»Owen ... Bürschchen-«
»Hören Sie mir zu, Kurtz. Ich weiß nicht, ob in Ihrem Kopf noch eine gesunde Hirnzelle übrig ist, aber wenn ja, dann hoffe ich, dass sie jetzt gut aufpasst. Ich bin mit einem Mann namens Henry Devlin unterwegs. Uns voraus - wahrscheinlich gut hundert Meilen uns voraus - fährt ein Freund von ihm, der Gary Jones heißt. Aber der ist nicht mehr er selber. Er ist von einer außerirdischen Intelligenz übernommen worden, die er Mr. Gray nennt.«
Gary ... Gray, dachte Kurtz. An ihren Anagrammen sollt ihr sie erkennen.
»Was in Jefferson Tract passiert ist, spielt keine Rolle mehr«, sagte die Stimme aus den Lautsprechern. »Der Massenmord, den Sie geplant haben, ist überflüssig, Kurtz. Ob
Sie sie nun umbringen oder von alleine sterben lassen: Sie stellen keine Bedrohung dar.«
»Hören Sie?«, fragte Perlmutter mit hysterischer Stimme. »Keine Bedrohung! Keine -«
»Schnauze!«, sagte Freddy und verpasste ihm einen Rückhandschlag. Kurtz bekam das kaum mit. Er saß jetzt kerzengerade und mit funkelndem Blick auf der Rückbank. Überflüssig? Erzählte ihm Owen Underhill, dass der wichtigste Einsatz seines Lebens überflüssig gewesen war?
»- Umweltbedingungen, verstehen Sie? Sie sind in diesem Ökosystem nicht lebensfähig. Bis auf Gray. Denn ihm ist es gelungen, einen Wirt zu finden, der grundlegend anders ist. Das ist es also. Wenn Ihnen je irgendwas etwas bedeutet hat, Kurtz - wenn Ihnen überhaupt irgendwas etwas bedeuten kann -, dann hören Sie auf, uns zu jagen, und lassen Sie zu, dass wir uns um die Sache kümmern. Wir kümmern uns um Mr. Jones und Mr. Gray. Uns können Sie vielleicht kriegen, die beiden aber höchstwahrscheinlich nicht. Sie sind schon zu weit südlich. Und wir glauben, dass Gray einen Plan verfolgt. Und zwar diesmal einen Plan, der funktioniert.«
»Owen, Sie sind einfach überreizt«, sagte Kurtz. »Halten Sie an. Wir werden gemeinsam tun, was getan werden muss. Wir -«
»Wenn Ihnen das etwas bedeutet, dann geben Sie auf«, sagte Owen. Seine Stimme klang ausdruckslos. »Das war's. Ende der Durchsage. Over and out.«
»Tun Sie das nicht, Bursche!«, rief Kurtz. »Tun Sie das nicht, ich verbiete es Ihnen!«
Es erscholl ein sehr lautes Klicken, und dann drang nur noch Rauschen aus den Lautsprechern. »Er ist weg«, sagte Perlmutter. »Hat das Mikro rausgezogen. Oder das Funkgerät abgeschaltet. Er ist weg.«
»Aber Sie haben ihn ja gehört, nicht wahr?«, sagte Cambry. »Die ganze Sache hat keinen Sinn. Blasen Sie's ab.«
Eine Ader pochte mitten auf Kurtz 1Stirn. »Als ob ich ihm auch nur ein Wort glauben würde, nach allem, woran er beteiligt war.«
»Aber er sagt die Wahrheit!«, schrie Cambry. Jetzt drehte er sich zum ersten Mal ganz zu Kurtz um, mit weit aufgerissenen Augen, deren Winkel mit Ripley oder Byrus, oder wie auch immer man es nennen wollte, verklebt waren. Sein Speichel sprühte auf Kurtz' Wangen, seine Stirn, die Oberfläche seiner Atemmaske. »Ich habe seine Gedanken gehört! Und Pearly auch! ER SAGT DIE ABSOLUTE WAHRHEIT! ER -«
Mit gespenstischer Schnelligkeit zog Kurtz die Pistole aus seinem Gürtelholster und feuerte. Der Knall war im Humvee ohrenbetäubend. Freddy schrie erschrocken auf und verriss wieder das Lenkrad, was den Humvee schräg durch den Schnee schlittern ließ. Perlmutter kreischte und drehte sein entsetztes, rot geflecktes Gesicht zur Rückbank um. Für Cambry war es eine Gnade: Sein Hirn war so schnell aus seinem Hinterkopf geplatzt und durch die splitternde Fensterscheibe hinaus in den Sturm geflogen, wie er sonst gebraucht hätte, abwehrend eine Hand zu heben.
Damit hast du nicht gerechnet, Bursche, was?, dachte Kurtz. Dabei hat dir die Telepathie keinen Deut geholfen, was?
»Nein«, sagte Pearly schwermütig. »Gegen jemanden, der nicht weiß, was er im nächsten Moment tun wird, kann man nicht viel ausrichten. Gegen einen Verrückten kann man nichts tun.«
Der Wagen fuhr wieder gerade. Freddy war ein hervorragender Autofahrer, auch wenn er sich gerade zu Tode erschreckt hatte.
Kurtz richtete die Waffe auf Perlmutter. »Nennen Sie mich noch einmal verrückt. Das will ich jetzt hören.«
»Verrückt«, sagte Pearly. Er lächelte und zeigte dabei ein Gebiss, das nun mehrere Lücken aufwies. »Verrückt-ver-rückt-verrückt. Aber Sie werden mich nicht erschießen. Sie haben Ihren Reservemann erschossen, und mehr können Sie sich nicht erlauben.« Pearly wurde richtig laut. Cambrys Leichnam rutschte jetzt an die Tür, und das Haar um seinen entstellten Kopf wehte im kalten Wind, der zum Fenster hereinkam.
»Still, Pearly«, sagte Kurtz. Es ging ihm jetzt besser, und er hatte sich wieder im Griff. Wenigstens das war Cambry wert gewesen. »Halten Sie Ihr Klemmbrett fest, und halten Sie den Mund. Freddy?«
»Ja, Boss.«
»Sind Sie noch auf meiner Seite?«
»Aber natürlich, Boss.«
»Owen Underhill ist ein Verräter, Freddy. Darauf möchte ich ein lautes >Gelobt sei der Herr< von Ihnen hören.«
»Gelobt sei der Herr.« Freddy saß kerzengerade am Steuer und starrte hinaus in den Schnee und die Lichtkegel der Scheinwerfer.
»Owen Underhill hat sein Land und seine Kameraden verraten. Er -«
»Er hat Sie verraten«, sagte Perlmutter fast flüsternd.
»Das stimmt, Pearly, und Sie wollen doch Ihre Bedeutung nicht überbewerten, mein Junge, das wollen Sie doch nicht, denn bei einem Verrückten weiß man ja nie, was er als Nächstes macht, wie Sie selbst gesagt haben.«
Kurtz betrachtete Freddys Stiernacken.
»Wir werden Owen Underhill zur Strecke bringen - ihn und diesen Devlin auch, wenn Devlin dann noch bei ihm ist. Verstanden?«
»Verstanden, Boss.«
»Und inzwischen können wir ja schon mal ein bisschen Ballast abwerfen, was?« Kurtz holte aus seiner Tasche den Handschellenschlüssel hervor. Er griff hinter Cambry hindurch, tastete in der sich abkühlenden Schmiere herum, die sich nicht durch das Fenster verflüchtigt hatte, und fand schließlich den Türgriff. Er schloss die Handschellen auf, und gut fünf Sekunden später wurde Mr. Cambry, gelobt sei der Herr, ein Glied der Nahrungskette.
Freddy hatte sich währenddessen eine Hand in den Schritt gelegt, der höllisch juckte. Wie auch seine Achselhöhlen und -
Er wendete den Kopf leicht und sah, dass Perlmutter ihn anstarrte - große, dunkle Augen in einem blassen, rot übertupften Gesicht.
»Was gucken Sie denn so?«, fragte Freddy.
Perlmutter wandte sich ab, ohne noch etwas zu sagen. Er schaute hinaus in die Nacht.
Mr. Gray genoss es, sich menschlichen Gefühlen hinzugeben, und Mr. Gray genoss das Essen der Menschen, aber Mr. Gray genoss es ganz bestimmt nicht, Jonesys Stuhlgang zu verrichten. Er weigerte sich anzusehen, was er da produziert hatte, zog einfach nur die Hose hoch und knöpfte sie mit leicht zitternden Händen zu.
Mann, willst du dir denn nicht den Hintern abwischen?, fragte Jonesy. Und spül wenigstens!
Aber Mr. Gray wollte nur noch raus aus der Kabine. Er nahm sich noch die Zeit, sich an einem der Waschbecken die Hände feucht zu machen, und wandte sich dann zum Ausgang.
Jonesy war nicht unbedingt überrascht, als er den Polizisten zur Tür hereinkommen sah.
»Sie haben vergessen, Ihren Reißverschluss zuzumachen, mein Freund«, sagte der Polizist.
»Oh. Stimmt. Danke, Officer.«
»Sie kommen aus dem Norden, nicht wahr? Geschehen ja große Dinge da oben, heißt es im Radio. Wenn man es denn empfangen kann. Vielleicht sogar Außerirdische.«
»Ich komme nur aus Derry«, sagte Mr. Gray. »Ich weiß nichts davon.«
»Darf ich fragen, weshalb Sie in einer solchen Nacht unterwegs sind?«
Sag ihm, du hast einen kranken Freund besucht, dachte
Jonesy und verspürte eine gewisse Verzweiflung. Er wollte das nicht sehen und schon gar nicht in irgendeiner Form daran beteiligt sein.
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