»Eli, setz dich zu uns!« rief Trub und kämmte sich mit den Krallen gravitätisch den buschigen Backenbart. »Wir können auch zu dritt spielen.«
»Ich möchte kein Schafskopf sein, nicht einmal im Spiel.«
»Dann pokern wir eben! Du wirst begeistert sein!« sagte Gig. »Da gibt’s eine Operation, wo man sich, wie wir vor einem Kampfe, in Unsichtbarkeit hüllt.
Das nennt sich Bluff! Eine wunderbare Sache ist das.
Ein ausgezeichnetes militärisches Manöver!«
Ich lehnte auch das Pokern ab. »Freunde, ich muß mit Vagabund allein sprechen«, sagte ich.
Trub schwang widerspruchslos die Flügel und flog zum Ausgang. Er hat sich an uns gewöhnt und liebt uns, ihm gegenüber bedarf es keiner Förmlichkeit.
Die Unsichtbaren sind da weit empfindlicher. Gig war unzufrieden. Ich puffte ihn freundschaftlich. Da lachte er und entfernte sich, ohne gekränkt zu sein.
»Vagabund, wie fühlst du dich?« fragte ich.
Er schielte spöttisch nach mir. Mit jedem Tag bereitete es ihm größere Mühe, den einst so biegsamen Hals zu bewegen. Und er spie kein Feuer mehr, nur eine dünne Rauchfahne wehte ihm aus dem Rachen.
In der kurzen Zeitspanne seit dem Start im Perseus hatte der Drachen alle Stadien des Verfalls durchgemacht, aus einem fliegenden Drachen hatte er sich in einen kriechenden verwandelt, aus einem kriechenden in einen liegenden. Bald wird kein Leben mehr in ihm sein, dachte ich voller Schmerz.
»Wie ich mich fühle?« zischelte er. Auch die laute, leicht lispelnde Stimme stand ihm nicht mehr zu Gebote.
»Es könnte schlimmer sein. Der Körper ist mir zu groß. Er drückt mich, Eli.«
»Sollen wir dir Schwerelosigkeit verschaffen? Da schwebst du ungehindert. Seltsam, daß wir nicht eher daraufgekommen sind…«
»Gut, daß wir nicht daraufgekommen sind. Die Jugend bringst du mir nicht wieder?«
»Das übersteigt meine Möglichkeiten.«
»Was soll mir Schwerelosigkeit ohne Jugend? Ist ein schwebender Greis besser als ein liegender? Ich gehöre nicht zu denen, die sich Täuschungen hingeben. Tätigsein, das ist es, was mir fehlt. Und gar nicht so sehr Tätigsein als vielmehr einfache Bewegung. Mein Leben lang habe ich mich nach Bewegung gesehnt.«
»Auch als du Drache geworden warst?«
»Nein, da habe ich mich an Bewegung gelabt, berauscht – im Übermaß. Damals war der Körper eine Freude für mich. Mein körperliches Leben war kurz, aber doch so, daß ich ein Drachenjahr nicht für ein Jahrtausend meines früheren Daseins hergeben würde. Danke, Eli, daß du mir diese Freude schenktest.«
»Du redest, als nähmest du Abschied. Bis zum Ende ist es noch weit.«
»Mein Ende ist nah. Ich würde vor meinem Tode nur noch gern eure Befreiung aus dem Unglück sehen.«
»Du wirst sie nicht nur sehen, du kannst auch dazu beitragen.«
»Ich verstehe nicht, Eli.«
»Höre, Vagabund. Hat man dir auf dem Bildschirm Oans Verhör gezeigt? Der Spion hat zugegeben, daß die Ramiren mit der Zeit experimentieren.
Also gibt es etwas, was auch sie nicht können! Sie sind nicht allmächtig und nicht allwissend. Es handelt sich bei ihnen um eine kosmische Zivilisation, die uns in der Entwicklung ein paar Millionen Jahre voraus ist, keineswegs um Götter! Ellon hat interessante Gedanken zur Transformation der Zeit entwickelt. Die Ramiren haben es soweit noch nicht gebracht. Ellon schimpft sie Ignoranten.«
»Ellon ist ein Prahler.«
»Ja, er wirft sich gern ein bißchen in die Brust.
Wichtig ist etwas anderes. Man kann den Ramiren die Stirn bieten. Unvorbereitet ließen wir uns in einen Kampf ein und wurden bestraft. Aber wir sind nicht zurückgewichen, und wir können auch nicht zurückweichen, denn unsere Schiffe sind manövrierunfähig.«
»Es liegt bei dir, Eli…«
»Hilf uns! Ruf dir ins Gedächtnis zurück, wie sich dir Sterne und Planeten fügten. Unterwirf dir die Sternenflugzeuge! Erwecke unsere Schiffe zum Leben!«
»Die Schiffe zum Leben erwecken? Ich, der ich mich nicht bewegen kann? Eli, du bist an der falschen Adresse.«
»Ich bin an der richtigen Adresse! Ja, du bist hinfällig geworden. Aber nur körperlich, nicht geistig!
Dein mächtiger Verstand ist noch genauso klar wie auf dem Dritten Planeten. Ersetze unsere Schiffsmaschinen-Gehirne! Konzentriere die Antriebe der Analysatoren und Vollzugsmechanismen bei dir.«
»Du vergißt meinen plumpen Körper!«
»Wir befreien dich von ihm! Versetzen dich in den früheren Zustand. Ich weiß, du hast dein damaliges Leben gehaßt. Aber das war das Leben eines unfreien Gefängniswärters. Ich biete dir die Funktion eines Befreiers, eines Retters der Freunde, die dich lieben und deine Hilfe dringend brauchen.«
»Lussin hätte das machen können. Lussin ist tot, Eli.«
»Ellon wird es machen. Die Demiurgen trennten einst dein junges Gehirn vom Körper eines Galakten, sie sind auch jetzt imstande, eine solche Operation vorzunehmen.«
»Ellon wird mich umbringen.« »Orlan soll bei der Operation die Aufsicht führen.
Ihm vertraust du?«
»Ja. Aber ich will, daß auch du dabei bist.« Er seufzte schwach. Die dünne Rauchfahne, die seinem Rachen eben noch entwichen war, versiegte. »Beeil dich! Das Leben entströmt mir, Eli…« Ich ging zu Orlan.
Auf dem Diwan bei Orlan thronte Grazi wie eine majestätische Statue. Erstaunt starrten sie mich an. Es war gut, daß ich sie zusammen traf. So brauchte ich nicht zweimal dasselbe zu sagen.
»Eine Operation, um das Gehirn vom Körper zu befreien, ist durchaus möglich«, sagte Orlan. »In Jahrtausenden wurde die Technik, Gehirne zu verselbständigen, bei uns derart vervollkommnet…«
Grazi schüttelte den Kopf. »Wieder ein lebendiges Gehirn für Dinge nutzen, die eure Mechanismen tadellos verrichteten, Eli…«
»Die Mechanismen sind defekt. Ich verstehe dich nicht, Grazi. Du müßtest stolz sein. Ein Verstand natürlicher Herkunft beweist, daß er einem toten Mechanismus überlegen ist!«
»Gehen wir zu Ellon«, sagte Orlan.
Ellon richtete einen Gravitationskondensator ein.
Auf dessen Belägen gedachte er ein Feld zu erzeugen, das, im Mikrostab, dem Gravitationsfeld eines Kollapsars äquivalent war. Im Grunde genommen war das ein Metrikgenerator, wie er benutzt wurde, um Gravitationsschnecken zu schaffen, der Unterschied bestand nur in der Konstruktion, nicht im Prinzip.
»Unsinn!« antwortete Ellon, nachdem ich ihm erklärt hatte, für welch eine dringende Operation ich ihn brauchte. »Drachen sind überflüssig. Ich habe eure Schiffsmaschine bald wieder repariert.«
»Was heißt bald, Ellon?«
»Bald heißt bald. Niemand greift uns mehr an. Wir brauchen uns nicht zu beeilen.«
»Wir müssen uns beeilen. Die Gesundheit des Drachens hat sich verschlechtert. Wir verlieren sein Gehirn, wenn wir es nicht von dem hinfälligen Körper erlösen.«
»Das wäre kein großer Verlust, Admiral.«
»Ich bestehe auf der Operation.«
»Ich werde nicht operieren!« Ellon funkelte mit den düsteren Augen und wandte sich dem Gravitationskondensator zu.
Orlans gebieterische Stimme ließ ihn innehalten.
»Ellon, ich habe dich noch nicht entlassen!«
Langsam drehte er sich um und sagte finster: »Muß ich dich um Erlaubnis bitten, wenn ich gehen will, Orlan?«
Orlan ignorierte die Frage verächtlich. »Du wurdest in Operationen dieser Art unterwiesen, nicht wahr? Soviel ich weiß, bereitetest du dich in der Schule auf das Examen eines Zerstörers der Vierten Reichskategorie vor! Oder irre ich mich, Ellon?«
»Auf alles mögliche haben wir uns vorbereitet, ehe wir befreit wurden! Jetzt bin ich Chefingenieur des Sternenflugzeuggeschwaders. Ich bin nicht verpflichtet, Bitten, die mir unangenehm sind, zu erfüllen.« »Bitten brauchst du nicht zu erfüllen. Dies ist ein Befehl, Ellon!«
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