»Da habt Ihr recht«, sagte Ituralde schlicht.
Wakeda sah die anderen an, dann wieder Ituralde. Die ehrliche Antwort hatte ihm etwas Wind aus den Segeln genommen. »Nun ... warum fliehen wir dann nicht?« Er plusterte sich viel seltener auf als noch vor Monaten, als Ituralde mit seinem Feldzug angefangen hatte.
»Von mir bekommt Ihr weder Zucker noch Lügen«, sagte Ituralde und fixierte sie einen nach dem anderen. »Wir sind in einer schlimmen Lage. Aber würden wir flüchten, wären wir in einer noch schlechteren Lage. Es gibt keine Löcher mehr, in denen wir uns verkriechen könnten. Diese Bäume werden ein Vorteil für uns sein, und wir können uns eingraben. Das Stedding wird die Damane ihrer Kräfte berauben, und das allein ist es schon wert hierzubleiben. Wir kämpfen hier.«
Ankaer nickte; er schien den Ernst der Situation zu verstehen. »Wir müssen ihm vertrauen, Wakeda. Bis jetzt hat er uns gut geführt.«
Wakeda nickte. »Das schon, glaube ich.«
Verdammte Narren. Vor vier Monaten hätte ihn die Hälfte auf der Stelle umgebracht, weil er dem König treu geblieben war. Jetzt glaubten sie, er könne das Unmögliche vollbringen. Eigentlich schade; er hatte schon angefangen zu glauben, er könnte sie wieder auf Alsalams Seite bringen. »Also gut«, sagte er und zeigte auf verschiedene Stellen ihrer Befestigung. »Wir werden Folgendes tun, um die schwächeren Punkte zu stärken. Ich will ...«
Er verstummte, als er eine Gruppe über die Lichtung auf sich zukommen sah. Von einer Abteilung Soldaten begleitet, eskortierte der Botenjunge einen Mann in Rot und Gold.
Etwas an dem Neuankömmling zog Ituraldes Blick an. Vielleicht war es die Größe; der junge Mann war so groß wie ein Aiel, und das helle Haar ähnelte ihnen auch. Aber kein Aiel hätte einen so kostbaren roten Mantel mit goldenen Stickereien getragen. Ein Schwert hing an seiner Seite, und etwas an der Art, wie der Fremde ging, verriet Ituralde, dass er auch damit umzugehen verstand. Er bewegte sich mit energischen, entschlossenen Schritten, als betrachtete er die Soldaten um ihn herum als Ehrenwache. Also ein Lord, und zwar einer, der zu befehlen gewohnt war. Warum war er persönlich gekommen, statt einen Boten zu schicken?
Der junge Lord blieb ein kurzes Stück vor Ituralde und seinen Generälen stehen, musterte sie nacheinander, und konzentrierte sich dann auf Ituralde. »Rodel Ituralde?«, fragte er. Was für ein Akzent war das? Andoranisch?
»Ja«, sagte Ituralde vorsichtig.
Der junge Mann nickte. »Basheres Beschreibung war akkurat. Anscheinend lasst Ihr Euch hier einsperren. Erwartet Ihr allen Ernstes, gegen die seanchanische Armee bestehen zu können? Sie ist Euch zahlenmäßig mehrfach überlegen, und Eure tarabonischen Verbündeten scheinen es nicht ... eilig zu haben, Euch bei Eurer Verteidigung zu helfen.«
Wer auch immer er war, er verfügte über Intelligenz. »Ich bin es nicht gewohnt, meine Verteidigung mit Fremden zu diskutieren.« Ituralde musterte den jungen Lord. Er war durchtrainiert - schlank und hart, auch wenn das mit dem Mantel nur schwer zu sehen war. Er favorisierte seine rechte Hand, und bei näherem Hinsehen bemerkte Ituralde, dass die linke Hand fehlte. Beide Unterarme wiesen eine seltsame rote und goldene Tätowierung auf.
Diese Augen. Das waren die Augen von jemandem, der schon zahllose Male den Tod gesehen hatte. Nicht nur ein junger Lord. Ein junger General. Ituralde kniff die Augen zusammen. »Wer seid Ihr?«
Der Fremde erwiderte seinen Blick. »Ich bin Rand al'Thor, der Wiedergeborene Drache. Und ich brauche Euch. Euch und Eure Armee.«
Mehrere der Männer um Ituralde fluchten, und Ituralde sah sie an. Wakeda staunte fassungslos, Rajabi war überrascht, der junge Lidrin offen ungläubig.
Ituralde richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Neuankömmling. Der Wiedergeborene Drache? Dieser junge Bursche? Vermutlich war das durchaus möglich. Die meisten Gerüchte stimmten darin überein, dass der Wiedergeborene Drache ein junger Mann mit rotem Haar war. Andererseits behaupteten die Gerüchte auch, dass er zehn Fuß groß war und seine Augen im Zwielicht leuchteten. Und dann waren da diese Geschichten über ihn, wie er am Himmel über Falme erschienen war. Blut und Asche, Ituralde vermochte nicht einmal zu sagen, ob er überhaupt daran glaubte, dass der Drache wiedergeboren worden war!
»Ich habe keine Zeit, hier herumzudebattieren«, sagte der Fremde mit regloser Miene. Er erschien ... älter, als er aussah. Es schien ihn nicht zu stören, dass er von bewaffneten Soldaten umgeben war. Tatsächlich hätte dieser einsame Auftritt wie ... eine närrische Tat erscheinen müssen. Stattdessen machte er Ituralde nachdenklich. Nur jemand wie der Wiedergeborene Drache konnte auf diese Weise in ein Kriegslager gehen, völlig allein und auf sich gestellt, und erwarten, dass man ihm gehorchte.
Und sollte man ihn doch zu Asche verbrennen, wenn diese Tatsache allein Ituralde nicht schon veranlassen wollte, ihm zu glauben. Entweder war dieser Mann derjenige, für den er sich ausgab, oder er war völlig irrsinnig.
»Wenn wir das Stedding verlassen, beweise ich, dass ich die Macht lenken kann«, sagte der junge Fremde. »Das sollte für etwas zählen. Lasst mir etwas Zeit, und ich bringe zehntausend Aiel und mehrere Aes Sedai her, die alle beschwören werden, dass ich derjenige bin, der ich zu sein behaupte.«
Die Gerüchte behaupteten auch, dass die Aiel dem Wiedergeborenen Drachen folgten. Die Männer um Ituralde husteten und sahen sich unbehaglich um. Viele von ihnen waren Drachenverschworene gewesen, bevor sie zu Ituralde gekommen waren. Mit den richtigen Worten konnte dieser Rand al'Thor - oder wer auch immer er wirklich war - möglicherweise Ituraldes Gefolgsleute gegeneinander aufhetzen.
»Selbst wenn wir einmal annehmen, dass ich Euch glaube«, wählte Ituralde vorsichtig seine Worte, »wüsste ich nicht, dass das eine Rolle spielt. Ich habe einen Krieg zu führen, und ich nehme an, dass Euch andere Angelegenheiten beschäftigen.«
»Ihr seid meine Angelegenheit«, sagte al'Thor mit einem so harten Blick, dass sich seine Augen in Ituraldes Schädel zu bohren und darin nach Dingen zu suchen schienen, die ihm nützlich waren. »Ihr müsst mit den Seanchanern Frieden schließen. Dieser Krieg bringt uns nichts. Ich will Euch oben in den Grenzländern; ich kann keine Männer erübrigen, um die Große Fäule zu bewachen, und die Grenzländer haben ihre Pflichten im Stich gelassen.«
»Ich habe meine Befehle«, sagte Ituralde und schüttelte den Kopf. Moment mal. Er würde nicht tun, was dieser Jüngling da befahl, so als hätte er keine Befehle. Andererseits ... diese Augen. Alsalam hatte solche Augen gehabt, als sie beide noch jünger gewesen waren. Augen, die Gehorsam verlangten.
»Eure Befehle«, sagte al'Thor. »Kommen sie vom König? Werft Ihr Euch darum den Seanchanern auf diese Weise entgegen?«
Ituralde nickte.
»Ich habe von Euch gehört, Rodel Ituralde«, sagte al'Thor. »Männer, denen ich vertraue, Männer, die ich respektiere, vertrauen und respektieren Euch. Statt zu flüchten und Euch zu verstecken, grabt Ihr Euch hier ein, um eine Schlacht zu kämpfen, von der Ihr wisst, dass sie Euch umbringen wird. Alles nur aus Loyalität zu Eurem König. Das ist sehr lobenswert. Aber der Zeitpunkt ist gekommen, sich abzuwenden und eine Schlacht zu schlagen, die etwas bedeutet. Die alles bedeutet. Kommt mit mir, und ich gebe Euch den Thron von Arad Doman.«
Ituralde sah scharf auf. »Ihr lobt meine Loyalität und erwartet von mir im nächsten Atemzug, meinen eigenen König zu stürzen?«
»Euer König ist tot«, sagte al'Thor. »Entweder das, oder sein Verstand ist wie Wachs zerschmolzen. Ich gelange immer stärker zu der Überzeugung, dass Graendal ihn in ihrer Gewalt hat. In dem Chaos in diesem Land erkenne ich ihre Handschrift. Welche Befehle Ihr auch immer erhalten habt, vermutlich kommen sie von ihr. Ich konnte nur noch nicht ergründen, warum sie will, dass Ihr die Seanchaner bekämpft.«
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