»Sieht aus, als würde ich gebraucht, Jungs«, sagte er zu den Soldaten Agrach Dyrrs, die hinter ihm warteten. »Ihr wißt, was ihr zu tun habt. Wartet auf das Signal. Wenn es ertönt, legt los.«
Nimor ließ seine Streitechse lostraben und ritt dem Boten ein Stück entgegen. Der Reiter war ein junger Mann, der die Kleidung des Hauses Baenre trug – sicherlich ein besonders gut gelittener Neffe oder Vetter, dem man eine vergleichsweise sichere Aufgabe zugewiesen hatte, die kein großes Risiko für sein Leben bedeutete. Er trug keinen Helm, so daß sein Haar wie eine Mähne hinter ihm im Wind flatterte. Ein hellrotes Banner wehte an einem Harnisch, der an seinem Sattel befestigt war.
»Ihr seid Hauptmann Zhayemd?« rief er und wurde langsamer, um Nimor zu begrüßen.
»Ja.«
»Eure Anwesenheit ist umgehend im Befehlspavillon erforderlich, Herr. Matrone Del’Armgo möchte wissen, wo sich die Duergar befinden und wie die Truppen am besten aufzustellen sind.«
»Verstehe«, erwiderte Nimor. »Ihr könnt zurückreiten und ihr sagen, ich werde unverzüglich hinüberreiten.«
»Bei allem Respekt, Herr, aber ich soll ...«
Drei Hornstöße – zwei kurze gefolgt von einem langen – ertönten zwischen den Säulen des Leids und erzeugten ein so lautes Echo, daß man hätte meinen können, der Fels selbst würde diese Laute ausstoßen. Der Bote verstummte und wendete sein Reittier, um an Nimor vorbeizureiten und einen Blick auf die Säulen zu werfen.
»Bei Lolths Zorn, was war das?« wunderte er sich.
»Das«, entgegnete Nimor, »dürfte das Signal für den Angriff der Duergar sein.«
Aus den Tiefen der Schlucht unterhalb der Säulen des Leids war das Donnern einer Armee auf dem Vormarsch zu hören, das den Boden erzittern ließ. Unterhalb der Linie von Nimors Spähern tauchten auf einmal zu Hunderten auf Echsen reitende Duergar auf, die sich unter sorgfältig angeordneten Tarnnetzen erhoben und in die Lücke vorstießen, die Nimors Späher halten sollten. Hinter der Duergar-Kavallerie stürmte eine immense Duergar-Infanterie los, stieß ihre rauhen Kriegsrufe aus und hielt Hämmer und Äxte hoch über den Köpfen. Die Reiter Agrach Dyrrs saßen auf, gingen in Position, um zwischen den gewaltigen Felssäulen die Angreifer in die Zange zu nehmen – und dann beschrieben sie wie verabredet eine Drehung und eilten davon, womit die vorderste Verteidigungslinie von einem Augenblick zum anderen ungeschützt war.
»Agrach Dyrr verrät uns!« schrie der Bote, dem das Entsetzen über diese Vorgehensweise anzusehen war.
Er riß sein Reittier herum, doch Nimor beugte sich im Sattel nach vorn und rammte dem Jungen seine Klinge in den Leib. Der Baenre preßte die Hände auf die Wunde, schwankte und fiel. Mit der Breitseite seiner Klinge schlug Nimor der Echse gegen den Leib, die daraufhin zurück in die Haupthöhle eilte und den toten Boten mitschleifte, dessen Füße sich in den Steigbügeln verfangen hatten.
Nimor ließ sein Reittier ein schiefes Stück Fels erklimmen, das gut viereinhalb Meter über dem Höhlenboden lag und einen Blick über die Säulen erlaubte. Von dort konnte er den größten Teil der Höhle überblicken.
»Eine schöne Aussicht auf den Kampf, mein Prinz!« rief er. »Was für ein großartiger Tag für Euren Sieg, nicht wahr?«
»In einer Viertelstunde werde ich Euch sagen, ob es einen Sieg gibt oder nicht.«
Aus dem Schatten im hinteren Teil des Felsvorsprungs trat Horgar Stahlschatten. Er und seine Leibwache wurden von einer geschickten Illusion geschützt, so daß er für jeden anderen unsichtbar war, es sei denn, man wußte genau, wo man nach ihm zu suchen hatte.
»Kommt nicht näher, Nimor«, sagte der Prinz. »Ich möchte nicht, daß Euch jemand in einer Wand verschwinden sieht und über die Maßen neugierig darauf wird, was hier wohl geschehen mag.«
»Sicher wollt Ihr doch auch in die Schlacht eingreifen, Prinz Horgar? Ich weiß, Ihr seid ein mutiger Zwerg.«
»Ich werde mich ins Getümmel stürzen, wenn ich sicher sein kann, daß ich keine weiteren Befehle erteilen muß. In einigen Momenten werdet Ihr nicht mehr hören können, ob Euch ein Kamerad direkt ins Ohr schreit.«
Nimor konzentrierte sich wieder auf die Schlacht. Die Reiter Agrach Dyrrs, die sich von den Säulen zurückgezogen hatten, ritten wie wahnsinnig auf einem kreisförmigen Weg, der entlang des Höhlenrandes verlief und auf dem sie dem größten Teil der Armee von Menzoberranzan ausweichen konnten. Ihre Aufgabe war es, zur Infanterie Agrach Dyrrs am Ende des Zuges zu gelangen und den Tunnel zu verschließen, durch den die Armee der Schwarzen Spinne gekommen war.
Duergar-Reiter strömten durch die Lücke und überrannten die Stellungen, die sie eigentlich hätten aufhalten sollen. Etliche Kontingente der Häuser, die die Vorhut der Truppen bildeten, waren in Unordnung geraten, überrascht darüber, von einem derartigen Ansturm erfaßt zu werden, anstatt hinter einer stabilen Frontlinie sich auf eine Belagerung einzurichten und das Lager aufzuschlagen.
Andere Häuser reagierten auf diesen plötzlichen Angriff gewandt und mutig. Das immense Baenre-Kontingent stieß einen wütenden Kriegsschrei aus und stürmte vor, um den Paß zu erobern, ehe noch mehr Duergar in die Höhle strömen konnten.
»Ein mutiger Zug, Andzrel«, sagte Nimor mit ehrlicher Bewunderung. »Leider dürfte es zu spät sein, um den Korken wieder auf die Flasche aufzusetzen.«
Nimor zog leicht an den Zügeln, um sich in eine Position zu bringen, von der aus er einen besseren Blick auf den Mittelpunkt der Höhle hatte. Er hatte erwartet, alles in der Höhle werde in Bewegung sein, daß die Reihen vorwärts stürmen und sich wieder zurückziehen würden wie die blutige Strömung einer See aus Eisen. Doch der Kampfeslärm war schlicht unerträglich. Der Fels zu allen Seiten warf das Gebrüll zurück, die Schreie und das Scheppern der Waffen und Schilde verschmolz zu einem einzigen Klangteppich, einer donnernden Geräuschkulisse, die sich immer weiter steigerte, je mehr Krieger sich in die Kämpfe einmischten.
»Der Lärm wird für uns arbeiten«, rief er über die Schulter Horgar zu, obwohl er sein eigenes Wort nicht verstand. »Die Befehlshaber der Armee der Schwarzen Spinne müssen entscheiden, wie die Truppen reagieren sollen, und sie müssen die entsprechenden Befehle geben.«
»Ja«, antwortete der Duergar. Nimor hatte Mühe, ihn zu verstehen. »Wenn man sich erst mal mitten in einer Schlacht befindet, ist das ein schlechter Zeitpunkt, um die Schlacht zu planen!«
Ein gleißender Lichtblitz schoß in die Reihen der Duergar, gefolgt von einem Donnerschlag, der sogar den Kampflärm übertönte. Explodierende Feuerbälle und sengende Flammenteppiche jagten übers Schlachtfeld, als die Magier auf beiden Seiten in den Kampf einzugreifen begannen.
Nimor legte die Stirn in Falten. Eine Handvoll mächtiger Magier konnte die Entscheidung bringen, trotz des wütenden Angriffs der Duergar und der Verschlagenheit seiner Verbündeten in Agrach Dyrr. Doch es gab auch Magier in den Reihen der Duergar, von denen viele als Reiter und Infanteristen getarnt waren. Als die Drow-Magier ihre Angriffe auf die Duergar starteten, verrieten sie zugleich ihre eigenen Positionen. Die Duergar-Magier reagierten auf jeden Blitz und jedes Feuer, und binnen weniger Augenblicke war die gesamte Höhle von schmerzendem Licht und von rötlichem Feuer erfüllt, die Luft war heiß und ätzend, da von beiden Seiten mit mächtiger Magie rücksichtslos um sich geworfen wurde.
Sosehr er sich auch bemühte, konnte Nimor nicht sagen, wessen Magie den Sieg bringen würde, da die ganze Szene in eine Anarchie versank. Innerhalb weniger Herzschläge erfaßte die gewaltige Truppe aus Menzoberranzanyr in der Mitte der Höhle den ersten Ansturm der Duergar, und die beiden Armeen standen sich schnell in einer langen Linie gegenüber, die sich über viele Hundert Schritt durch die Höhle schlängelte. Standarten wurden geschwenkt und versanken, Streitechsen bäumten sich auf und gingen zu Boden, als der massive Ansturm in Tausende von individuellen Duellen zerfiel.
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