Mit einer offensichtlichen Anstrengung zügelte Rand sein Temperament wieder. »Ich entschuldige mich, Rhuarc, Bael. Es waren ein paar ... ermüdende Monate.«
»Ihr habt kein Toh «, sagte Rhuarc. »Aber bitte, setzt Euch. Lasst uns den Schatten teilen und uns höflich unterhalten.«
Rand seufzte deutlich hörbar, dann nickte er und setzte sich vor die beiden hin. Die Weisen Frauen - Amys, Melaine, Bair - schienen nicht geneigt zu sein, an der Diskussion teilzunehmen. Sie waren Beobachter, genau wie Nynaeve selbst, wie ihr bewusst wurde.
»Meine Freunde, wir müssen in Arad Doman Frieden schaffen«, sagte Rand und entrollte eine Karte auf dem Zeltteppich.
Bael schüttelte den Kopf. »Dobraine Taborwin hat in Bandar Eban gute Arbeit geleistet«, sagte er, »aber Rhuarc hatte recht, wenn er dieses Land als zerbrochen bezeichnet. Es ist wie ein Stück Meervolk-Porzellan, das man von der Spitze eines hohen Berges warf. Ihr habt uns befohlen herauszufinden, wer den Befehl hat, und dann zu sehen, ob wir die Ordnung wiederherstellen können. Nun, soweit wir das sagen können, hat hier keiner den Befehl. Jede Stadt muss sich um sich selbst kümmern.«
»Was ist mit dem Kaufmannsrat?«, meinte Bashere, setzte sich zu ihnen und strich sich den Schnurrbart, als er die Karte studierte. »Meine Späher berichten, dass seine Mitglieder noch immer über eine gewisse Macht verfügen.«
»Das ist richtig, in den Städten, in denen sie herrschen«, erwiderte Rhuarc. »Aber ihr Einfluss ist schwach. In der Hauptstadt hält sich nur noch ein Mitglied auf, und die Lage ist prekär. Wir haben den Straßenkämpfen Einhalt geboten, aber das auch nur mit viel Mühe.« Er schüttelte den Kopf. »Das kommt davon, wenn man versucht, mehr Land zu kontrollieren, als der Clan braucht. Ohne ihren König wissen diese Domani nicht, wer den Befehl hat.«
»Wo ist er?«, fragte Rand.
»Das weiß keiner, Rand al'Thor. Er ist verschwunden. Manche sagen, vor Monaten, andere sagen, schon vor Jahren.«
»Graendal könnte ihn haben«, flüsterte Rand und studierte intensiv die Karte. »Wenn sie hier ist. Ja, ich glaube, vermutlich ist sie das. Aber wo? Sie wird nicht im Königspalast sein, das ist nicht ihre Art. Sie wird einen Ort haben wollen, der ihr gehört, einen Ort, wo sie ihre Trophäen ausstellen kann. Ein Ort, der selbst eine Trophäe ist, aber kein Ort, an den man sofort denkt. Ja, ich weiß. Du hast recht. So hat sie es schon einmal gemacht ...«
Diese Vertrautheit! Nynaeve fröstelte. Aviendha kniete neben ihr nieder und reichte ihr eine Tasse Tee. Nynaeve nahm sie entgegen und erwiderte den Blick der Frau. Sie flüsterte eine Frage. Aviendha schüttelte energisch den Kopf. Später, schien ihr Ausdruck zu besagen. Sie stand wieder auf, zog sich in den Hintergrund des Raumes zurück, schnitt eine Grimasse, zog das ausgefranste Tuch hervor und fing an, einen Faden nach dem anderen herauszuziehen. Was sollte das?
Rand hörte mit seinem Flüstern auf. »Cadsuane, was wisst Ihr über den Kaufmannsrat?«
»Er besteht hauptsächlich aus Frauen«, sagte Cadsuane, »und zwar aus Frauen mit großer Klugheit. Allerdings sind sie auch ein sehr selbstsüchtiger Haufen. Es ist ihre Pflicht, den König zu wählen, und nach Alsalams Verschwinden hätten sie einen Ersatz finden sollen. Zu viele von ihnen betrachten das als Gelegenheit, und darum können sie sich nicht einigen. Ich vermute mal, dass sie angesichts des Chaos auseinandergegangen sind, um die Macht in ihren Heimatstädten zu sichern und um Positionen und Bündnisse zu kämpfen, während sie einander ihren Favoriten für den Königsthron schmackhaft machen.«
»Und dieses Heer, das die Seanchaner bekämpft?«, fragte Rand. »Sind sie dafür verantwortlich?«
»Darüber weiß ich nichts.«
»Ihr sprecht von dem Mann Rodel Ituralde«, sagte Rhuarc.
»Ja.«
»Vor zwanzig Jahren hat er gut gekämpft«, sagte Rhuarc und rieb sich das kantige Kinn. »Er gehört zu jenen, die ihr als Große Hauptmänner bezeichnet. Ich würde gern den Tanz der Speere mit ihm tanzen.«
»Das werdet Ihr nicht«, sagte Rand scharf. »Jedenfalls nicht, solange ich lebe. Wir werden dieses Land sicher machen.«
»Und Ihr erwartet von uns, das zu tun, ohne zu kämpfen?«, fragte Bael. »Angeblich kämpft dieser Rodel Ituralde wie ein Sandsturm gegen die Seanchaner und lenkt ihren Zorn auf sich, und zwar noch viel besser, als Ihr das geschafft habt. Er wird nicht schlafen, während Ihr seine Heimat erobert.«
»Noch einmal«, sagte Rand. »Wir sind nicht als Eroberer hier.«
Rhuarc seufzte. »Aber warum schickt Ihr dann uns, Rand al'Thor? Warum nehmt Ihr nicht Eure Aes Sedai? Sie verstehen die Feuchtländer. Dieses Land ist wie ein Königreich aus Kindern, und wir sind zu wenige Erwachsene, um ihnen Gehorsam beizubringen. Vor allem wenn ihr uns daran hindert, ihnen den Hintern zu versohlen.«
»Ihr könnt kämpfen, aber nur, wenn es sein muss«, sagte Rand. »Rhuarc, das können auch Aes Sedai nicht mehr in Ordnung bringen. Ihr könnt das. Die Menschen hier fühlen sich von den Aiel eingeschüchtert; sie werden tun, was ihr sagt. Wenn wir den Krieg der Domani mit den Seanchanern beenden können, dann wird diese Tochter der Neun Monde vielleicht einsehen, dass es mir mit meinem Friedenswunsch ernst ist. Dann willigt sie vielleicht ein, sich mit mir zu treffen.«
»Warum macht Ihr es nicht wie zuvor?«, wollte Bael wissen. »Übernehmt das Land?«
Bashere nickte und sah Rand an.
»Das wird nicht funktionieren, dieses Mal nicht«, sagte Rand. »Ein Krieg würde zu viele Ressourcen verschlingen. Ihr habt von diesem Ituralde gesprochen - er wehrt die Seanchaner mit unzulänglichen Waffen und wenigen Männern ab. Sollen wir gegen einen so einfallsreichen Mann antreten?«
Wie nachdenklich Bashere doch erschien, als würde er wirklich in Betracht ziehen, gegen Ituralde zu marschieren. Männer! Sie waren doch alle gleich, dachte Nynaeve. Gebt ihnen eine Herausforderung, und sie werden neugierig sein, ganz egal, ob die Herausforderung sie am Ende auf eine Lanzenspitze befördert!
»Es gibt nur wenige Männer wie Rodel Ituralde«, bemerkte Bashere. »Er wäre sicherlich eine große Hilfe für unsere Sache. Ich habe mich immer gefragt, ob ich ihn schlagen könnte.«
»Nein«, sagte Rand wieder und schaute auf die Karte. Soweit Nynaeve sehen konnte, zeigte sie mit Anmerkungen versehene Truppenaufstellungen. Die Aiel waren eine organisierte Masse von Holzkohlestrichen quer über dem oberen Rand von Arad Doman; Ituraldes Streitkräfte standen tief auf der Ebene von Almoth und kämpften gegen die Seanchaner. Die Mitte von Arad Doman war ein Meer aus chaotischen schwarzen Anmerkungen, vermutlich die persönlichen Streitkräfte verschiedener Adliger.
»Rhuarc, Bael«, sagte Rand. »Ich möchte, dass ihr die Mitglieder des Kaufmannsrats ergreift.«
Schweigen kehrte im Zelt ein.
»Seid Ihr sicher, dass das klug ist, mein Junge?«, fragte Cadsuane schließlich.
»Sie sind in Gefahr, durch die Verlorenen«, sagte Rand und pochte mit dem Finger auf die Karte. »Falls Graendal Alsalam tatsächlich hat, dann haben wir nichts davon, ihn zurückzubekommen. Er wird so sehr unter ihrem Zwang stehen, dass er nur noch den Verstand eines Kindes hat. Sie ist nicht subtil, das war sie noch nie. Wir brauchen den Kaufmannsrat, um einen neuen König zu wählen. Das ist die einzige Möglichkeit, diesem Königreich wieder Frieden und Ordnung zu bringen.«
Bashere nickte. »Das ist kühn.«
»Wir sind keine Entführer«, sagte Bael stirnrunzelnd.
»Ihr seid das, was ich sage«, sagte Rand leise.
»Wir sind noch immer ein freies Volk, Rand al'Thor«, erwiderte Rhuarc.
»Mit meinem Tod werde ich die Aiel verändern«, sagte Rand kopfschüttelnd. »Ich weiß nicht, was ihr sein werdet, wenn das alles vorbei ist, aber ihr könnt nicht das bleiben, was ihr wart. Ich werde euch diese Aufgabe übergeben. Von allen meinen Anhängern setze ich in euch das meiste Vertrauen. Wenn wir die Ratsmitglieder holen wollen, ohne dieses Land noch tiefer in den Krieg zu stürzen, brauche ich eure Klugheit und Verstohlenheit. Ihr könnt euch in ihre Paläste und Häuser schleichen, wie ihr den Stein von Tear infiltriert habt.«
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