Zeige dich, damit ich dich töten kann!“
Jason trat aus dem Halbdunkel ins Licht der Öllampen.
„Du!“ sagte Temuchin und ließ das Schwert fallen. „Ich habe dich mit eigenen Händen umgebracht. Bist du ein Gespenst oder ein Dämon?“
„Ich bin zurückgekehrt, um dir zu helfen, Temuchin.“
„Du mußt ein Dämon sein; du bist durchs Höllentor heimgekehrt und hast neue Kräfte gesammelt. Ein Dämon in vielerlei Gestalt, der uns alle getäuscht hat.“
„Das ist eine schöne Theorie. Du kannst glauben, was du willst, aber du mußt mir zuhören.“
„Nein! Wenn ich zuhöre, werde ich verdammt.“ Temuchin hob sein Schwert auf. Jason sprach rasch weiter.
„Ich habe einen Weg entdeckt, der vom Höllentor ins Tiefland führt. Du kannst ein Heer dorthin fuhren. Dort ist ein neuer Kontinent zu erobern. Und du bist der einzige Mann, der dazu imstande wäre.“
Temuchins Augen blitzten. „Erobern, kämpfen, belagern, einnehmen, überrumpeln, siegen…“, murmelte er heiser vor sich hin, als spreche er mit sich selbst.
„Ja, du könntest das Tiefland mit allen Städten erobern, Temuchin, Herrscher dieser Welt.“
Der Nomadenführer schwieg nachdenklich.
„Einverstanden“, sagte er dann entschlossen. „Ich kenne den Preis. Du willst mich fortschleppen, Dämon, aber du sollst mich erst haben, wenn ich alles erobert habe.“
„Ich bin kein Dämon, Temuchin.“
„Spotte nicht, ich kenne die Wahrheit. Du hast mich in Versuchung geführt, ich bin ihr erlegen, ich bin in alle Ewigkeit verdammt. Sag mir, wann und wie ich sterben muß.“
„Das kann ich nicht.“
„Natürlich nicht. Du bist nicht freier als ich.“
„So habe ich das nicht gemeint.“
„Ich weiß, wie es gemeint war. Indem ich alles annehme, verliere ich alles. Aber ich bin damit einverstanden, wenn du mich zuerst siegen läßt, Dämon.“
„Du siegst natürlich, aber…“
„Mehr will ich gar nicht wissen.“ Temuchin bewegte die Schultern, als werfe er ein unsichtbares Gewicht ab. Er steckte sein Schwert in die Schlaufen am Gürtel zurück.
„Du kannst glauben, was du willst, aber gib mir einige gute Männer mit, damit ich einen Weg ins Tiefland bahnen kann.
Ich werde dir beweisen, daß es einen Weg durch die Höhlen gibt, den ein ganzes Heer gehen kann. Wird es dir dorthin folgen?“
Temuchin lachte. „Die Stämme haben geschworen, mir selbst in die Hölle zu folgen, wenn ich es befehle. Jetzt müssen sie gehorchen.“
„Gut, schlag ein!“ forderte Jason ihn auf.
Der Nomadenführer ergriff seine Hand. „Ich erobere die Welt und komme dafür in die Hölle, deshalb fürchte ich dich nicht mehr, Dämon.“
Er drückte Jasons Hand, und Jason mußte wider Willen den Mut dieses Mannes bewundern.
„Laß mich mit ihm sprechen“, bat Meta.
Kerk schob sie zur Seite und hielt das Mikrophon timklammert.
„Hör zu, Jason“, sagte er eisig. „Niemand von uns unterstützt deinen Plan. Du kannst ihn nicht vernünftig erklären, weil er unsinnig ist. Sobald Temuchin das Tiefland beherrscht, können wir ihn nie verdrängen und unser Bergwerk errichten. Rhes ist nach Ammh zurückgekehrt, um den Widerstand gegen die Eindringlinge zu organisieren. Einige von uns wollen sich ihm anschließen. Ich warne dich zum letztenmal: Hör auf, bevor es zu spät ist!“
„Kerk, ich habe Verständnis für deinen Standpunkt“, antwortete Jason ruhig, „aber die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Temuchins Horden haben das Tiefland erreicht, und die Nomaden werden dort siegen. Wenn die letzte Schlacht geschlagen ist, herrscht Temuchin über und unter den Klippen, und ihr werdet sehen, daß schließlich doch alles zu unserem Besten ist.“
„Nein!“ rief Meta und entwand Kerk das Mikrophon.
„Jason, hör zu. Das kannst du uns nicht antun. Du bist zu uns gekommen und hast uns geholfen, und wir haben dir vertraut.
Du hast uns gezeigt, daß es mehr im Leben gibt, als zu töten und getötet zu werden. Wir wissen jetzt, daß der Kampf auf Pyrrus falsch war, und wir sind nun hierhergekommen, weil du uns darum gebeten hast.
Aber jetzt müssen wir glauben, du wolltest uns verraten. Du hast uns gezeigt, daß man überleben kann, ohne zu morden, und wir haben uns bemüht, deinem Beispiel zu folgen. Aber was du jetzt tust, ist schlimmer, viel schlimmer als unser Krieg auf Pyrrus. Dort haben wir wenigstens um unser Leben gekämpft. Du aber hast diesem Ungeheuer Temuchin den Weg gewiesen, damit er wieder Krieg führen und Menschen töten kann. Wie willst du dieses Verhalten rechtfertigen?“
Aus dem Lautsprecher drang nur ein gleichförmiges Rausdien, bis Jason nach längerer Zeit antwortete. Seine Stimme klang plötzlich müde.
„Meta… das alles tut mir leid. Ich wollte, ich könnte es dir erklären, aber es ist zu spät. Ich werde gesucht und muß das Funkgerät verstecken, bevor die Jäger kommen. Aber ich habe richtig gehandelt, das mußt du glauben. Jede gesellschaftliche Veränderung fordert Opfer, und ich bin mir darüber im klaren, daß meinetwegen Menschen verwundet werden und sterben.
Aber… hör zu, ich kann nicht weitersprechen. Sie sind draußen…“
Im Lautsprecher knackte es, dann herrschte wieder Schweigen.
Kerk und Meta starrten sich ratlos an.
„Hallo, Kontrollraum!“ sagte eine Stimme aus dem Deckenlautsprecher. „Hier ist der Nachrichtenraum. Eben ist eine Notmeldung von Pyrrus eingegangen.“
„Lies vor“, befahl Kerk.
Nach einer kurzen Pause las der unsichtbare Sprecher vor:
„An alle Stationen in Reichweite zur Übermittlung nach Felicity und Pugnacious, Kennung Ama Rona Pi, 290-633-087.
Nachricht folgt. Kerk, wir werden angegriffen. Von allen Seiten. Wir haben die Stadt zum größten Teil aufgegeben.
Niemand weiß, wie lange wir uns noch halten können. Brucco glaubt, daß konventionelle Waffen nichts dagegen ausrichten, weil es ganz neu ist Wir könnten die Feuerkraft eures Schiffs brauchen. Kommt nach Möglichkeit sofort Ende.“
Die Nachricht war über die Bordsprechanlage in sämtliche Räume des Schiffes übertragen worden, und als die Stimme verstummte, waren überall rasche Schritte zu hören. Als die ersten Männer in den Kontrollraum stürmten, richtete Kerk sich auf und erteilte seine Befehle.
„Alle Besatzungsmitglieder auf ihre Stationen. Wir starten so schnell wie möglich. Außenwachen hereinrufen, alle Gefangenen freilassen. Fertigmachen zum Start.“
Es gab keine andere Möglichkeit. Jeder Pyrraner hätte ähnlich reagiert. Ihre Stadt war in Gefahr, zerstört zu werden, war vielleicht bereits zerstört. Sie eilten auf ihre Posten.
„Rhes“, sagte Meta. „Wie können wir ihn erreichen?“
Kerk schüttelte den Kopf. „Gar nicht. Wir lassen die Pinasse für ihn auf der Insel zurück, auf der wir bereits mehrmals gelandet sind. Du sprichst eine Nachricht für ihn auf Tonband und läßt sie vom Sender der Pinasse automatisch ausstrahlen.
Sobald er zu seinem Funkgerät zurückkommt, kann er sie empfangen. Die Pinasse enthält alles, was er zum Leben braucht.“
„Das wird ihm nicht gefallen.“
„Mehr können wir nicht für ihn tun.“
Sie arbeiteten wie besessen. Zurück nach Pyrrus! Ihre Stadt war in Gefahr. Das Schiff startete mit 17 g, und Meta hätte noch stärker beschleunigt, wenn die Triebwerke mehr Leistung abgegeben hätten. Ihr Kurs durch den Hyperraum war der kürzeste — aber auch der gefährlichste —, der sich berechnen ließ. Die unvermeidbare Wartezeit verstrich unendlich langsam; die Pyrraner unterhielten sich nicht, sondern überprüften schweigend ihre Waffen und warteten auf das Ende des Fluges.
Dann kam der Obertritt in den Normalraum. Die Pugnacious raste weiter auf Pyrrus zu und tauchte in die Atmosphäre ein.
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