Mürrisch und durchnässt saßen sie da und schimpften, während Oin und Gloin immer noch versuchten, ein Feuer in Gang zu bringen, und sich zankten, wer schuld war, dass es nicht gelang. Bilbo sann traurig darüber nach, warum Abenteuer nicht nur Ponyritte in der Maisonne waren, als Balin, der immer den Ausguckposten versah, plötzlich sagte: »Da ist ein Licht, da drüben!« Und in der Tat, auf einem Hügel, nicht weit von ihnen, der stellenweise dicht bewaldet war, sahen sie aus der dunklen Masse der Bäume ein Licht hervorschimmern, ein rötliches, anheimelndes Licht wie von einem Lagerfeuer oder vom Flackern einer Fackel.
Nachdem sie eine Weile hingeschaut hatten, fingen sie an zu streiten. Manche wollten und manche wollten nicht hingehen. Manche sagten, man könne doch wenigstens mal gucken, und alles sei schließlich besser als wenig Abendbrot, kein Frühstück und die ganze Nacht in den nassen Kleidern.
Andere sagten: »Diese Gegend ist nicht hinreichend bekannt und liegt zu nah am Gebirge. Reisende nehmen diesen Weg heute nur selten. Die alten Landkarten nützen nichts mehr, denn die Lage hat sich verschlechtert, und die Straße wird nicht bewacht. Vom König hat man hier kaum je etwas gehört, und je weniger neugierig man ist, desto eher kommt man ungeschoren durch.« Manche sagten: »Aber schließlich sind wir doch vierzehn.« Andere sagten: »Wo ist Gandalf geblieben?« Diese Bemerkung wurde von allen wiederholt. Dann wurde der Regen heftiger denn je, und Oin und Gloin fingen wieder an, sich zu zanken.
Das gab den Ausschlag. »Wozu haben wir einen Meisterdieb bei uns?«, sagten sie und gingen los in Richtung auf das Licht, die Ponys (mit gebührender Vorsicht) am Zügel führend. Bald waren sie am Fuß des Hügels und im Wald. Sie stiegen bergauf; ein richtiger Weg, der zu einem Haus oder Gehöft hätte führen können, war nicht zu sehen; und so gab es unvermeidlich einiges Geraschel, Geknirsch und Geknacke (um vom Gemurr und Geschimpf gar nicht zu reden), als sie in der Stockfinsternis zwischen den Bäumen hindurchtappten.
Plötzlich leuchtete das rote Licht ganz hell und gar nicht weit voraus hinter ein paar Baumstämmen auf.
»Jetzt bekommt unser Meisterdieb Arbeit«, sagten sie. Sie meinten Bilbo. »Du musst weitergehn und herausfinden, was das für ein Licht ist, wozu es brennt und ob dort alles mit rechten Dingen zugeht«, sagte Thorin zu dem Hobbit. »Los jetzt, und komm schnell zurück, wenn alles in Ordnung ist! Wenn nicht, komm auch zurück, wenn du kannst! Wenn du nicht kannst, mach zweimal schuhuuh wie eine Schleiereule und einmal wie eine Schnee-Eule, und wir tun für dich, was wir können.«
Und Bilbo musste los, ehe er erklären konnte, dass er auch ein einziges Schuhuuh irgendwelcher Eulenarten ebenso wenig nachahmen konnte wie den Flug einer Fledermaus. Aber immerhin können Hobbits sich nachts im Wald absolut geräuschlos bewegen. Sie sind sehr stolz darauf, und Bilbo hatte mehr als einmal über den »Zwergenradau« die Nase gerümpft, mit dem sie den Hügel hinaufgestiefelt waren, obwohl du und ich sicherlich in einer so windigen Nacht nichts davon bemerkt hätten, auch nicht, wenn der ganze Tross in zwei Fuß Entfernung an uns vorbeigestapft wäre. Und so wie Bilbo sich nun an das rote Licht heranschlich, hätte wohl selbst ein Wiesel seinetwegen kein Schnurrbarthaar geregt. Darum gelangte er ganz selbstverständlich bis dicht an das Feuer – denn ein Feuer war es –, ohne irgendwen aufzustören. Und was sah er dort?
Drei sehr große Kerle saßen um ein Feuer aus Buchenkloben. Sie brieten Hammelfleisch an langen Holzspießen und leckten sich das Fett von den Fingern. Es roch sehr würzig. Ein Fass gutes Bier stand in der Nähe, und die drei hatten jeder einen Krug vor sich. Aber es waren Trolle. Unzweifelhaft Trolle. Sogar Bilbo, der doch aus einem behüteten Leben in gesitteten Gegenden kam, konnte es an ihren schweren, breiten Gesichtern erkennen, an ihrer Größe und der Form ihrer Beine, um von ihrer Sprache, die alles andere als stubenrein war, gar nicht zu reden.
»Gestern Hammel, heute Hammel, und ich will mich dreimal verschlucken, wenn’s morgen nicht wieder Hammel gibt!«, sagte einer von den dreien.
»Verhext und verhagelt, lange schon keinen Fetzen Mensch mehr zwischen die Zähne gekriegt«, sagte ein anderer. »Was zur Hölle hat sich William bloß dabei gedacht, uns in diese beknackte Gegend zu bringen? Ich kapier’s nicht! Und das Bier ist auch bald alle – obendrein!« Dabei stieß er William, der gerade einen Schluck nahm, am Ellbogen an.
William verschluckte sich. »Schnauze, Tom!«, sagte er. »Sollen die Leute vielleicht in Scharen hier angepilgert kommen, damit du und Bert sie fressen könnt? Zusammen habt ihr jetzt schon anderthalb Dörfer verspeist, seit wir von den Bergen runtergekommen sind. Was verlangt ihr denn noch? Und ihr habt auch schon Zeiten erlebt, da hättet ihr für so ein schönes fettes Stück Hammel wie das hier wenigstens ›danke schön, Bill‹ gesagt.« Er biss einen großen Brocken von der Keule ab, die er gerade briet, und wischte sich den Mund mit dem Ärmel.
Ja, es tut mir leid, aber so benehmen sich Trolle nun mal, sogar diejenigen, die jeder nur einen Kopf haben. Nachdem Bilbo dies mit angehört hatte, hätte er sofort etwas unternehmen müssen. Entweder hätte er zurückschleichen und seine Freunde warnen sollen, dass sie es hier mit drei ausgewachsenen und schlecht gelaunten Trollen zu tun hatten, die wahrscheinlich nicht ungern zur Abwechslung mal Zwergen- oder auch Ponybraten probieren würden; oder er hätte kurz und schnell unter Beweis stellen sollen, dass er den Titel eines Meisterdiebs zu Recht trug. Ein wirklich erstklassiger und sagenhafter Experte hätte unter diesen Umständen den Trollen die Taschen geleert – es lohnt sich fast immer, aber man muss ein Händchen dafür haben; er hätte ihnen den Hammel von den Spießen und das Bier aus dem Fass verschwinden lassen und wäre unbemerkt davongekommen. Ein anderer Dieb, einer mit mehr praktischem Sinn und weniger professionellem Ehrgefühl, hätte den dreien vielleicht, ehe sie wussten, wie ihnen geschah, erst mal je einen Dolchstoß verpasst und sich dann einen lustigen Abend gemacht.
Bilbo wusste das alles. Er hatte über vieles in Büchern gelesen, das er nie gesehen oder getan hatte. Er war ebenso erschrocken wie angewidert; er wünschte sich hundert Meilen weit fort, und doch – und doch konnte er ja nicht einfach mit leeren Händen zu Thorin & Co. zurückkehren. Also blieb er im Dunkeln stehen und überlegte. Unter den mancherlei Methoden des Diebesberufs, von denen er gehört hatte, erschien ihm der Hosentascheneingriff als die am wenigsten schwierige. Darum kroch er schließlich hinter einen Baum, der dicht hinter William stand.
Bert und Tom gingen zum Bierfass, William setzte wieder seinen Krug an. Da nahm Bilbo seinen Mut zusammen und steckte seine kleine Hand in Williams geräumige Hosentasche. Eine Geldbörse war darin, für Bilbo so groß wie ein Sack. »Ha!«, dachte er, als er sie sachte herauslupfte, und war erstmals bereit, sich für seinen neuen Beruf zu erwärmen. »Das fängt ja gut an!«
Aber es war nur der Anfang. Trollbörsen sind tückisch, und diese war keine Ausnahme. »He, wer bist du?«, quiekte sie, als sie aus der Tasche herauskam, und William fuhr herum und packte Bilbo beim Kragen, ehe der hinter dem Baum verschwinden konnte.
»Rotz und Reiher, Bert, guck mal, was ich hier geschnappt hab!«, sagte William.
»Was ist denn das?«, fragten die beiden andern und traten näher.
»Wie soll ich das wissen? He, was bist du für einer?«
»Bilbo Beutlin, ein Taschen… ein Hobbit«, sagte der arme Bilbo am ganzen Leibe zitternd. Verzweifelt überlegte er, wie er jetzt noch Eulenrufe zustande bringen sollte, bevor die Kerle ihn erwürgten.
»Ein Taschenhobbit?«, sagten die drei, etwas ratlos. Trolle sind schwer von Begriff und äußerst misstrauisch gegen alles, was ihnen neu ist.
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