Stopa drehte sich halb herum und zeigte ein wölfisches Lächeln. »Halt dich fest, wenn dir dein Leben lieb ist«, sagte er. Dann brüllte er durch den Motorenlärm seinen Männern zu: »Wir fahren!«
Mit einer Beschleunigung, die Feric den Atem verschlug, und einem ohrenzerreißenden Aufbrüllen schoß Stopas Motorrad vorwärts, neigte sich gefährlich zur Seite, schleuderte in einer scharfen Wendung herum und donnerte die Straße zurück zu der Stelle, wo sie das Trockenbett kreuzte. Wenige Sekunden nach dem Start betrug die Geschwindigkeit mindestens sechzig Stundenkilometer. Welch eine Maschine! Welch ein Fahrer! Und welch eine Sturmtruppe würden diese Rächer abgeben.
Feric blickte zurück und sah, daß die anderen Fahrer Stopa in einer geschlossenen, wenn auch etwas ungeordneten Formation folgten. Bogel klammerte sich mit geisterhaft bleichem Gesicht, die Augen fast geschlossen, am Sitz der Maschine direkt hinter Stopa fest. Feric lachte wild in den Fahrtwind. Welchen Schneid hatten diese Fahrzeuge, welch einen großartigen Eindruck machte ihr massiertes Erscheinen! Alles, was fehlte, waren Einheitlichkeit und Ordnung.
Beim Erreichen des ausgetrockneten Bachbettes zögerte Stopa keinen Augenblick, verringerte tatsächlich kaum die Geschwindigkeit. Das schwere Motorrad schoß von der Straße und auf die unebene steinige Piste, und dann ging es in halsbrecherischer Fahrt durch die hohen Waldkorridore, dichtauf gefolgt vom Motorenlärm der ganzen Truppe.
Es folgte eine wilde Fahrt durch die dunklen Wälder und über den unebenen Waldboden, wie Feric sie sich nicht in der ausgefallensten Fantasievorstellung hätte einfallen lassen. In atemberaubender Geschwindigkeit auf schmaler, gewundener Fahrspur zwischen den Bäumen dahinrasend, über Wurzeln, Steine und alle Arten von Unterholz holpernd und schlitternd, lenkte Stopa seine Maschine mit sicherem Instinkt und einem Gefühl für schneidigen Stil, die Feric schon nach kurzer Fahrt völlig beruhigten. Es schien, als lenke das Schicksal die Maschine, und Stopa sei sich dessen auf irgendeiner Ebene bewußt; Maschine, Fahrer und Beifahrer waren eine unwiderstehliche Gewalt des Schicksals — schnell, sicher, unaufhaltsam. Obgleich es beinahe jeden Moment schien, als ob das Motorrad an einem der hochaufragenden Stämme zerschellen oder sich an einem Felsbrokken, einer Wurzel oder in einer Mulde überschlagen würde, gelang es Feric, sich zu entspannen und das Gefühl von Kraft und Gefahr zu genießen, sich am Fahrtwind und dem mächtigen Brüllen der Maschine unter ihm zu berauschen.
Tatsächlich verspürte er ein gewisses Bedauern, als Stopa nach ungefähr einer Stunde dieses Dämonenrittes in einen breiteren, ausgefahrenen Weg einbog, der wenige Minuten später in einer baumlosen Senke zwischen zwei dichtbewaldeten Hügeln mündete, in welcher die Rächer ihr Lager hatten.
Ein rundes Dutzend Hütten standen verstreut und ohne besondere Ordnung auf der Lichtung. Sie waren klein und primitiv; einige der besser gebauten Exemplare prunkten mit Blechtüren und kleinen Fenstern, die von havarierten Dampfwagen zu stammen schienen. Eine dieser Hütten war größer als die anderen und flankiert von zwei geräumigen Schuppen, die aus Stükken und Bahnen rostigen Wellblechs zusammengesetzt waren. Im Hintergrund dieser kleinen Siedlung befand sich die Mündung einer Höhle, die offensichtlich bewohnt war, da ein ausgetretener Weg hineinführte und vor dem Eingang Abfälle verstreut waren. Es war alles in allem ein schmutziges, unordentliches Lager, das von nur primitiven Kenntnissen der Baukunst zeugte.
Stopa fuhr in die Mitte der Ansiedlung und brachte seine Maschine mit einer schleudernden Kehrtwendung zum Stillstand, worauf er sie aufbockte und den Motor ausschaltete, noch ehe sich die Staubwolke verzogen hatte. Augenblicke später brachten die anderen ihre Maschinen in ähnlichem Stil zum Halten.
Feric stieg im Augenblick des Anhaltens und noch vor Stopa selbst ab, um dem Anführer der Bande keine Gelegenheit zu geben, es ihm zu befehlen oder zu verbieten. Stopa seinerseits schien die Bedeutung dieser Geste zu entgehen. Er blieb neben seinem Motorrad stehen, die Hände in die Hüften gestemmt und musterte seine Männer mit finsterem Blick, während sie von ihren Maschinen stiegen und ihm gegenüber eine Art Halbkreis bildeten. Ein durchgerüttelter und benommener Bogel löste sich aus dieser Gruppe und kam mit unsicherem Schritt an Ferics Seite.
»Das ist Wahnsinn, Feric!« jammerte er mit halblauter Stimme. »Diese Wilden werden uns erschlagen und danach ohne Zweifel von unseren Überresten schmausen. Was für eine Fahrt! Was für eine stinkende Müllgrube dies hier ist! Unter was für Freunde haben Sie uns gebracht!«
Feric warf Bogel einen Blick von solch finsterer Schwärze zu, daß dieser sofort verstummte. Bogel neigte zu wortreichen Erörterungen, wenn Stillschweigen eine stärkere Waffe war. Auch brauchte er mehr Stahl im Rückgrat.
»Was ist?« blaffte Stopa. »Steht nicht so mit hängenden Zungen herum! Wir haben eine Aufnahmeprüfung vorzubereiten!«
Die Schwarzen Rächer kamen in Bewegung. Eine Gruppe von ihnen verschwand im Wald, während andere ihre Hütten betraten und wieder hervorkamen, beladen mit drei Meter langen Fakkeln, die an beiden Enden zugespitzt waren. Zwei Rächer gingen zu der großen Hütte und rollten ein enormes Holzfaß herbei. Weitere Fackeln wurden herbeigeschafft, bis Dutzende von ihnen in der Mitte der Lichtung lagen. Die andere Gruppe kehrte aus dem Wald zurück, beladen mit dürren Zweigen und Ästen, die sie für ein großes Freudenfeuer aufschichteten. Das Faß wurde aufgestellt und das obere Ende herausgenommen, so daß ein See von schwerem braunem Bier zum Vorschein kam. Der Haufen brach in Beifallsgebrüll aus, und jeder Rächer tauchte ein hölzernes Trinkhorn ins Faß, hob es randvoll heraus und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter, worauf er sein Horn von neuem füllte, um während der Erfüllung seiner Pflichten etwas zu trinken zu haben. Dergestalt gekräftigt, steckten die Rächer rasch einen großen Kreis von Fackeln aus, in dessen Mitte sich der große Scheiterhaufen erhob.
Während diese Arbeiten verrichtet wurden, stand Stopa stumm und unbeweglich neben Feric und Bogel, die Hände in Herrenmanier in die Hüften gestemmt, und geruhte weder an den Arbeiten teilzunehmen noch mit den anderen zu trinken. Endlich ging er zu seinem Motorrad, bestieg es und erweckte die Maschine mit einem Tritt zum Leben. Als das Motorrad anfuhr, beugte er sich zur Seite und hob im Vorbeifahren eine Fackel vom Boden auf. Diese entzündete er mit einem Feuerzeug. Dann donnerte er mit beträchtlicher Geschwindigkeit um den gesamten Fackelkreis und zündete sie eine nach der anderen an, bis die Mitte des Lagers ein flammender Feuerring aus Fackelschein war, der Flammenzungen und leuchtende Funken in die unendliche Dunkelheit des nächtlichen Waldes entsandte. Schließlich fuhr Stopa seine Maschine in den Feuerring an den Scheiterhaufen in der Mitte. Mit einer jähen, atemberaubenden Bewegung riß er das brüllende Motorrad auf der Stelle herum, daß Sand und Steine weit davonspritzten, während er seine brennende Fackel in das aufgeschichtete Holz warf und es in Brand setzte. Zuletzt brachte er die Maschine neben dem Bierfaß in einer Staubwolke zum Stillstand, stieg ab und steckte den Kopf in die schaumige Flut. Lange hielt er ihn untergetaucht, und als er sich triefend aufrichtete, schmatzte er mit den Lippen.
»In den Kreis, ihr Wanzen!« brüllte er. »Wir wollen sehen, ob wir heute abend einen neuen Bruder bekommen oder einen Leichnam.«
Die Rächer versammelten sich in einer Gruppe innerhalb des Fackelrings und vor dem riesigen prasselnden Scheiterhaufen, der nun lichterloh in Flammen stand. Als Feric seinen Begleiter in den Feuerring führte, schnitt Bogel eine schiefe Grimasse und sagte: »Nun, wenn ich schon sterben muß, dann wenigstens in einem flammenden Glorienschein. Anscheinend teilen Sie meinen Geschmack.«
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