Liebte sie ihn? Er war mit ihr verheiratet, aber Seanchaner dachten nicht wie normale Menschen. Sie war bei ihm geblieben, hatte die Gefangenschaft erduldet und nie einen Fluchtversuch unternommen. Aber er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass sie sich gegen ihn wenden würde, wenn sie es im Interesse ihres Kaiserreiches fand.
Ja, sie würde ihm Männer hinterherschicken, allerdings beschäftigte ihn eine potenzielle Verfolgung nur halb so sehr wie die Sorge, dass sie es nicht sicher nach Ebou Dar zurückgeschafft hatte. Jemand hatte eine ordentliche Summe für ihren Kopf geboten. Dieser seanchanische Verräter, der Anführer des Heeres, das er vernichtet hatte. Hatte der Mann allein gearbeitet? Gab es andere? In was hatte er Tuon nur entlassen?
Diese Fragen verfolgten ihn. »Was meint Ihr, war es richtig, sie gehen zu lassen?«
Talmanes zuckte mit den Schultern. »Ihr habt Euer Wort gegeben, Mat, und ich glaube, dieser doch sehr große seanchanische Bursche mit dem entschlossenen Blick und der schwarzen Rüstung hätte nicht gut darauf reagiert, wenn Ihr versucht hättet, sie zurückzuhalten.«
»Sie könnte trotzdem in Gefahr schweben«, sagte Mat versonnen und schaute noch immer zurück. »Ich hätte sie nicht aus meinen Augen lassen sollen. Dumme Frau.«
»Mat«, sagte Talmanes und zeigte wieder mit der Pfeife auf ihn. »Ihr überrascht mich. Ihr klingt ja schon tatsächlich wie ein Ehemann.«
Das ließ Mat zusammenzucken. Er drehte sich auf Pips' Sattel um. »Was war das? Was habt Ihr da gesagt?«
»Nichts, Mat«, beeilte sich Talmanes zu sagen. »Nur, so wie Ihr Euch nach ihr sehnt ...«
»Ich sehne mich nach niemandem «, fauchte Mat und zog den Hut zurecht, dann richtete er das Halstuch. Sein Medaillon hing tröstlich schwer um seinen Hals. »Ich bin nur besorgt. Das ist alles. Sie weiß eine Menge über die Bande, und sie könnte unsere Stärken verraten.«
Talmanes zuckte mit den Schultern und paffte seine Pfeife. Eine Weile ritten sie schweigend weiter. Die Kiefern rauschten im Wind, und gelegentlich drang von hinten Frauengelächter an Mats Ohren, von der kleinen Gruppe Aes Sedai, die zusammen ritten. Auch wenn sie einander nicht ausstehen konnten, kamen sie für gewöhnlich doch prächtig miteinander zurecht, wenn andere sie sehen konnten. Aber wie er schon zu Talmanes gesagt hatte, Frauen waren nur miteinander verfeindet, solange kein Mann in der Nähe war, gegen den sie sich verbünden konnten.
Die Sonne war von dicken Wolken verhüllt; schon seit Tagen hatte er kein reines Sonnenlicht mehr gesehen. Tuon hatte er auch schon so lange nicht mehr gesehen. Die beiden Dinge schienen in seinem Kopf zusammenzugehören. Ob da eine Verbindung bestand?
Dummer Narr, dachte er. Als Nächstes fängst du noch an, so wie sie zu denken, liest in jede Kleinigkeit Vorzeichen hinein, suchst jedes Mal, wenn dir ein Hase über den Weg hoppelt oder dein Pferd einen fahren lässt, nach Symbolen und Deutungen.
Diese Art von Zukunftsdeutung war blanker Unsinn. Obwohl er zugeben musste, dass er jetzt jedes Mal zusammenzuckte, wenn eine Eule zweimal heulte.
»Habt Ihr je eine Frau geliebt, Talmanes?«, ertappte er sich zu fragen.
»Sogar mehrere«, erwiderte der kleine Mann und zog eine Rauchfahne hinter sich her.
»Je daran gedacht, eine von ihnen zu heiraten?«
»Nein, dem Licht sei Dank«, sagte Talmanes. Dann schien er noch einmal darüber nachzudenken, was er gerade gesagt hatte. »Ich will damit sagen, es war nie der richtige Zeitpunkt für mich. Aber ich bin sicher, für Euch wird sich alles auf großartige Weise fügen.«
Mat runzelte die Stirn. Wenn Tuon das mit der Heirat schon unbedingt hatte durchziehen müssen, hätte sie sich dann nicht wenigstens einen Augenblick aussuchen können, an dem es die anderen nicht mitbekamen?
Aber nein. Sie hatte es vor allen ausgesprochen, einschließlich der Aes Sedai. Das bedeutete, dass er verloren war. Aes Sedai waren gut darin, Geheimnisse zu behüten, es sei denn natürlich, diese Geheimnisse konnten Matrim Cauthon irgendwie in Verlegenheit bringen oder ihm Unannehmlichkeiten verschaffen. Dann konnte man sich darauf verlassen, dass sich die Neuigkeit in weniger als einem Tag im ganzen Lager verbreitete und vermutlich auch in drei Dörfern am Wegesrand. Vermutlich wusste es jetzt schon seine verfluchte Mutter - die meilenweit entfernt war.
»Ich höre nicht mit dem Spielen auf«, murmelte er. »Oder mit dem Trinken.«
»Ich glaube, das sagtet Ihr schon«, meinte Talmanes. »So drei- oder viermal. Ich glaube fast, sollte ich nachts in Euer Zelt hineinschauen, würde ich Euch es im Schlaf murmeln hören. ›Ich werde verdammt noch mal weiter spielen! Spielen und trinken, verdammt noch mal! Wo ist mein verfluchter Becher? Will jemand darum spielen?‹« Er sagte es mit völlig unbewegter Miene, aber wieder einmal lag die Andeutung eines Lächelns in seinen Augen, wenn man nur wusste, wo man hinsehen musste.
»Ich wollte nur, dass es auch jeder weiß«, sagte Mat. »Ich will nicht, dass mich plötzlich jemand für weich hält, nur weil ich ... Ihr wisst schon.«
Talmanes warf ihm einen aufmunternden Blick zu. »Ihr werdet schon nicht weich, nur weil Ihr geheiratet habt, Mat. Ich glaube sogar, dass einige der Großen Hauptmänner verheiratet sind. Davram Bashere ist es auf jeden Fall, und Rodel Ituralde auch. Nein, Ihr werdet nicht weich, weil Ihr jetzt verheiratet seid.«
Mat nickte scharf. Gut, dass das geklärt war.
»Allerdings könntet Ihr langweilig werden«, meinte Talmanes.
»Also gut, das reicht«, verkündete Mat. »Im nächsten Dorf gehen wir ins Gasthaus und würfeln. Ihr und ich.«
Talmanes verzog das Gesicht. »Bei dem drittklassigen Wein, den es in diesen Bergdörfern gibt? Bitte, Mat. Demnächst verlangt Ihr noch von mir, Ale zu trinken.«
»Keine Diskussion.« Mat schaute nach hinten, als er vertraute Stimmen hörte. Olver saß auf Wind und plauderte mit Noal, der auf einem knochigen Wallach neben ihm ritt. Der knorrige alte Mann lauschte aufmerksam Olvers Worten und nickte zustimmend. Der kleine Junge mit den abstehenden Ohren und dem hässlichen kleinen Gesicht sah erstaunlich ernst aus und erklärte zweifellos eine weitere seiner Theorien, wie man sich am besten in den Turm von Ghenjei einschleichen konnte.
»Dort ist Vanin«, sagte Talmanes.
Mat blickte wieder nach vorn und entdeckte einen Reiter, der auf dem steinigen Weg auf sie zukam. Vanin wirkte immer so lächerlich, wie er da wie eine Melone auf dem Rücken seines Pferdes hockte und seine Beine nach beiden Seiten abstanden. Aber der Mann konnte reiten, da gab es nicht den geringsten Zweifel.
»Es ist der Sardlenberg«, verkündete Vanin, als er sie erreicht hatte und sich die verschwitzte Stirn abwischte. »Das Dorf liegt gleich voraus; auf der Karte trägt es den Namen Hinderstap. Das sind verdammt gute Karten«, fügte er widerstrebend hinzu.
Mat atmete erleichtert auf. Er hatte schon angefangen zu glauben, sie würden bis zur Letzten Schlacht und darüber hinaus in diesen Bergen umherirren. »Großartig«, sagte er, »wir können ...«
»Ein Dorf?«, fragte eine barsche Frauenstimme.
Mat drehte sich seufzend um, als sich drei Reiter den Weg zur Spitze der Marschreihe erzwangen. Zögernd hob Talmanes die Hand, um die Soldaten anhalten zu lassen, während sich die Aes Sedai auf den armen Vanin stürzten. Der dicke Mann sah aus, als wäre er lieber beim Pferdediebstahl erwischt worden - und darum auf dem Weg zur Hinrichtung -, als dort sitzen und von Aes Sedai verhört werden zu müssen.
Joline führte das Rudel an. Einst hätte Mat sie mit ihrer schlanken Figur und den großen einladenden braunen Augen als hübsches Mädchen beschrieben. Aber nun war dieses alterslose Aes Sedai-Gesicht nur noch ein Warnzeichen für ihn. Nein, er würde es nun nicht einmal mehr in Gedanken wagen, die Grüne als hübsch zu bezeichnen. Ließ man zu, eine Aes Sedai hübsch zu finden, fand man sich zwei Zungenschläge später um ihren Finger gewickelt und sprang, wenn sie es befahl. Joline hatte doch tatsächlich schon angedeutet, dass sie ihn als ihren Behüter haben wollte!
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