschadet aus dem Sommerlager zurückkehrte.
Jodie überließ mir unser Büro im Obergeschoss. Ich verstaute meinen Schreibkram darin, Stapel neuer Blöcke, meinen Textcomputer und meine Glücksporzellantasse. Morgens arbeitete ich schon, bevor Jodie aufstand, und kippte einen starken Sumatra-Kaffee nach dem anderen in mich hinein. Manchmal, wenn ich mir sicher war, dass sie tief und fest schlief, öffnete ich das Einzelfenster und rauchte, mit dem Kopf weit draußen in der frischen Morgenluft.
Nachdem ich die Story über die Dentmans und die Treppe im See verworfen hatte, widmete ich mich erneut dem unvollendeten Manuskript, das Holly Dreher bereits auszugsweise zugekommen war. Es entspann sich zügig, wirkte unverkrampft und offen. Letzteres ist bei allem, was man verfasst, wichtig.
(Einmal, im Rahmen einer Literaturtagung in Seattle unterhielt ich mich mit einem Bestseller-Autor bei ein paar Drinks. Wie Teenager, die sich ihrer sexuellen Neigungen unsicher sind, vollzogen seine Romane die oft fatale und schwimmende Gratwanderung zwischen verschiedenen Genres. Außerdem trank er teuren Scotch und hörte auf seinem Hotelzimmer Jazzplatten, weil er meinte, dadurch besser schreiben zu können. Wir müssen uns an dem Abend stundenlang an der Hotelbar unterhalten haben, aber das Einzige, was ich mitnahm, war sein Kommentar, dass alle guten Bücher ehrlich und offen geschrieben seien, und den Rest könne man stecken lassen. Die halbe Aussage schrieb ich mir hinters Ohr. Bis heute bin ich gut damit gefahren. Alle guten Bücher sind ehrliche Bücher.)
So schrieb ich, und zwar wortgewaltig und eben aufrichtig.
Eines Nachmittags hörte ich das Pochen. Es war das gleiche Geräusch, das Jodie in der Nacht aufgefallen war, als ich vom Department zurückkehrte – da war ich mir sicher. Als ich es zum ersten Mal vernahm, war ich allein im Haus und stand in Unterwäsche in der Küche, um Kaffee zu kochen. Es schien von oben zu kommen, verstummte aber, als ich die Treppe hinaufgegangen war.
Beim nächsten Mal lag ich nachts im Bett, und Jodie schlief in seliger Unschuld neben mir. Da kam es vom Flur, und einen irrigen Moment lang glaubte ich, ein Dutzend winziger Elfen tänzelte über die Tastatur meines Computers, um den Roman für mich zu vollenden. Ich stand aus dem Bett auf und ging über den Flur ins Büro, wo ich das Licht anknipste. Da war das Geräusch wieder versiegt. Ich stand mit angehaltenem Atem da und horchte sehr lange, doch es kehrte nicht wieder.
Beim dritten und letzten Mal war es helllichter Tag. Ein riesiger, gelber Bulldozer rollte über unseren Hinterhof und grub unsere Wiese um. Beamte beobachteten das Geschehen und selbst Strohman ließ sich kurz blicken. Ich streifte rasch ein paar Klamotten über und traf draußen auf ihn. Wir rauchten schweigend ein paar Zigaretten. Die Abgase des Baufahrzeugs waren abstoßend.
Zurück im Haus bereitete ich das Mittagessen vor. Jodie saß mit Beth und den Kids im Kino. Trotz des Lärms hinterm Haus traute ich mir zu, den Entwurf meines neuen Werkes noch an diesem Tag zu beenden. Die Vorstellung stimmte mich glücklich. Alleine aß ich auf der Vorderterrasse zu Mittag, bis die Abgaswolken des Bulldozers irgendwann übers Dach stiegen und um mich herum niedersanken wie während eines nuklearen Winters.
Ich duschte, rasierte mich und zog frische Sachen an. Im Büro setzte ich mich, fuhr den Rechner hoch, roch seine elektronischen Innereien und ließ meine Finger über die leicht summende Tastatur gleiten.
Dann begann das Pochen wieder. Es kam direkt von der Wand hinterm Schreibtisch.
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