Die Aes Sedai lächelte, als Mat herankam. »Ah, sehr schön«, sagte sie affektiert. »Ihr seid gewachsen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, Matrim Cauthon.«
»Verin«, sagte Mat etwas außer Atem geraten. Er warf Talmanes einen Blick zu, der eines jener Blätter mit Mats Gesicht in der Hand hielt. »Ihr habt also entdeckt, dass in Trustair jemand Bilder von mir verteilt.«
Sie lachte. »So könnte man es sagen.«
Er erwiderte den Blick aus diesen dunkelbraunen Aes Sedai-Augen. »Blut und verdammte Asche«, murmelte er. »Ihr wart das, oder? Ihr seid diejenige, die nach mir sucht!«
»Und das seit einiger Zeit, möchte ich hinzufügen«, sagte Verin leichthin. »Und eigentlich gegen meinen Willen.«
Mat schloss die Augen. So viel zu seinem schönen Plan mit dem Stoßtrupp. Verflucht! Und es war ein so guter Plan gewesen. »Wie habt Ihr herausgefunden, dass ich hier bin?«, fragte er und öffnete die Augen wieder.
»Vor einer Stunde besuchte mich ein freundlicher Kaufmann in Trustair und erklärte, er hätte Euch eben getroffen und dass Ihr ihn großzügig für einen Plan von Trustair bezahlt habt. Ich dachte mir, ich erspare der armen Stadt einen Angriff von Euren … Begleitern und komme selbst zu Euch.«
»Vor einer Stunde?« Mat runzelte die Stirn. »Aber Trustair ist einen halben Tagesmarsch entfernt!«
»Das ist es.« Verin lächelte.
»Ich will verbrannt sein«, sagte er. »Ihr beherrscht das Reisen, richtig?«
Ihr Lächeln verbreiterte sich. »Ich vermute einmal, Ihr wollt mit diesem Heer nach Andor, Meister Cauthon.«
»Das kommt darauf an«, erwiderte Mat. »Könnt Ihr uns dorthin bringen?«
»In einer sehr kurzen Zeit«, sagte Verin. »Ich könnte Eure Männer am Abend in Caemlyn haben.«
Beim Licht! Zwanzig Tagesmärsche weniger? Vielleicht könnte er Aludras Drachen ja doch bald anfertigen lassen! Dann zögerte er, musterte Verin und zwang sich, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Wenn Aes Sedai im Spiel waren, gab es immer einen Preis.
»Was wollt Ihr dafür haben?«, fragte er.
»Immer geradeheraus«, erwiderte sie und seufzte leicht. »Was ich will, Matrim Cauthon, ist, von Eurem Ta’veren- Netz losgeschnitten zu werden! Habt Ihr auch nur eine Ahnung, wie lange Ihr mich gezwungen habt, in diesen Bergen zu warten?«
»Gezwungen?«
»Ja. Kommt, wir haben viel zu besprechen.« Sie schnalzte mit den Zügeln und trieb ihr Pferd ins Lager, und Talmanes und Mandevwin traten zögernd zur Seite und gaben den Weg frei. Mat gesellte sich zu ihnen und sah zu, wie die Aes Sedai direkt auf die Kochfeuer zuhielt.
»Ich schätze, es wird keinen Stoßtrupp geben«, sagte Talmanes. Er klang nicht betrübt.
Mandevwin fummelte an seiner Augenklappe herum. »Heißt das, ich kann zu meiner armen alten Tante zurück?«
»Ihr habt keine arme alte Tante«, knurrte Mat. »Kommt, wollen wir hören, was die Frau zu sagen hat.«
»Schön«, sagte Mandevwin. »Aber das nächste Mal darf ich der Behüter sein, einverstanden, Mat?«
Mat seufzte bloß und eilte hinter Verin her.
Eine kühle Meeresbrise strich in dem Moment über Rand hinweg, in dem er durch das Wegetor ritt. Der federschwere Wind trug den Geruch von tausend Kochfeuern aus der Stadt Falme herbei, wo man den Morgenbrei zubereitete.
Rand zügelte Tai’daishar, vollkommen überrumpelt von den Erinnerungen, die diese Gerüche mit sich brachten. Erinnerungen an eine Zeit, in der er sich über seine Rolle in der Welt noch unsicher gewesen war. Erinnerungen an eine Zeit, in der ihn Mat unaufhörlich damit aufgezogen hatte, dass er feine Mäntel trug, obwohl er es nach Möglichkeit vermieden hatte. Erinnerungen an eine Zeit, in der er sich der Banner geschämt hatte, die nun hinter ihm wehten. Einst hatte er darauf bestanden, sie zu verbergen, als könnte er sich damit vor seinem eigenen Schicksal verstecken.
Die Prozession hinter ihm wartete ab, Schnallen ächzten, Pferde schnaubten. Rand hatte Falme schon einmal einen kurzen Besuch abgestattet. Damals hatte er nirgendwo lange bleiben können, hatte diese Monate damit verbracht, entweder jemanden zu jagen oder gejagt zu werden. Fain hatte das Horn von Valere und den Rubindolch, an den Mat gebunden gewesen war, in seinen Besitz gebracht und ihn nach Falme gelockt. Als er an Mat dachte, blitzten die Farben wieder auf, aber er ignorierte sie. Diese wenigen Augenblicke war er nicht in der Gegenwart.
Falme hatte einen so bedeutsamen Wendepunkt in seinem Leben dargestellt, wie er sich später im kargen Land der Aiel zugetragen hatte, als er sich als der Car’a’carn erwies. Nach Falme hatte es kein Versteckspiel mehr gegeben, hatte er nicht länger gegen das angekämpft, was er war. Das hier war der Ort, an dem er sich das erste Mal eingestanden hatte, dass er ein Mörder war, der Ort, an dem er zum ersten Mal begriffen hatte, welche Gefahr er für alle in seiner Umgebung darstellte. Er hatte versucht, sie alle zurückzulassen. Sie waren ihm gefolgt.
In Falme war der Hirtenjunge verbrannt, und die Meereswinde hatten seine Asche fortgetragen. Aus dieser Asche hatte sich der Wiedergeborene Drache erhoben.
Rand trieb Tai’daishar an, und die Prozession ging weiter. Er hatte befohlen, das Wegetor einen kurzen Ritt von der Stadt entfernt zu öffnen, hoffentlich aus der Sichtweite einer jeden Damane. Natürlich hatte er es von Asha’man erschaffen lassen - was die Gewebe vor den Frauen verbarg -, aber er wollte ihnen nicht den geringsten Hinweis auf das Schnelle Reisen in die Hände spielen. Das Unvermögen der Seanchaner, Reisen zu können, war einer seiner größten Vorteile.
Falme selbst erhob sich auf der kleinen Halbinsel von Toman, die in das Aryth-Meer hineinragte. Hohe Klippen auf beiden Seiten brachen die Wellen und erzeugten ein leises, fernes Brausen. Die dunklen Steingebäude der Stadt bedeckten die Halbinsel wie Kiesel ein Flussbett. Größtenteils waren es niedrige, einstöckige Häuser von erheblicher Breite, als hätten ihre Bewohner erwartet, dass die Wellen über die Klippen schlagen und gegen ihre Heime krachen würden. Das Grasland hier war nicht so verkümmert wie im Norden, aber das frische Frühlingsgras sah bereits gelb und glanzlos aus, als würden es die Halme bereuen, die Köpfe aus dem Boden gestreckt zu haben.
Die Halbinsel senkte sich zu einem natürlichen Hafen, in dem viele seanchanische Schiffe vor Anker lagen. Überall flatterten seanchanische Flaggen und beanspruchten diese Stadt als einen Teil ihres Kaiserreichs; das höchste Banner in der Stadt zeigte einen fliegenden goldenen Falken, der drei Blitze gepackt hielt. Das Banner war mit blauen Fransen umgeben.
Durch die in der Ferne liegenden Straßen bewegten sich die seltsamen Kreaturen, die die Seanchaner von ihrer Seite des Ozeans mitgebracht hatten, zu weit entfernt, als dass Rand Einzelheiten hätte erkennen können. Am Himmel flogen Raken; offensichtlich hatten die Seanchaner einen großen Stall davon. Die Halbinsel von Toman befand sich direkt südlich von Arad Doman, und diese Stadt war zweifellos ein wichtiges Aufmarschgebiet für den seanchanischen Feldzug im Norden.
Diese Eroberung würde heute enden. Rand musste Frieden schließen, musste die Tochter der Neun Monde davon überzeugen, ihre Heere zurückzuziehen. Dieser Friede würde die Ruhe vor einem Sturm sein. Er würde Rands Volk nicht vor einem Krieg beschützen, er würde es nur davor bewahren, damit es dann für ihn an einem anderen Ort sterben konnte. Aber er würde tun, was getan werden musste.
Nynaeve ritt neben ihm heran, als sie weiter auf Falme zurückten. Ihr hübsches weißblaues Kleid war nach der Domanimode geschnitten, bestand allerdings aus wesentlich dickerem - und schicklicherem - Stoff. Sie schien Mode aus der ganzen Welt zu adoptieren, trug Kleider aus den Städten, die sie besuchte, drängte ihnen aber ihre ureigenen Ansichten auf, was sich gehörte und was nicht. Einst hätte Rand das vielleicht amüsant gefunden. Dieses Gefühl schien er nicht länger empfinden zu können. Er fühlte bloß die kalte Stille in seinem Inneren, die Stille, die bei der Fontäne aus gefrorenem Zorn als Deckel diente.
Читать дальше